Mark Zuckerberg träumt vom Metaversum
Analyse Das Facebook-Projekt ist von einem Science-Fiction-Autor inspiriert. Dass es genau jetzt kommuniziert wird, ist kein Zufall.
Das Metaversum ist ein virtueller Raum, den man mit Menschen bevölkert, die sich in Wirklichkeit ganz woanders befinden. Dennoch sollen wir dort arbeiten, spielen, lernen, einkaufen, gestalterisch tätig sein und Freunde treffen, als ob physische Distanz nicht existieren würde.
Ein solcher digitaler Marktplatz wäre endlich ein echter Einsatzzweck für die Oculus-Rift-Cyberbrille. Deren Hersteller hat Facebook 2014 übernommen und sie schon damals mit hochfliegenden Versprechen beworben. Doch bislang hat sie keinerlei Breitenwirkung erzielt. Doch jetzt soll das Metaversum kommen, in dem man am besten mit Cyberbrille agiert. In der Ankündigung von Ende September steckt Facebook einen zeitlichen Horizont von 10 bis 15 Jahren ab. Nicht nur das: Andrew Bosworth, der Chef des «Reality Lab», hält die Entstehung des Metaversums für unausweichlich: «Es existiert, ob Facebook nun da ist oder nicht.»
Letzteres ist natürlich keine ernsthafte Option: Der Wille bei Facebook ist unverkennbar, sich in dieser virtuellen Parallelwelt eine Poleposition zu verschaffen. Dafür legt der Konzern ein fünfzig Millionen Dollar schweres Forschungsprogramm auf und schafft in der EU 10’000 Jobs, wie am Montag bekannt geworden ist. Der Auftrag kommt von ganz oben: Mark Zuckerberg will sein Unternehmen von der Social-Media-in eine Metaversum-Company verwandeln.
Der Zeitpunkt ist kein Zufall: Dass Facebook gerade jetzt und in Europa diese Pläne vorantreibt, hat mit einem neuen Gesetz zu tun, mit dem die EU die personalisierte Werbung regeln und das Targeting bei Minderjährigen verbieten möchte. Facebooks Idee zur schönen neuen virtuellen Welt ist ganz realer Lobbyismus.
Ob der Plan das Vertrauen in Facebook stärkt oder vielmehr die Angst vor den disruptiven Plänen des Konzerns vergrössert, bleibt abzuwarten.
Man kann sich insbesondere fragen, ob es eine gute Idee war, den Begriff des Metaversums ins Spiel zu bringen. Er geht auf Neal Stephenson und seinen fulminanten Cyberpunk-Roman «Snow Crash» zurück. Der Titel bezeichnet einen Computerwurm, der gleichzeitig auch Droge und Religion ist und die Gehirne der Menschen infiziert. Facebook-Kritiker könnten monieren, dass Mark Zuckerberg uns unverblümt seine wahren Absichten preisgibt.
Der Facebook-Chef ist jedoch nicht der Erste, der sich von dystopischen Romanen zu realen Produkten inspirieren lässt: Soylent Green, ein fiktives Lebensmittel, das im Film «Jahr 2022 … die überleben wollen» an die geknechtete Bevölkerung abgegeben wird, gibt es heute als Nahrungsersatz zu kaufen. Soma, die Droge aus Aldous Huxleys Klassiker «Brave New World», ist inzwischen der Markenname für ein Muskelrelaxans. Und Skynet, die bösartige Superintelligenz aus den Terminator-Filmen, ist gleich mehrfach in Verwendung, unter anderem für ein Satelliten-Kommunikationssystem des UK-Verteidigungsministeriums.
Matthias Schüssler
Umwirbt derzeit die EU mit Jobs: Mark Zuckerberg. Foto: AP, Keystone