Die 6 grössten Foto-Mythen

Die beste Regel für tolle Ferienfotos ist, gegen alle Regeln zu verstossen

Manchmal sind es die gut gemeinten Ratschläge, die unsere Kreativität behindern. Für spannende Reiseerinnerungen soll man einige der bekannten Fotografietipps einfach mal links liegen lassen.

Matthias Schüssler

Er ist nicht der Erste, der auf die Idee kommt, den Schiefen Turm von Pisa zumindest fotografisch zu stützen – aber Hauptsache, es macht Spass.

«Sorry, aber deine Ferienfotos sind grauenvoll!» Das habe ich zu mir selbst gesagt, als ich meine alten, analogen Fotos aus den Achtziger- und Neunzigerjahren eingescannt und alle durchgesehen habe.

Ein hartes, aber gerechtfertigtes Urteil. Ich war 1989 mit Kamera in Paris, als die Franzosen ihre grosse Feier zum 200. Jahrestag der Französischen Revolution abgehalten haben. Doch revolutionär sind meine Bilder nicht – sondern so langweilig, dass man mich zur Strafe eigentlich hätte zur Guillotine führen müssen.

Drei meiner langweiligsten Fotos von damals: Der Eiffelturm bei Nacht (1989 war er 100 Jahre alt geworden.)
Foto: Matthias Schüssler

Sieht heute noch genau so aus: Das Centre Pompidou.
Foto: Matthias Schüssler

Verwackelt und unscharf – aber hier in der Metro sind wenigstens Menschen zu sehen!
Foto: Matthias Schüssler

Nach einigem Nachdenken ist mir aufgegangen, wie das passieren konnte. Ich hatte den Ratschlag aus dem Fotokurs verinnerlicht, auf Städtebildern sollten möglichst wenig Leute zu sehen sein. Ich glaubte damals auch, ein besserer Fotograf als die japanischen Touristen zu sein, die all die Pariser Bauwerke nur als Kulisse verwendeten, um sich ständig gegenseitig davor abzulichten. Das wollte ich auf keinen Fall.

Wegen dieser Regeln besitze ich eine Sammlung von Bildern, die man in einem Architekturkatalog abdrucken könnte, die aber überhaupt nichts über mich, meine Reise, meinen Begleiter und die Freundin meiner Grossmutter verrät, bei der wir damals in Paris gewohnt haben. Das ist jammerschade.

Aus dieser Enttäuschung habe ich eine Lehre gezogen: Ich werde mich künftig um all die Regeln foutieren, die von den Leuten stammen, die der Ansicht sind, man müsse die Fotografie als hohe Kunst betreiben. Muss man nicht – und schon gar nicht auf seinen Ferienreisen. Darum hier die sechs Mythen, die ich künftig ignorieren werde. (Obwohl ich zugegebenermassen einige davon auch schon zum Besten gegeben habe.)

Mythos 1: Selfies sind eitel und selbstgefällig

Google Streetview und die Bildersuche von einer x-beliebigen Internet-Suchmaschine fördern innert Sekunden hervorragende Aufnahmen zu jedem beliebigen Ort der Welt zutage. Es ist darum aussichtslos, zu versuchen, die eigenen Ferien mit neutralen, künstlerisch hochstehenden Bildern zu dokumentieren.

Selfies sind ein Muss, hier beim Goðafoss in Island. Besonders viel Spass machen sie, wenn man sie «blind» macht, ohne überhaupt aufs Display zu sehen.

Nein, die Fotos sollen unsere Reiseerzählung sein. Es ist Pflicht, selbst in den Bildern vorzukommen. Und ja, die ständige Selfieknipserei mit der zugehörigen Selbstinszenierung läuft einem irgendwann zuwider, wenn man nicht völlig egomanisch veranlagt ist. Es hilft, wenn man sich nicht immer nur im besten Licht zeigt: Darum fotografiere ich im Moment des maximalen Erschöpfungsgrads auf der Velotour – und drücke für die Gruppenbilder in den Familienferien meiner fünfjährigen Tochter die Kamera in die Hand.

