Digitaler Bandsalat

Die Kassette lebt – als Smartphone-App

Letzte Woche ist Lou Ottens, der Erfinder der Kompaktkassette, gestorben. Seine Erfindung hat in den 1970er- und 1980er-Jahren eine Revolution ausgelöst. Heute lebt sie in Form von charmanten Apps weiter.

Matthias Schüssler

Ja, es gab schon Musikrevolutionen vor Spotify und MP3. Der Walkman war so eine: Ende der 1970er-Jahre hatte man seine Musik dank dieser Erfindung von Sony auch unterwegs dabei – und vor allem Jugendliche machten von dieser neuen Freiheit noch so gerne Gebrauch.

Diese Freiheit wäre nicht möglich gewesen ohne die Erfindung, die ein holländischer Techniktüftler einige Jahre zuvor gemacht hatte: Lou Ottens arbeitete als Produktentwickler für den Elektronikkonzern Philips, und er war massgeblich an der Entwicklung der Kompaktkassette beteiligt. Philips hat sie 1963 an der Berliner Funkausstellung IFA der Weltöffentlichkeit präsentiert, zusammen mit dem passenden Abspielgerät, dem EL 3300. Lou Ottens ist letzte Woche im Alter von 94 Jahren gestorben. Und obwohl er auch die Audio-CD miterfunden hat, ist Ottens in den Nachrufen als Vater der Musikkassette gewürdigt worden.

Technisch überholt, aber der Charme bleibt

Das kommt nicht von ungefähr: Die Audio-CD ist technisch überlegen, doch ihr haftet auch etwas Steriles an: perfekter Klang, aber kaum Emotionen. Im Gegensatz dazu ist die Kassette mitsamt dem Bandrauschen und dem Bandsalat eine Ikone unserer Jugend – die auch viele der späteren Querelen mit dem MP3-Format schon vorweggenommen hat. Der Verband der britischen Musikindustrie hat deswegen in den 1980ern eine Kampagne gegen die Kassette und gegen Aufnahmen ab Radio geführt: «Home Taping Is Killing Music» – gemeint war, das Selbstaufnehmen töte das Musikgeschäft.

Magnetola simuliert mit den Reglern auch den dumpfen Sound dieses alles andere als perfekten Musikträgers.
Screenshot: schü.

Cassette Gold hält Kassetten von diversen Herstellern bereit.
Screenshot: schü.

Casse-o-player zeigt im Hochformat ein Kassettendeck. Im Querformat ist nur die Kassette selbst zu sehen.
Screenshot: schü.

Die Auswahl an Kassetten bei Casse-o-player.
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Der Clou bei Voice Recorder: Mit dieser App kann man selbst aufnehmen.
Screenshot: schü.

Auch wenn heute nur noch die ganz verwegenen Digitalverweigerer mit einem Walkman unterwegs sind, kann man dieser unvergessenen Station der Technikgeschichte Tribut zollen: nämlich durch eine der charmanten Kassetten-Apps, die zwar mit digitalen Musikdateien gefüttert werden, aber (fast) wie ein Kassettenrekorder bedient werden:

Magnetola verwandelt Wiedergabelisten aus der Mediathek des Geräts in Mix-Tapes: Während der Wiedergabe drehen sich die Bandspulen. Drückt man eine Taste, gibt es Klackgeräusche, und beim Spulen simuliert die App das Surren der Wiedergabe mit mehrfacher Geschwindigkeit. Wer mag, kann über die Regler sogar die dumpfe Tonqualität der Kassette simulieren. Die App ist kostenlos fürs iPhone.

Cassette Gold zeigt im Querformat eine Kassette. Auch bei der App drehen sich während der Wiedergabe die Spulen. Ein Tippen aufs Display startet und stoppt die Wiedergabe, und durch vertikales Wischen wählt man die Optik der Kassette. Die gängigen Hersteller, ob Denon, BASF, Sony oder TDK sind vertreten – aus markenrechtlichen Gründen allerdings leicht verfremdet. 1 Franken für iPhone/iPad.

Casse-o-player orientiert sich optisch am Kassettendeck einer Stereoanlage und ist deswegen fast schon zu viel Hightech. In dieser App wählt man nicht nur den Look der Kassetten, sondern auch die Optik der Lautstärkeanzeige. Kostenlos für Android. Und für Nostalgiker, die mit dem Kassettenrekorder auch selbst Aufnahmen gemacht haben, ist Voice Recorder die passende App: Mit ihr kann man virtuelle Kassetten auch bespielen. Kostenlos für Android.

Lou Ottens hat mehr als eine Musikrevolution begleitet. Doch am besten bekannt ist er als der Vater der Kompaktkassette.

Quelle: Newsnetz, Dienstag, 16. März 2021

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