Katalog von Spotify und Netflix

Warum ist Kasperli plötzlich von Spotify verschwunden?

Was steckt dahinter, wenn bei Spotify Kinderhörspiele nicht mehr auffindbar sind und bei Netflix die Lieblingsserie fehlt? Wir sind den Gründen für die Lücken im Streamingangebot nachgegangen.

Matthias Schüssler

Streamingdienste haben ihre Tücken – doch am Schluss ist die Welt wieder in Ordnung.

Anfang Juni waren viele Schweizer Haushalte von einer Tragödie betroffen. Und nein, Tragödie ist kein zu grosses Wort, wenn man sich die Empörung, das Unverständnis und die Tobsuchtsanfälle vor Augen führt, zu denen kleinere und grössere Kinder in der Lage sind, denen etwas vorenthalten wird.

Betroffen waren jene Familien, in denen zur Bespassung der Kinder Streamingdienste zum Einsatz kommen. Denn plötzlich waren wesentliche Teile des Unterhaltungsangebots für Kinder sang- und klanglos verschwunden.

Von den 22 Kasperli-Hörspielen mit Jörg Schneider, Ines Torelli und Paul Bühlmann waren nur noch zwei auffindbar: «Wir stellten das schmerzlich fest, als wir in den Frühlingsferien waren und extra keine CDs mitgeschleppt haben. Es gab dann eine Woche lang Joggel und Toggel und den Tüfel Luuspelz», klagte ein betroffener Vater in den sozialen Medien.

Nicht nur auf Spotify war Kasperli abgetaucht, auch bei Apple Music mussten die Nutzer auf die vielen von Jörg Schneider, Ines Torelli und Paul Bühlmann zum Leben erweckten Figuren verzichten. Hatten sich die Streaminganbieter etwa gegen unsere Kinder verschworen? Sogleich wurde via Twitter Spotifys Kundendienst zur Rede gestellt. Doch @SpotifyCares konnte keine Erklärung liefern.

Wie erklärt man das dem Kind?

Das befeuerte den Unmut noch mehr: Wie kann es sein, dass Spotify solche Abgänge aus dem Katalog nicht erklären kann? Wie soll man das bloss seinen Kindern erklären, wenn man es selbst nicht kapiert?

Die Gründe werden verständlich, wenn man die Arbeitsweise der Streamingdienste näher beleuchtet. Spotify verwaltet seinen Katalog nicht selbst: Für diese Aufgabe sind die Distributoren zuständig. Sie handeln im Auftrag der Plattenfirmen oder Künstler und erhalten über ein sogenanntes Backend Zugang zu den Servern der Anbieter. Sie stellen dort die Titel ein und können sie auch wieder entfernen. Spotify arbeitet mit sechs Distributoren zusammen, plus mit einigen Diensten der Musiklabel. Bekannte Distributoren sind Distrokid und Awal. Letzterer unterstützt auch Künstler, die bei keinem Musiklabel unter Vertrag sind. Er wurde seinerzeit gegründet, um Musikern dabei zu helfen, ihre Songs über den iTunes-Store von Apple zu vertreiben.

Netflix pflegt den Katalog nicht selbst

Diese Distributoren stellen sicher, dass die hochgeladenen Titel die Anforderungen erfüllen: Sie müssen korrekte Metadaten aufweisen, das heisst richtig beschriftet sein, die Vorgaben zur Lautstärke erfüllen. Sie können Songs mit einer «Canvas» versehen: Das ist ein Kurzfilm von acht Sekunden, der während der Wiedergabe wie ein Mini-Musikvideo in der App ersichtlich ist.

Da die Distributoren im Auftrag der Plattenfirmen oder Künstler handeln, können sie Titel jederzeit zurückziehen. Sie sind Spotify dafür keine Rechenschaft schuldig, was erklärt, dass der Kundendienst im Fall des verschwundenen Kinderhelds tatsächlich nicht weiss, was aus ihm geworden ist.

