Digitalkameras im Analog-Look: Mit einer Retrokamera fotografiert es sich entspannter

Die Nikon Z fc ist eine Systemkamera mit brandneuer Technik, die aussieht, als ob sie aus den 1980ern stammen würde. Ist das ein Marketing-Sperenzchen – oder Ausdruck dafür, dass sich die Fotografie dringend entschleunigen müsste?

Matthias Schüssler

Trotz Digitaltechnik ein Knipserlebnis wie anno dazumal – die Retrokameras führen vor Augen, dass Megapixel nicht alles sind.

Hat Nikon etwa das Display vergessen? Die Z fc ist das neueste spiegellose Modell des japanischen Traditionsherstellers, das wie ein Modell aus den 1980ern aussieht: Das Gehäuse ist schmaler, der prominente Griffwulst fehlt, und es gibt Drehrädchen für die Verschlusszeit und die Filmempfindlichkeit. Und eben: Wie bei einer echten Analogkamera gibt es auf der Rückseite keinen Minibildschirm, sondern bloss eine Klappe, bei der man den Film einlegt.

Schaut man genau hin, kommt man dem Display auf die Spur: Es ist lediglich nach innen gedreht. Klappt man es aus und schwenkt es um, dann erfüllt es seinen Zweck wie erwartet – und verwandelt die Z fc in eine zeitgemässe, spiegellose Systemkamera im semiprofessionellen Bereich: Sie hat einen APS-C-Sensor mit 20,9 Megapixeln, schiesst bis 11 Bilder pro Sekunde, filmt in 4K und ist mit WLAN und Bluetooth ausgestattet – und ist mit einem offiziellen Preis von 1149 Franken das günstigste Modell von Nikons Z-Serie mit den spiegellosen Systemkameras.

Die digitalen Annehmlichkeiten

Dem Retro-Charme zum Trotz will Nikon den Nutzern keine digitalen Annehmlichkeiten vorenthalten: Nicht nur per Auslöser lässt es sich fotografieren, sondern auch, indem man am Touchdisplay den Punkt antippt, der scharf gestellt werden soll. Beim Filmen fokussiert die Kamera automatisch aufs Auge der Hauptperson scharf. Und eben: Das bereits erwähnte, dreh- und kippbare Display lädt geradewegs dazu ein, auch aus ungewöhnlichen Positionen zu fotografieren oder die Kamera für Selfies oder Youtube-Videos auf sich selbst zu richten.

Das ist die digitale Reinkarnation: Die Z fc ist eine spiegellose Systemkamera, die das Design des Nikon-Klassikers aufgreift.
Foto: Matthias Schüssler

Das Vorbild: Die Nikon FM2 mit Titangehäuse.
The FM2/T titanium version, Édouard Hue, CC BY-SA 3.0

Detailansicht beim Original: Die Nikon FM2 von 1981 mit Verschlusszeit, Filmempfindlichkeit, Auslöser und Spannhebel für den Film.
Foto: Getty Images/iStockphoto

… und so sieht die gleiche Stelle bei der Z fc aus. Die Zugeständnisse an die digitale Ära sind gut kaschiert: Einerseits der Schalter, mit dem zwischen Foto- und Videomodus umgeschaltet wird, andererseits die kleine digitale Blendenanzeige. Der Spannhebel für den Film wurde durch das Rädchen für die Belichtungskorrektur ersetzt.
Foto: Matthias Schüssler

Hier rechts ist das Rad für die ISO-Empfindlichkeit zu finden. Bei der Originalkamera findet sich die Kurbel, mit der der Film zurückgespult wird.
Foto: Matthias Schüssler

Ist das Display eingeklappt, gibt es bei der Digitalkamera wie beim Original nur eine nackte Rückseite zu sehen.
Foto: Matthias Schüssler

Natürlich lässt sich das Design auch einfach mit Marketing erklären: Die Z fc ist ein Hingucker, der sich wohltuend vom uniformen Erscheinungsbild bei den normalen Modellen abhebt, die sich auch über Herstellergrenzen während der letzten Jahre immer ähnlicher geworden sind. Auch als Fotograf kann man sich inszenieren, ohne gleich zum Rollfilm zurückkehren zu müssen.

Das Design bestimmt das Bewusstsein

Die Z fc orientiert sich beim Design an der Nikon FM2, die 1982 auf den Markt kam und noch bis 2001 gebaut wurde. Sie war damals schon ein Anachronismus. Sie widersetzte sich dem Trend zu den neuen elektronischen Hilfsmitteln, mit denen die Hersteller damals um die Gunst des Publikums warben. Es war eine mechanische Kamera, die auch ohne Batterie funktionierte und sich durch Robustheit von der Konkurrenz absetzen wollte – nicht durch technischen Schnickschnack.

Die charmantesten Retrokameras

Es ist keine neue Idee, brandneue Technik in ein historisch anmutendes Gehäuse zu stecken. Philips hat Ende der 1990er-Jahre die Vesta-Webcam im kugeligen 60er-Jahre-Design auf den Markt gebracht. Bei den Digitalkameras war es Fujifilm, die vor genau zehn Jahren einen Meilenstein gesetzt hat.