Mythos 2: Der Automatikmodus ist böse

Die ernsthaften Fotografen wollen uns weismachen, gute Fotos würden nur im manuellen Modus geschossen. Klar, dieser Modus lehrt uns den Zusammenhang zwischen Blende und Belichtungszeit und gibt ein Gespür für die Lichtverhältnisse. Aber bei uns Laien absorbiert das viel zu viel Aufmerksamkeit. Vertrauen wir stattdessen auf die Automatik, die beim Smartphone sowieso kaum zu bändigen ist. Auch mit der grossen Kamera ist der automatische Modus nicht verkehrt, vor allem für schnelle Schnappschüsse.

Wer mag, kann die Belichtung während der Aufnahme korrigieren, indem er am Smartphone etwas länger aufs Display tippt und mit dem Regler heller oder dunkler macht. Aber man kann auch einfach so abdrücken und, wenn einem danach ist, das Bild hinterher perfektionieren.

Mythos 3: Der Horizont muss immer gerade sein

Nächste Regel: Man muss unbedingt auf einen geraden Horizont und eine handwerklich einwandfreie Bildkomposition achten. Darum wendet man die Drittel-Regel an oder orientiert sich am Goldenen Schnitt. Klar, dieser Tipp hat oft seine Berechtigung, zum Beispiel wenn man als Fotograf für eine Hochzeit engagiert wurde.

Whalewatching mit einem schaukelnden Bötchen auf den Azoren – da wäre ein gerader Horizont geradezu unglaubwürdig. Und auch die Wassertropfen auf der Linse tragen zur Authentizität bei.

Doch wenn es darum geht, mit Fotos von einer Bootstour zu erzählen, wirkt ein schräger Horizont abenteuerlich und wild. Das weiss im Übrigen jeder Kinobesucher. Im Film ist es gang und gäbe, mit der wackeligen Handkamera zu suggerieren, dass man nicht bloss Zuschauer, sondern an der Handlung beteiligt ist.

Mythos 4: Nur schlechte Fotografen bearbeiten nach

Viele Fotoprofis brüsten sich gerne damit, dass ihre Bilder perfekt aus der Kamera kommen und nur Amateure sie nachbearbeiten. Und natürlich darf man diesen Anspruch haben.

Ausgesuchte Apps, mit denen sich Bilder nachbearbeiten, in hübsche, für die sozialen Medien geeignete Präsentationen umwandeln und per Postkarte verschicken lassen. (Details zu den Apps siehe Kasten.)
Video: Boris Gygax und Matthias Schüssler

Möchte man seine Feriendestination nicht die ganze Zeit durch den Sucher der Kamera oder den Handybildschirm betrachten, dann ist die spontane Fotografie in Ordnung.

Aus Schnappschüssen lässt sich durch eine kurze Nachbearbeitung oft noch etwas herausholen: Die Belichtung, Kontrast und Farbe lassen sich schon mithilfe des Automatikknopfs optimieren, und die Bildwirkung lässt sich verbessern, wenn man den Zuschnitt anpasst. Es lohnt sich, mit radikalen Ausschnitten zu experimentieren, denn nirgends steht geschrieben, dass Bilder das immer gleiche Seitenformat haben müssen.

Eine sinnvolle Regel ist, mit genügend «Luft» ums Motiv zu fotografieren: Dann haben Sie mehr Spielraum, das Bild zuzuschneiden oder zu drehen, wenn sich ein gerade gerichteter Horizont trotz allem gut machen würde.

Mythos 5: Keine Fotos zur Mittagszeit

Eine eiserne Fotoregel besagt, dass man nicht um die Mittagszeit fotografieren soll: Das helle Licht ergibt harte Kontraste, die bei Porträts besonders unschön sind. Doch was will man machen, wenn man auf einer geführten Reise gerade zur Mittagszeit an einem besonders schönen Ort haltmacht? Aufs Fotografieren verzichten etwa?

