Humor im App-Store

Zehn Apps, die den verqueren Humor von Entwicklern zeigen

Ist das noch Software oder schon Aktionskunst? IT-Menschen haben ein eigenes Verständnis davon, was lustig ist, wie diese Smartphone-Anwendungen beweisen.

Matthias Schüssler

Wenn Leute plötzlich ihr Smartphone in die Luft werfen, haben sie womöglich eine dieser Scherz-Apps installiert.

Zur Netzkultur gehörte schon immer ein schräger Humor mit leicht anarchistischen Zügen. Es gibt ihn in diversen Ausprägungen: zum Beispiel als Memes – jene Bildwitze, die dazu geschaffen sind, in den sozialen Medien geteilt zu werden. Es gibt ihn als «Twiteratur», Literatur im Kurznachrichten-Format, oder als animierte GIFs.

Auch in den App-Stores gibt es Beispiele für Apps, die nicht als nützliches Arbeitsinstrument, sondern als Scherz gedacht sind. Zu Anfangszeiten des Stores bekamen wir es vorwiegend mit Schenkelklopf-Humor zu tun: Mit Furzkissen-Apps oder Dingen wie iBeer, bei dem man ein virtuelles Bier aus dem Smartphone schlürft. Doch es entstanden auch Ideen, die über den simplen Partygag hinausgingen und durch ihre parodistischen und gesellschaftskritischen Eigenschaften auf sich aufmerksam machten.

Einfacher als Whatsapp, aber fast so nützlich: Mit der Yo-App schickte man seinen Freunden ein Hallo.

Eine solche App war Yo: Sie war 2014 als Aprilscherz gedacht gewesen: Man konnte mit ihr nichts anderes tun, als ein «Hallo» (Yo) an andere Personen zu schicken. Doch die App traf einen Nerv und hatte bald Millionen von Anwendern und wider Erwarten halbwegs sinnvolle Einsatzgebiete: Kunden des Paketdienstes Fedex konnten sich mit einem «Yo» darüber informieren lassen, wenn ihre Sendung angekommen war, die Fifa teilte WM-Tore für die Heimmannschaft mit.

Diese App gibt es seit 2018 leider nicht mehr. Doch es gibt nach wie vor Apps, die sich durch einen satirischen, gesellschaftskritischen oder nihilistischen Ansatz auszeichnen oder wenigstens ansatzweise originell sind:

Wie soziale Medien, nur ohne Menschen

Binky ist wie Social Media, bloss ohne den Stress, den andere Menschen einem verursachen. Man scrollt durch viele lustige Posts, doch gegenüber Facebook und Twitter hat es zwei entscheidende Vorteile: Man muss nicht erst Leute befreunden. Und man bekommt auch keine deprimierenden oder enervierenden Beiträge zu sehen. Die Inhalte hier sind rein willkürlich ausgewählt; manche sind völlig belanglos, aber einige geben einem einen kurzen Kick – genauso, wie es auf Facebook mal war.

Genauso belanglos wie Facebook, nur ohne den Hass.

Fürs iPhone und Android.

Die Die-Welt-ist-ein-Jammertal-App

Das Gegenstück zu Binky heisst Demotivational Pics: Diese App zeigt Fotos an, mit denen Miesepeter ihre schlechte Laune kultivieren und ihren Zynismus ausleben. Denn mehr als 40’000 Fotos beweisen, dass alles, was schiefgehen kann, auch unweigerlich schiefgehen wird.

Für Mac und Android.

Ziel- und endlos scrollen

Die Steigerungsform von Binky ist Everscroll: Diese App lässt einen scrollen, ohne dass man sich mit Inhalten beschäftigen müsste. Damit adressiert die App die Angst, etwas zu verpassen, sagte der Entwickler Patrick Benner. Man kann problemlos blind scrollen und nebenbei etwas Vernünftiges tun und sich zum Beispiel mit den Menschen in der Umgebung beschäftigen. Setzt man ab, verrät die App, wie lange man gescrollt hat und ob man einen neuen Rekord aufstellen konnte. Und wer weiss – vielleicht hilft Everscroll sogar gegen das endlose «Doomscrolling». Das ist der durch Corona beförderte Impuls, ohne Pause von einer schlechten Nachricht zur nächsten durch die Newsfeeds zu blättern.

Der Weg ist das Ziel: Bei Everscroll gibt es keinen unteren Rand, den man beim Wischen erreichen könnte.

Für iPhone.

Es richtig knacken lassen

Auch von Bubble Wrap darf man sich keine sinnvolle Aufgabe erhoffen: Diese App simuliert eine Luftpolsterfolie, bei der man per Finger Bläschen zum Platzen bringt. Man kann das entweder einzeln tun, oder indem man mit dem Finger schwungvoll übers Display fährt, und Salven an befriedigenden Platzgeräuschen hören. Prädikat: maximal sinnlos und trotzdem seltsam befriedigend. Fürs iPhone und für Android.

