Unbekannte Computer-Legenden

Sie brachte den Mac zum Lächeln

Vom Fortschrittsbalken zum «Strandball des Todes»: Wie IT-Erfindungen zu kulturellen Phänomenen wurden. Und welche Menschen dahinterstehen.

Matthias Schüssler

Die Mutter aller Computer-Icons: Susan Kare hat das Erscheinungsbild des Macs massgeblich geprägt.

Mehrere Hundert Millionen Videokonferenzen finden täglich statt. Vom Küchentisch oder aus dem Schlafzimmer Vorstellungsgespräche zu führen und Konferenzen zu leiten, ist zur neuen Normalität geworden. Genauso wie die Kolleginnen und Kollegen, die am Bildschirm zu einem lebendigen Setzkasten aneinandergereiht sind.

Es ist nur ein Beispiel für ein ästhetisches oder kulturelles Phänomen aus der IT-Welt, das unseren Alltag oder unsere Sprechweise geprägt hat. Wie diese Chiffren entstanden sind, zeigt unsere Übersicht.

Der Reset: Control-Alt-Delete alias «Affengriff»

Die Tastenkombination mit Control-, Alt- und Löschtaste bewegt einen abgestürzten Computer zu einem Neustart, ohne dass der Nutzer das Stromkabel ziehen muss. Doch was ursprünglich als Notfallmassnahme gedacht war, hat sich in unserem kulturellen Bewusstsein verankert: Control-Alt-Delete steht für die seltsamen Gebräuche, die der Personal Computer den Anwendern aufnötigt. Die Tastenkombination wurde in Kreuzworträtseln, als Quizfrage in Fernsehsendungen und in Songtexten verewigt: Der Neustart, der «Reset» ist eine gesellschaftliche Chiffre.

Der Erfinder, David J. Bradley, hat sich immer darüber gewundert, dass er für diesen Einfall berühmt geworden ist. Bradley war Teil des zwölfköpfigen Teams bei IBM, das Anfang der 80er-Jahre den Orginal-IBM-PC entwickelt hat. Er hattte Control-Alt-Delete nur für interne Zwecke vorgesehen. Doch die Tastenkombination hat es ins Handbuch geschafft, und so hat die Welt von ihr erfahren.

Sanduhr und Strandball des Todes

Der Mauszeiger geht auf den Maus-Erfinder Douglas C. Engelbart zurück. Der grafische Cursor wurde ungefähr 1981 am Xerox Palo Alto Research Center gestaltet. Schon damals stand er schief: So ist er bei niedrigen Bildschirmauflösungen nämlich besser zu erkennen.

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Wenn Nutzer zum Warten verdammt sind, verwandelt sich der Cursor in eine Sanduhr oder in das farbig drehende Rad, das umgangssprachlich «Strandball des Todes» heisst. Diese Erfindung, von der Band Deichkind prominent in der PC-Hymne «Ich und mein Computer» gewürdigt, wird Bill Atkinson zugeschrieben. Dieser Programmierer war wesentlich an den Grafikfunktionen des ersten Apple Macintosh beteiligt.

Der Zeigefinger-Cursor am Mac wurde der Legende nach von Micky Maus inspiriert.

Es ist auch kein Zufall, dass dieser Zeigefinger am Mac einen Handschuh trägt: Das ist eine Reminiszenz an die legendäre Micky-Maus-Armbanduhr von Ingersoll-Waterbury aus den 30er-Jahren, bei der die Comicmaus mit behandschuhtem Finger die Uhrzeit deutet.

Icons und Systemsounds

David Canfield Smith hatte die Idee, die grafische Benutzeroberfläche eines Computers als Desktop darzustellen. Smith hat zwischen 1976 und 1983 am legendären Forschungszentrum Xerox Park gearbeitet und den Xerox Star mitentwickelt. Das ist der allererste Computer mit grafischer Benutzeroberfläche, der auch Steve Jobs zum Macintosh inspiriert hat.

Beim Xerox Star werden Drucker, Mailbox und andere Objekte als grafische Symbole repräsentiert. Die ersten Entwürfe dieser Symbole stammten vom texanischen Künstler Norm Cox. Doch massgeblich hat eine Frau das Aussehen der Betriebssysteme geprägt – und zwar bis heute: Susan Kare hat dem Apple Macintosh sein unverwechselbares Erscheinungsbild verschafft und nebst der Typografie auch die Icons (der lächelnde Mac!) bestimmt – und so mit einer gezeichneten Sprache die Emojis vorweggenommen.