Im Oktober 1982 gab es Goldene Schallplatten für eine Million verkaufter Kasperli-Tonträger – und auch heute werden Jörg Schneider, Ines Torelli, Heinz Steiger, Paul Bühlmann schmerzlich vermisst, wenn sie von den Streamingplattformen verschwinden.

Gründe für den Rückzug gibt es viele; doch nur selten erreichen sie die Presse. 2018 hat Rapper Kendrick Lamar damit gedroht, seine Musik abzuziehen, weil Spotify zuvor eine neue Regelung gegen Hass hatte durchsetzen wollen. Sie hätte dazu geführt, dass Künstler wie der Soulsänger R. Kelly und der später ermordete Rapper XXXTentacion aus den öffentlichen Wiedergabelisten verschwunden wären, weil gegen sie Vorwürfe zu sexuellen bzw. gewalttätigen Übergriffen im Raum standen. Und im März dieses Jahres waren Hunderte Songs aus dem K-Pop-Genre verschwunden, weil sich Spotify und der koreanische Musikverleger sich nicht über einen neuen Lizenzdeal einigen konnten. Nach knapp zwei Wochen war dieses Geplänkel beigelegt.

Eine simple Neuorganisation

Lücken im Katalog können ein Anzeichen für Konflikte dieser Art sein. Doch im Fall von Kasperli war die Sache harmlos: Das Zürcher Plattenlabel Tudor Records, Hüter über die Hörspiele, erklärt auf Anfrage, man habe den Katalog neu organisiert, und das habe mit sechs Wochen wider Erwarten lange gedauert. Die Kinder-Produktionen sind neu bei den gesprochenen Inhalten einsortiert worden, und ausserdem werden derzeit Titel hinzugefügt, die auf Tonträger vergriffen sind. Die Dialektfassungen der Brüder-Grimm-Märchen von Jörg Schneider tauchen auf, aber auch die Hotzenplotz-Geschichten und Pippi Langstrumpf in Schweizerdeutsch werden dazukommen, letztlich das ganze Kinderrepertoire: Und so nimmt diese Kasperli-Geschichte doch noch ein gutes Ende.

Keine bösen Netflix-Überraschungen: Wie Sie Serien rechtzeitig zu Ende sehen

Auch bei Netflix ist ein stetes Kommen und Gehen: Der Katalog wird zwar ausgebaut, aber es gibt auch Abgänge zu verzeichnen. Das hat mit dem ausgeklügelten – um nicht zu sagen: komplizierten – System zu tun, nachdem die Studios ihre Filme und Serien lizenzieren.

Netflix ist zwar der Herr des eigenen Katalogs, doch die internationalen Rechte zum Streaming sind in aller Regel zeitlich begrenzt und im entsprechenden Supportdokument macht Netflix keinen Hehl daraus, dass nach Ablauf genau geprüft wird, ob sich eine Verlängerung lohnt, sprich, ob das Interesse der Abonnenten den Lizenzpreis rechtfertigt.

Mit den neuen Streamingdiensten von Amazon oder Disney ist auch das Gerangel um die Lizenzen härter geworden. Ein Beispiel ist die Serie «Friends», für die sich Netflix die Rechte von 2018 und 2019 für 100 Millionen Dollar gesichert hatte. 2020 war sie bei Amazon Prime Video zu sehen, doch in diesem Jahr ist sie zurück bei Netflix.

Achtung: Wer jetzt noch «Sherlock» sehen will, muss sich sputen – die Serie läuft nur noch bis zum 10. Juli bei Netflix.
Screenshot: schü

Wie aber schützt man sich als Kunde davor, dass eine Serie nicht verschwindet, bevor man sie zu Ende geschaut hat? Netflix weist auf der Detailseite mit ungefähr einem Monat Vorlauf hin, ab welchem Datum der Titel weg ist. Eine Übersicht der Abgänge findet sich auf der Website whats-on-netflix.com in der Kategorie «Leaving soon»: Die auslaufenden Titel für einzelne Länder inklusive Schweiz finden sich auf unogs.com/countrydetail. (schü.)

Quelle: Newsnetz, Mittwoch, 23. Juni 2021

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