Falls das zu wenig anspruchsvoll ist: Mit Milk the Cow lernen Sie am iPhone, eine Kuh zu melken, und bei Crazy Dentist können Sie sich in einer Simulation unter Windows als Zahnarzt versuchen.

Mit dem Smartphone um das Smartphone spielen

Während es bei manchen der Scherz-Apps um nichts geht, ist der Einsatz bei der S.M.T.H.-App beträchtlich: Er beträgt nämlich das eigene Smartphone. Der Name ist ein Kürzel, der für «Send Me To Heaven», «schicke mich in den Himmel» steht. Gemeint ist das Smartphone, denn die Aufgabe in diesem Spiel besteht darin, das Telefon möglichst hoch in die Luft zu werfen – und idealerweise wieder aufzufangen, damit es nicht am Boden zerschellt. Die App versucht, während des Wurfs die Höhe zu bestimmen, und führt nationale und globale Ranglisten. Der Urheber der App, Petr Svarovsky, sagte der Zeitschrift «Wired», er hoffe auf möglichst viele zerstörte iPhones: «Ich will Leute dazu bringen, ihre kostspieligen Gadgets wegzuwerfen, weil die in manchen Gesellschaftsschichten nur zum Angeben gekauft werden.» Allerdings hat Apple die App nicht in den Store gelassen, sodass nur Android-Telefone zerstörbar sind.

Zwei Ziele gilt es zu erreichen: Das Smartphone möglichst hoch zu werfen und daraufhin wieder sicher aufzufangen.
Video: Youtube/petrsvar

Geldmacherei oder Kapitalismuskritik?

Apropos Kapitalismuskritik: I Am Rich ist eine App, bei der man sich fragt, ob sie sich über reiche Menschen lustig macht oder dem Kapitalismus auf besonders dreiste Weise huldigt. Jedenfalls kostete die App 999 US-Dollar und machte nichts anderes, als einen Diamanten und den Text «Ich bin reich – ich verdiene das» anzuzeigen. Gemäss «Los Angeles Times» hat der Entwickler Armin Heinrich sie achtmal verkauft. Zweimal wurde sie aber offenbar versehentlich geklickt, und der Kaufpreis musste zurückerstattet werden. Apple hat sie flugs aus dem Store entfernt. Heute gibt es nur noch die Light-Version der Luxus-App für angehende Kapitalisten, die noch vom grossen Geld träumen und sich 9 Dollar für diese App leisten wollen.

Die Android-App für Windows-Nostalgiker

Die App XP Error Mobile ist für Nostalgiker, die der Ära von Windows XP nachtrauern – oder aber für Microsoft-Hasser, die noch heute ihren Groll gegen jenes Betriebssystem hegen. Jedenfalls simuliert sie einen XP-Desktop, bei dem bei jeder Interaktion Fehlermeldungen auftauchen, inklusive den charakteristischen System-Sounds.

XP-Fehlermeldungen – den lieben langen Tag.

Für Android.

WC-Pausen für Filmfans

Die meisten der schrägen und seltsamen Apps sind wenig brauchbar bis komplett nutzlos. Nicht so Run Pee: Diese App verrät für rund 2000 Kinofilme, welches die langweiligsten Szenen sind und nach wie vielen Minuten sie zu sehen sind. Sinn und Zweck ist, dass man im Kino während der Vorstellung schnell aufs WC gehen kann, ohne etwas Wesentliches zu verpassen.

Fürs iPhone und Android.

Vergängliche Luftgemälde erschaffen

Leichte Unterhaltung und philosophische Tiefe – beides darf man von der Mal-App Wafty erwarten. Mit ihr erstellt man keine Kunstwerke auf Papier oder einer digitalen Unterlage. Nein, mithilfe der Smartphone-Kamera und Augmented Reality malt man dreidimensionale Kunstwerke in die Luft. Die kann man von allen Seiten betrachten, doch in Ermahnung, dass alles vergänglich ist, verschwinden sie, sobald man die App schliesst. (Es sei denn, man filmt den Entstehungsprozess.)

Für iPhone und Android.

Chatten bis zum bitteren Ende

Auch die App Die With Me (Stirb mit mir) zelebriert die Vergänglichkeit – so sehr, dass sie eigentlich «Memento mori» heissen sollte. Die lateinische Phrase, die als Gegenstück zu «Carpe diem» zu verstehen ist, erinnert uns an unsere Sterblichkeit: Man tauscht sich mit ihr mit Gleichgesinnten aus, erhält aber erst Zugang zum Chat, wenn der Ladestand des Akkus fünf Prozent oder weniger beträgt. Es bleibt keine Zeit für Small Talk; «in medias res» muss die Devise lauten.

Für iPhone und Android.

Diese Chat-App steht erst dann zur Verfügung, wenn weniger als fünf Prozent Batterieladung verbleiben.

Quelle: Newsnetz, Dienstag, 30. November 2021

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