Zuckerbergs Zukunftspläne

Was ist das Metaversum? Fragen und Antworten zu Facebooks neuer Strategie

Mark Zuckerberg richtet seinen Konzern auf die Zukunft aus. Wir erklären, wie gross die Erfolgsaussichten sind und ob Google, Microsoft und Co. tatenlos zusehen werden, wenn er die Nachfolge des Webs einläutet.

Matthias Schüssler

Mark Zuckerberg ist die Begeisterung über sein neuestes Projekt ins Gesicht geschrieben.

Was ist das Metaversum?

Das Metaversum ist bis jetzt eine Zukunftsvision, die bislang in den Köpfen der Science-Fiction-Autoren existiert. Sie besagt, dass wir den Cyberspace nicht mehr über einen flachen Bildschirm besuchen und hauptsächlich via Text kommunizieren, sondern mittels Cyberbrille in diesen virtuellen Raum eintauchen. Wir unterhalten uns dort mit Leuten, die sich physisch am anderen Ende der Welt befinden, als ob wir im gleichen Raum wären.

Warum will sich der Facebook-Konzern diesem Metaversum zuwenden, wo er mit seinen jetzigen Produkten extrem hohe Gewinne macht?

Mark Zuckerberg hat schon mit Facebook das gemacht, was ihn persönlich begeistert hat: Als er das soziale Netzwerk aus dem Schlafsaal seiner Uni gestartet hat, sah er die Möglichkeit, mit Frauen in Kontakt zu kommen. Heute ist er verheiratet und hat zwei Töchter – da ist ihm das Dating nicht mehr so wichtig. Doch die Vision, in eine Cyberwelt abtauchen zu können, b e schäftigt i hn offensichtlich sehr.

Die wirtschaftliche Seite passt ins Bild: Falls Facebook das Metaversum erfolgreich in Gang bekommt, wird das noch über Jahrzehnte hinweg eine Geldmaschine sein. Und da Mark Zuckerberg ohne Zweifel die Vorstellung hat, dass die Nutzer nicht bloss kurz ins Metaversum abtauchen, sondern dort nicht nur ihre Freizeit verbringen, sondern auch arbeiten, würden sich die Gewinnmöglichkeiten für Facebook noch potenzieren.

Ist das Metaversum heute schon möglich?

Jein. Viele der notwendigen Komponenten existieren bereits: Wir haben schnelle Internetverbindungen, wie sie für ein ruckelfreies Metaversum nötig sind, und es gibt auch Cyberbrillen, die ein «immersives Erlebnis», d.h. ein Abtauchen in dreidimensionale Computerlandschaften ermöglichen.

Für Nerds wie die beiden Besucher der Cebit-Messe in Hannover im März 2015 sind Cyberbrillen schon längst eine Möglichkeit, in 3-D-Welten abzutauchen. Doch die breiten Massen finden keinen Gefallen daran, sich klobige Visiere vors Gesicht zu schnallen.

Doch gerade die Brillen sind nicht so ausgereift, dass sie für die breite Öffentlichkeit attraktiv wären. Die Schwellenängste, sich so eine Brille überzustreifen und dadurch überhaupt nichts mehr von der richtigen Welt mitzubekommen, sind für viele Leute sehr hoch. Das zeigt sich darin, dass bislang keine Cyberbrille zu einem massentauglichen Produkt geworden ist und Google mit Google Glass sogar richtiggehend Schiffbruch erlitten hat.

Wird Mark Zuckerberg diese Schwellenängste abbauen können?

Das ist die grosse Frage – und der entscheidende Punkt, ob Mark Zuckerbergs ambitionierte Zukunftsvision glücken oder floppen wird. Der technische Fortschritt, mit dem ernsthaft zu rechnen ist, könnte helfen. Zum Beispiel eine Brille, wie sie Microsoft mit der HoloLens seit 2016 entwickelt: Sie blockt die Umwelt nicht komplett aus, sondern erlaubt einen Blick auf die Umgebung, die durch virtuelle Elemente überlagert wird. Auf diese Weise könnten sich etwa Social-Media-Freunde virtuell im eigenen Wohnzimmer aufhalten.