Die X100 – in unserer Besprechung als Diva unter den Kameras bezeichnet – imitierte die Funktionsweise einer Messsucherkamera, indem sie auf dem Display einen grösseren Bildausschnitt zeigte als auf dem fertigen Bild. Mit einer Festbrennweite von 35 Millimetern und einem Blendenring ist es ihr ausgezeichnet gelungen, den Spass an der Strassenfotografie ins digitale Zeitalter zu transportieren. Der aktuelle Nachfolger heisst Fujifilm X100V und ist der fünfte Nachfolger, der wiederum einen Hybridsucher hat und sich durch Witterungsbeständigkeit auszeichnet (offizieller Preis 1599 Franken).

Bei Leica klingt allein der Name nach fotografischer Tradition. Die Kompaktkameras haben einen so zeitlosen Look, dass sie als retro gelten dürfen, ohne es explizit zu sein. Die von Rafael Zeier hier getestete Leica Q2 Monochrom (6390 Franken) fotografiert auch in Digital nur Schwarzweiss, wie es sich viele altgediente Fotografen aus der analogen Zeit noch gewohnt sind: Vor den 1970er-Jahren gab es schon Farbfilme, sie blieben aber speziellen Anlässen vorbehalten und haben erst in den 1980ern die schwarzweisse Bildkultur abgelöst. Wem diese Kamera zu speziell ist, der sollte sich die Leica M10 ansehen: Sie ist die Nachfolgerin der Leica M3, die 1954 Massstäbe gesetzt hat – auch sie hat einen Leica-typischen Preis von 7950 Franken.

Eine hübsche, aber nicht mehr ganz neue Retrokamera von Canon ist die Powershot G9 X Mark II. (schü)

1999 der letzte Schrei: Eine Webcam im 1960er-Jahre-Design.
Foto: PD

Die Fujifilm X100V zeichnet sich durch einen hybriden Sucher aus, bei dem das optische Bild durch ein LCD überlagert wird.
PD

Zu zeitlos, um retro zu sein: Die Leica Q2 Monochrom.
PD

Die Leica M10 ist eine Messsucher-Kamera mit 24 Megapixeln und fast unhörbarem Auslöser.
PD

Die gut vierjährige PowerShot G9 X Mark II ist technisch nicht mehr ganz auf der Höhe, aber mit ihrem schlichten Design noch immer eine Schönheit.
PD

Die FM2 war in gewisser Weise selbst eine Retrokamera, die nicht dem wahllosen Geknipse Vorschub leisten wollte, sondern dem fotografischen Handwerk. Was will uns Nikon sagen, wenn nun ausgerechnet dieses Modell die Ehre einer modernen Inkarnation erfährt? Ist die Z fc vielleicht gar ein verstecktes Plädoyer für die fotografische Entschleunigung – oder zumindest ein Indiz dafür, dass es bei Nikon viele langjährige Mitarbeiter gibt, die mit warmen Gefühlen an jene Zeit zurückdenken, als die Konkurrenten Canon, Minolta, Pentax und Olympus hiessen und nicht Apple, Samsung, Huawei und Oppo?

Erstaunlicherweise (oder nicht) fotografiert es sich mit der Z fc tatsächlich anders als mit einer normalen Digitalkamera. Die Rädchen für die Empfindlichkeit (ISO-Zahl) und die Verschlusszeit laden dazu ein, mit manuellen Einstellungen zu fotografieren. Es gibt ein drittes Rad für die Belichtungskorrektur, das einen geradezu auffordert, mit der Belichtung zu experimentieren und sich an besonders dunklen oder hellen Bildern zu probieren – Low-Key- und High-Key-Fotografie nennt sich das.

Die Spiegelreflexkamera links ist zwar deutlich älter, sieht aber moderner aus – und wirkt im Vergleich deutlich bulliger. Für unauffällige Strassenfotografie ist sie sehr viel weniger geeignet.

Die Kamera fürs dezente Beobachten

Schliesslich liegt diese Kamera auch anders in der Hand. Sie ist dünner, und wie erwähnt fehlt auch die Ausstülpung rechts, die zwar einen sicheren Griff verleiht, die Kamera aber auch bullig macht. Das klassische Gehäuse wirkt im Vergleich geradezu filigran.

Das könnte man für eine Nebensächlichkeit halten, aber es drückt auch ein anderes Verständnis gegenüber der Fotografie aus. Moderne Kameras strahlen mehr Aggressivität aus – was vielleicht ein Zeichen der Zeit ist, zumal auch Autos in den letzten Jahren immer angriffslustigere Karosserien erhalten haben. Auch bei den modernen Kameras könnte man das Gefühl bekommen, dass die der Welt die Aufnahmen abtrotzen wollen, was durch die maschinengewehrähnlichen Verschlussgeräusche im Serienmodus noch unterstrichen wird. Die Z fc kann man sich hingegen gut in der Hand eines Beobachters vorstellen, der sich gern dezent im Hintergrund hält.

Quelle: Newsnetz, Dienstag, 31. August 2021

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