Nein: Es gibt immer die Möglichkeit, aus der Not eine Tugend zu machen. Vielleicht kann die Sonne als Komparse im Bild erscheinen. Nicht zuletzt, wo sie auch der Grund ist, weswegen man sich für eine südliche Feriendestination entschieden hat. Probieren Sie, was Sie mit dem Schwarzweissmodus herausholen. Wenn Sie die grosse Kamera in ein sonniges Land mitnehmen, verwenden Sie den Aufhellblitz oder einen Polfilter. Er schluckt Sonnenlicht, verhindert Überbelichtungen und macht Farben satter.

Mythos 6: Niemals gegen die Sonne fotografieren

Verpönt ist schliesslich das Gegenlicht. Früher war diese Regel sinnvoll, weil es bei einer analogen Kamera viel Erfahrung brauchte, um gute Resultate zu erzielen. Im digitalen Zeitalter ist sie obsolet: Die Live-View-Ansicht am Display der Spiegelreflexkamera lässt keine Zweifel offen, wie die Belichtung ausfällt. Die meisten Smartphones haben eine automatische HDR-Funktion, die die riesigen Kontrastunterschiede abmildert und grossartige Bilder liefert.

Gegenlichtfotos? Aber sicher!

Und überhaupt: Das klassische Ferienmotiv schlechthin war schon immer eine Verletzung dieser Regel. Will man den Sonnenuntergang am Meer ablichten, fotografiert man notwendigerweise gegen die Sonne.

Da das nun so einfach ist, haben Sie umso mehr Spielraum für Experimente: Da die untergehende Sonne allein langweilig ist, bringen Sie sich selbst ins Bild; als Silhouette oder, wieso nicht?, per Blitz oder Taschenlampe beleuchtet.

So holen Sie alles aus Ihren Ferienbildern heraus

Nachbearbeitung

Apps fürs Smartphone, mit denen sich Bilder entweder automatisch oder mit manuellen Eingriffen aufpeppen lassen, gibt es wie Sand am Meer. Zwei der besten Alleskönner sind Snapseed (iPhone, iPad und Android) und Polarr (iPhone und Android): Erstere verbessert Fotos subtil oder trimmt sie mit dem Holzhammer auf Effekt, zweitere ist eine App, die fast so viel kann wie Photoshop, aber für die Handybedienung perfektioniert wurde.

Bearbeitungsspezialisten

SKRWT (iPhone und Android) ist ein idealer Begleiter für Städtereisen und Architekturfans. Die App perfektioniert Bilder von Gebäuden, indem sie perspektivische Verzerrungen und Linsenverzeichnungen wegrechnet. Facetune 2 (iPhone und Android, mit Abo) stellt sicher, dass man auf Selfies immer im besten Licht erscheint – auf die Gefahr hin, dass man der Wirklichkeit etwas nachhilft.

Posten und versenden

Adobe Spark Post (iPhone und Android) hält unzählige Vorlagen bereit, mit denen sich Fotos für den Versand über Messenger und soziale Medien in Form bringen lassen. Ob Collagen oder kleine Bildergeschichten, dank der Unterstützung durch künstliche Intelligenz erzielen auch Laien hübsche Grussbotschaften. Bildkompositionen, die für die Veröffentlichung in den sozialen Medien gedacht sind.

Damit Freunde, Bekannte und Verwandte die Meisterwerke auch zu sehen bekommen, verschicken Sie sie als Postkarte – was etwas altmodisch, aber noch immer charmanter als ein Facebook-Post ist. Postcard Creator (iPhone und Android) schenkt den Nutzern alle 24 Stunden eine Gratispostkarte zum Inlandtarif. Ifolor Photo Service (iPhone und Android) hat mehr Optionen für hübschere Postkarten, aber keinen Gratisversand. (schü.)

Quelle: Newsnetz, Dienstag, 13. Juli 2021

Rubrik und Tags:

Link zum Original

Metadaten
Thema: Newsnetz
Nr: 15686
Ausgabe:
Anzahl Subthemen: 1

Obsolete Datenfelder
Bilder:
Textlänge:
Ort:
Tabb: FALSCH