Ein raffinierter Smartphone-Hack, um Gaffer zu erziehen

QR-Code am Unfallort Ein Berliner Rettungsdienst testet eine Methode, die Schaulustige von ihrem oft gefährlichen Tun abbringen soll.

Klar, Neugierde ist menschlich. Nur hat sie bei Unglücken wie Unfällen, Naturkatastrophen oder Gewalttaten oft den nachteiligen Effekt, dass die Leute, die ihre Neugierde befriedigen, selbst zum Problem werden: Sie behindern Rettungskräfte, verwischen Spuren und verbreiten eine karnevalhafte Atmosphäre.

Mit dem Smartphone wurde dieses Problem noch verschärft: Viele zufällige Zeugen wollen die Geschehnisse fotografieren oder filmen, um die Aufnahmen hinterher in sozialen Medien zu veröffentlichen.

Ein Berliner Rettungsdienst greift die Idee einer Werbeagentur auf, um auf das Problem aufmerksam zu machen – und zwar genau in dem Moment, in dem Augenzeugen zu Gaffern werden.

Warnung auf Handydisplay

Die Johanniter-Unfall-Hilfe setzt auf QR-Codes und die Tatsache, dass die meisten modernen Smartphones diese Codes in der Kamera-App während des Fotografierens erkennen. Auf den Rettungsfahrzeugen und an der Ausrüstung der Mitarbeiter werden Codes angebracht, die im Handy-Display die unmissverständliche Botschaft «Gaffen tötet» zur Anzeige bringt.

Im Rahmen des Pilotprojekts werden acht Rettungswagen und ein Intensivtransportwagen ausgestattet; die Codes kommen auch auf Sichtblenden, mit denen Unfallorte abgeschirmt werden. Damit die QR-Codes nicht sofort erkennbar sind, werden sie durch ein extra entworfenes Design getarnt.

Es geht offensichtlich nicht nur um die Aufklärung der Schaulustigen, sondern auch darum, ihnen einen heilsamen Schrecken zu verpassen. Denn wer sich fragt, woher das Telefon weiss, dass man gerade ein Voyeur ist, der wird nachhaltiger beeindruckt sein als Nutzer, die den Trick durchschauen. Ein Sprecher der Johanniter hofft, dass dieser Tech-Hack eine breite Wirkung zeigen wird: «Die innovative Idee hat das Potenzial, eine sehr breite Öffentlichkeit zu erreichen und viele Menschen zum Umdenken zu bewegen.»

Nützt der Trick?

Ob die QR-Codes definitiv eingeführt werden, soll nach der Testphase entschieden werden. Die Johanniter hoffen auf Nachahmer: Die Gaffer seien ein Riesenproblem für Rettungsdienste: Schaulustige würden nämlich oft den Zugang zu einem Unfallort oder die Rettungskräfte direkt behindern. Bislang haben weder Appelle noch die in Deutschland eingeführte Strafbarkeit die Situation verbessert. Auch in der Schweiz können Gaffer belangt werden, wenn sie den Verkehr beeinträchtigen oder mit ihren Fotos das Persönlichkeitsrecht der Abgebildeten verletzen.

Die Idee stammt von der Agentur Scholz & Friends, die auch in Zürich eine Niederlassung hat. Chef Tobias Händler sagt, bislang sei die Idee in der Schweiz nicht aufgegriffen worden: «Aber es würde uns freuen, wenn auch hier Interesse geweckt würde.» So oder so dürfte der Hack mit dem QR-Code Nachahmer finden und bald weitere fotogene Objekte so ausgestattet werden, dass sie uns beim Knipsen warnen.

Matthias Schüssler

Ein getarnter QR-Code auf dem Ambulanzwagen warnt Fotografen. Foto: Screenshot Youtube

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 5. Mai 2021

Rubrik und Tags:

Faksimile
210505 TA Seite 31.pdf

Die Faksimile-Dateien stehen nur bei Artikeln zur Verfügung, die vor mindestens 15 Jahren erschienen sind.

Metadaten
Thema: Abmacher
Nr: 15651
Ausgabe:
Anzahl Subthemen: 1

Obsolete Datenfelder
Bilder:
Textlänge:
Ort:
Tabb: FALSCH