Analyse

Mark Zuckerberg träumt vom Metaversum

Ist das neue Facebook-Projekt eine abgefahrene Zukunftsvision oder eine aussichtsvolle Idee? Und sollte es uns ängstigen, dass es von Science-Fiction-Autoren inspiriert ist?

Matthias Schüssler

Facebook im Browser ist nur eine Zwischenstation. Mark Zuckerberg will seine Plattform zur virtuellen Welt umbauen. Das Bild zeigt den Chef des sozialen Netzwerks bei einer Messe in Paris im Mai 2018.

Das Metaversum ist ein virtueller Raum, den man mit Menschen bevölkert, die sich in Wirklichkeit ganz woanders befinden. Dennoch sollen wir dort arbeiten, spielen, lernen, einkaufen, gestalterisch tätig sein und Freunde treffen, als ob physische Distanz nicht existieren würde.

Das wäre ein realer Einsatzzweck für die Oculus-Rift-Cyberbrille, deren Hersteller Facebook 2014 übernommen hat und die schon damals mit hochfliegenden Versprechen beworben wurde, bislang aber keinerlei Breitenwirkung erzielt hat.

Die Cyberbrille Oculus Rift VR, im Januar 2017 bei einer Pressedemonstration in Las Vegas.

Das soll sich nun ändern. In der Ankündigung von Ende September steckt Facebook einen zeitlichen Horizont von 10 bis 15 Jahren ab. Nicht nur das: Andrew Bosworth, der Chef des «Reality Lab», hält die Entstehung des Metaversums für unausweichlich: «Es existiert, ob Facebook nun da ist oder nicht.» Letzteres ist natürlich keine ernsthafte Option: Der Wille bei Facebook ist unverkennbar, sich in dieser virtuellen Parallelwelt eine Poleposition zu verschaffen. Dafür legt der Konzern ein fünfzig Millionen schweres Forschungsprogramm auf und schafft in der EU 10’000 Jobs, wie am Montag bekannt geworden ist. Der Auftrag kommt von ganz oben: Mark Zuckerberg will sein Unternehmen von der «Social-Media- in eine Metaversums-Company verwandeln».

Viele Arbeitsplätze, um die EU gnädig zu stimmen

Der Zeitpunkt ist kein Zufall: Dass Facebook gerade jetzt und in Europa diese Pläne vorantreibt, hat mit einem neuen Gesetz zu tun, mit dem die EU die personalisierte Werbung regeln und das Targeting bei Minderjährigen verbieten möchte. Facebooks Idee zur schönen neuen virtuellen Welt ist ganz realer Lobbyismus.

Autor Neal Stephenson hat sich das Metaversum ausgedacht, das Facebook nun entwickeln will.

Ob der Plan das Vertrauen in Facebook stärkt oder vielmehr die Angst vor den disruptiven Plänen des Konzerns vergrössert, bleibt abzuwarten. Man kann sich insbesondere fragen, ob es eine gute Idee war, den Begriff des Metaversums ins Spiel zu bringen. Er geht auf Neal Stephenson und seinen fulminanten Cyberpunk-Roman «Snow Crash» zurück. Der Titel bezeichnet einen Computerwurm, der gleichzeitig auch Droge und Religion ist und die Gehirne der Menschen infiziert – und damit nicht eben für eine positive Zukunftsvision steht. Facebook-Kritiker könnten monieren, dass Mark Zuckerberg uns unverblümt seine wahren Absichten preisgibt.

Aus Dystopie wird Realität

Der Facebook-Chef ist jedoch nicht der Erste, der sich von dystopischen Romanen zu realen Produkten inspirieren lässt: Soylent Green, ein fiktives Lebensmittel, das im Film «Jahr 2022 … die überleben wollen» an die geknechtete Bevölkerung abgegeben wird, gibt es heute als Nahrungsersatz zu kaufen. Soma, die Droge aus Aldous Huxleys Klassiker «Brave New World», ist inzwischen der Markenname für ein Muskelrelaxans. Und Skynet, die bösartige Superintelligenz aus den Terminator-Filmen, ist gleich mehrfach in Verwendung, unter anderem für ein Satelliten-Kommunikationssystem des UK-Verteidigungsministeriums.

Im Science-Fiction-Film wird «Soylent Green» aus Menschen hergestellt. Dieses Produkt, das sich den Namen ausgeliehen hat, besteht (hoffentlich) nur aus Schokolade.

Ist das nun ironisch gemeint oder das demütige Eingeständnis, dass sich menschliche Erfindungen und Produkte unweigerlich verselbstständigen und genauso zum Schlechten wie zum Guten verwendet werden können? Im Fall von Mark Zuckerberg ist es eher ein Anzeichen, dass der Mann schon immer in seiner eigenen Welt lebte und sich keine Gedanken macht, ob die dem Rest der Menschheit gefällt oder nicht.

Quelle: Newsnetz, Dienstag, 19. Oktober 2021

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