Doch damit sich ein ausreichend grosser Teil der Bevölkerung aufs Metaversum einlässt, müssen diese Brillen noch sehr viel günstiger und komfortabler werden und weniger technoid wirken.

Microsofts HoloLens sieht ein bisschen aus wie eine Skibrille: Mit ihr bleibt die reale Welt sichtbar, die um virtuelle Gegenstände erweitert wird – wie hier bei der Vorführung eines Autoherstellers an der International Frankfurt Motor Show im September 2017.

Aber das will doch keiner: Facebook-Freunde im eigenen Wohnzimmer!

Ja, und die psychologische Hürde, die Mark Zuckerberg nehmen muss, ist noch grösser als die technische: Er muss den Nutzern das Vertrauen geben, dass sie in diesem Metaversum gut aufgehoben sind und sich nicht der Hass-Maschinerie ausliefern, für die Facebook in letzter Zeit bekannt geworden ist.

Wird das Geschäftsmodell weiterhin auf dem Verkauf von Daten basieren?

Das ist anzunehmen, zumal Facebook trotz Zwischenfällen wie dem Cambridge-Analytica-Skandal mit dem Datenhandel letztlich gute Erfahrungen gemacht hat – die grosse Masse der Nutzer stört sich nicht daran, wenn ihre persönlichen Daten für Werbung verwertet werden. Es besteht natürlich die Gefahr eines Kippeffekts – dass den Leuten die Werbung in einer virtuellen Umgebung aufdringlicher erscheint als in der Smartphone-App und sie deswegen aussteigen. Aber derlei Bedenken wurden bei Facebook schon immer hintenangestellt, wenn es um den geschäftlichen Erfolg ging.

Wie könnte sich das Metaversum denn auch finanzieren?

Werbung ist naheliegend, zumal der Zugang für die Nutzer dann kostenlos wäre. Es ist auch ein Abomodell denkbar, das für Leute attraktiv wäre, die auf den Schutz der Privatsphäre Wert legen und bereit sind, für Diskretion im Metaversum zu zahlen. Es wird mutmasslich auf ein Mischmodell hinauslaufen: Es wird frei zugängliche Bereiche geben, die man kostenlos besucht, aber auch exklusive Etablissements, wo diejenigen, die es sich leisten können, unter sich sind.

Also, wie lautet die Prognose? Wird Mark Zuckerberg Erfolg haben?

Das hängt auch davon ab, was die Konkurrenz macht. Microsoft hat mit der HoloLens-Brille einen Fuss in der Tür. Es gibt Anzeichen dafür, dass auch Apple an einer Cyberbrille arbeitet. Der iPhone-Konzern hatte bei seinen Social-Media-Initiativen zwar kein glückliches Händchen, aber wenn er einerseits eine technisch überzeugende Lösung präsentiert und andererseits überzeugend den Schutz der Privatsphäre vertritt, könnte er Facebook die Rechnung versalzen.

Obwohl Prince Charles sich eine Google Glass aufgesetzt hat, konnte Google mit seiner Brille nicht punkten. Das bedeutet aber nicht, dass der Suchmaschinenkonzern die virtuelle Realität abgeschrieben hätte.

Auch Google und Amazon werden nicht tatenlos zusehen, wenn sich in Zuckerbergs Metaversum nennenswerte Ansammlungen von Nutzern ergeben sollten. Auf jeden Fall ist der Weg zum Metaversum noch weit und die Wahrscheinlichkeit gross, dass derjenige, der zuerst losgerannt ist, nicht als Erster im Ziel ankommt.

Quelle: Newsnetz, Freitag, 29. Oktober 2021

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