Ein Computer, der über Bilder kommuniziert: Icon der frühen Mac-Modelle.

Für Microsoft hat Kare Windows-Symbole entworfen und für IBM an OS/2 gearbeitet. Die Sounds, die für Macs so typisch sind, stammen von Jim Reekes. Er hat auch das Kameraklicken beigesteuert, das heute beim iPhone ertönt, wenn wir ein Foto machen.

Undo

Computer-Wissenschaftler David Canfield Smith hat noch mehr zur grafischen Benutzeroberfläche beigesteuert: Er hat eine Reihe von universellen Befehlen erfunden, die prägend für die Arbeitsweise mit diesen Systemen sind: Das Kopieren und Löschen und die Anzeige von Eigenschaften. Besonders legendär ist der Undo-Befehl, der eine Aktion rückgängig macht und den Smith durch den Wiederholen-Befehl (Again) ergänzt hat. Smith hat auch die Dialogboxen erfunden, die dem Benutzer die verfügbaren Optionen anbieten, sodass er sie nicht auswendig lernen muss.

Copy-Paste

Copy-Paste ist längst mehr als eine technische Funktion und zu einem Synonym für eine Mix- und Remix-Kultur geworden. Auch das Kopieren und Einfügen ist am Forschungszentrum Xerox Parc entwickelt worden. Als Erfinder der Methode gilt Larry Tesler, der ab 1973 dort gearbeitet hat. Der Informatiker gestaltete 1975 für das Dokumentenverwaltungsprogramm Gypsy eine Funktion benutzerfreundlicher, die erstmals in TVEdit aufgetaucht war. Das gehört zu den ältesten Textverarbeitungsprogrammen überhaupt.

Larry Tesler hat die Copy-Paste-Funktion salonfähig gemacht – und ja, die Blumen sehen aus wie kopiert und eingefügt.

Gypsy verwendete noch eine weitere von Teslers Erfindungen, nämlich WYSIWYG: Das Prinzip «What you see is what you get» besagt, dass Dokumente am Bildschirm genauso aussehen wie auf Papier ausgedruckt.

Der Fortschrittsbalken

Der Fortschrittsbalken zeigt an, dass sich selbst der schnellste Computer nicht hetzen lässt. Die Wurzeln dieses Elements reichen ins Vor-Computer-Zeitalter zum polnischen Wirtschaftswissenschaftler Karol Adamiecki zurück.

Spätestens mit diesem Witz der Simpsons ist der Fortschrittsbalken zu einem allgemeinen Kulturgut geworden.

Touch-Gesten

Apple hat 2012 behauptet, die Gesten zur Steuerung von Geräten via Touchscreen erfunden und patentiert zu haben. Dazu gehört die Kneifgeste, mit der man einen Bereich vergrössert. Apple vertrat die Ansicht, Samsung hätte bei den Galaxy-Modellen zu viele Anleihen beim iPhone gemacht. Die Gerichte sind diesem Vorwurf aber nicht gefolgt.

Tatsache ist, dass schon in der zweiten Hälfte der 60er-Jahre in Grossbritannien Touchsysteme für die Flugsicherung eingesetzt worden waren. An den Multitouch-Bediengesten mit mehreren Fingern wurden in den 80er-Jahren nicht nur an Universitäten, sondern auch bei privaten Unternehmen geforscht. An der Uni in Pittsburgh wurde 1985 die Kneifgeste zur Vergrösserung eines Bereichs demonstriert. Das Magazin der Uni veröffentlichte 2017 eine Geheimhaltungserklärung, die Steve Jobs bei einem Besuch im Labor unterschrieben hatte.

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The Blue Screen of Death

Den blauen Stoppbildschirm, so wie wir ihn von einem Komplettabsturz her kennen, hat Microsoft erfunden. Es gibt ihn seit der ersten Version von Windows, und auch wenn er inzwischen zum Glück selten geworden ist, geniesst er Kultstatus.

Doch die Meldungen, die ein Computer quasi als letztes Lebenszeichen von sich gibt, existierten schon vorher. IBMs Grossrechner der Serie System/360, das im April 1964 eingeführt wurde, hat in solchen Fällen die Meldung «abend» ausgegeben. Das stand nicht für den verfrühten Feierabend, sondern für «abnormal end» – ein nicht normales Programmende.

Der Bluescreen kam zwar erst später, doch schon IBMs System 360, 1973 im VW-Werk Wolfsburg aufgenommen, hat Programmfehler mit einer Vollbremsung quittiert.

Quelle: Newsnetz, Mittwoch, 3. März 2021

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