Analyse zur Panne

Facebook ist down – und alle geniessen die Ruhe

Die grosse Panne beim sozialen Netzwerk zeigt vor allem eins: Facebook darf sich keine Ausfälle leisten, weil die Nutzer dann merken, dass sie auch ohne die Dienste bestens klarkommen.

Matthias Schüssler

Die demokratische US-Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez fand, die Facebook-Panne sei eine Gelegenheit, Geschichten über «die hoffnungsvolle Wirkung der Demokratie und der evidenzbasierten Berichterstattung» zu erzählen.

Eine Störungsmeldung bei der Swisscom versetzt uns in Alarmzustand und innere Unruhe: Was würden wir bei einem Notfall tun, wenn die Notrufnummern nicht mehr erreichbar wären? Was tun, wenn ein Familienmitglied plötzlich dringend Hilfe braucht?

Ganz anders bei Facebook: Der rund sechs Stunden andauernde Ausfall hat im Freundes- und Kollegenkreis vor allem zu hämischen Spekulationen über mögliche Ursachen Anlass gegeben: Hat Mark Zuckerberg aus Versehen Kaffee über den Server geschüttet? Hat er dreimal das falsche Passwort eingegeben und den Admin-Account blockiert? Oder haben es «Marianne Edelstein Schierokauer», «Mechthild Mommsen Goethe», «Zoe Distel Ullmann» und all die anderen vermeintlich kontaktwilligen Frauen es endgültig übertrieben und mit ihren unzähligen Sexanfragen das soziale Netzwerk in die Knie gezwungen?

Am Morgen danach herrscht bei Instagram, Whatsapp und Facebook Normalbetrieb. Keiner regt sich gross auf, bloss ein Freund postet ein ironisches Meme, auf dem steht, er «habe den Facebook-Ausfall von 2021 überlebt». Der Freund ergänzt das mit dem Hinweis, er habe einen angenehmen, ruhigen Abend verbracht.

Alles rosa: «Ich habe den Facebook-Ausfall von 2021 überlebt.»

Zugegeben: Würde ein Ausfall länger als bloss ein paar Stunden dauern, hätte das für manche von uns unangenehme Folgen. Es gibt Leute, die die Dienste des Konzerns nicht nur privat, sondern aus geschäftlichen Gründen nutzen, in Schwellenländern noch viel mehr als bei uns.

Doch es steht ausser Frage, dass sich ganz schnell Ersatzlösungen finden würden. Jimmy Fallon spottete in der «Tonight Show», die Leute hätten ohne Instagram ihre «Wochenend-Kürbisfeld-Selfies halt auf Linkedin gepostet».

Latenight-Moderator Jimmy Fallon findet, die Berichterstattung über den Ausfall sei die beste Presse, die Facebook seit Monaten gehabt habe.
Video: Youtube

Twitter hat gestern stark vom Ausfall profitiert. Sogar Facebook selbst hat seinen Kanal dort genutzt, um die Meldung abzusetzen, man sei sich der Probleme bewusst: Nicht einmal Facebook selbst ist auf Facebook angewiesen.

Dass bei den Nutzern keine Panik zu beobachten ist, sollte die Facebook-Führungsriege in Alarmzustand versetzen. Die Technik- und Netzwerkverantwortlichen müssen sofort alle erdenklichen Massnahmen treffen, damit sich so ein Blackout nicht wiederholt. Denn sonst könnten noch mehr Nutzer zur Einsicht gelangen, dass weder Instagram noch Facebook und nicht einmal Whatsapp systemrelevant sind.

Bei der Kosten-Nutzen-Rechnung steht Facebook schlecht da

Die Nutzer könnten auch auf die Idee kommen, während einer längeren Zwangspause den Nutzen von Facebook gegen die mentalen Kosten aufzurechnen. Viele würden sich fragen, ob sie bloss aus Gewohnheit noch dabei sind. Der Reflex ist stark, während jeder kleinen Pause schnell zum Handy zu greifen und zu sehen, was sich in der Timeline tut – und der Kick durch die Aufmerksamkeit anderer unmittelbar. Die Ruhe hingegen, sie braucht Zeit, um sich zu entfalten.

Doch wenn sie erst einsetzt, dann macht sich auch ein wohliges Gefühl der Erleichterung breit: Endlich einmal kein erbitterter Streit für oder gegen die Impfung. Eine Pause vom Populismus, der einen anfällt, sobald man das Handy öffnet. Keine Diskussion, in die man ungewollt hineingezogen wird. Und was würde man im Gegenzug vermissen? Sicher, einige der wenigen lustigen, unpolitischen Gruppen – und ein paar wenige Freunde, die bislang noch nicht auf Twitter sind. Aber mehr auch nicht.

Quelle: Newsnetz, Dienstag, 5. Oktober 2021

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