Hype-App Clubhouse im Selbsttest
Mal schnell Gössi und Gottschalk treffen
Clubhouse geht grad ziemlich ab, wir ziehen mit und klicken uns ab 7:45 Uhr rein. 10:09 Uhr ein Klatsch mit Thomas Gottschalk – der enttäuscht. Unser Fazit zur Social-App.
Matthias Schüssler
Montagmorgen, 7.45 Uhr
Hätte die neue Hype-App Clubhouse eine Hymne, sie käme von den Rolling Stones: «You don’t always get what you want». Ich wünsche mir Motivation für den Wochenstart, doch das Diskussionsgrüppchen im Raum Before I go to bed steckt noch im Sonntagabend fest. Es sitzt mehrheitlich an der US-Westküste und ist gar nicht schlafensmüde. Ich komme mir vor wie damals, als ich mit dem Kurzwellenradio meiner Grosseltern im globalen Äther auf Entdeckungstour ging. Ausser, dass ich mich ins Gespräch einklinken könnte, wenn mir danach wäre.
9 Uhr
Die einheimischen Nutzer sind wach. Im Raum Mentig, aber mir si gliich ufgstande ist nebst anderen Technik-Bloggern Kevin Kyburz zugegen. Es geht, wie häufig, um die neue App selbst. Es wird der Clubhouse-Knigge diskutiert. Darf man ohne Verabschiedung aus einem Gespräch rauslaufen? Natürlich, dafür ist der «Leave quietly»-Knopf da.
9.15 Uhr
Im Ruheraum mit 32 Teilnehmern die Stille geniessen: die höchste Form von Social Media.
9.37 Uhr
Im Raum World Record for Charity werden in einem Marathon alle «Harry Potter»-Bände gelesen. Im Moment stecken sie bei Kapitel acht aus dem Buch «Order of the Phoenix», das passenderweise «The Hearing» heisst. Sheera ist keine professionelle Sprecherin, liest aber engagiert genug, dass ich vom Clubhouse-Enthusiasmus gepackt werde: gemeinsames Geschichtenerzählen am globalen Lagerfeuer: grossartig!
9.52 Uhr
Frühstück mit der FDP. Ich erwische nur das Ende und erfahre, dass Petra Gössi nun einige Videoanrufe führen wird.
10.03 Uhr
In The future of Brands eruieren Marketing-Menschen Methoden, um Clubhouse für Vermarktungszwecke zu nutzen. Es herrscht ein rauer Umgangston. Mich beschleicht die Ahnung, dass Clubhouse den Weg von Instagram gehen könnte, wenn die Werbetreibenden übernehmen – und zum Tummelfeld der Influencer wird.
10.09 Uhr
Journalistischer Kaffeeplausch mit Fernsehlegende Thomas Gottschalk. Er lässt sich über die Beziehung zwischen Promis und Medien aus: «Wenn ich meinen knackigen Hintern im Sommer im Mittelmeer versenke und mich von den Paparazzi fotografieren lassen, darf ich mich nicht wundern, wenn ich weinend am Grab meiner Eltern fotografiert werde.»
Bei ungefähr 1400 Leuten im Chat habe ich keine Chance auf eine Wortmeldung und verliere das Interesse, als sich Gottschalk fragt, ob Journalisten seine Aussagen hier aufgreifen werden. Das sei hiermit erledigt, Herr Gottschalk.
10.24 Uhr
Um die Seite des Moderators zu erleben, starten Kollege Rafael Zeier und ich einen namenlosen Raum, und diskutieren aktuelle Digitalthemen. Das Publikum bleibt nicht aus: Nach einer Minute sind fünf Leute da, nach einer halben Stunde 70.
Die Lust auf tiefschürfende Gespräche anstelle kürzer Statusupdates.
Als drängendstes Thema kristallisiert sich der Onlineunterricht an den Schulen heraus. Es entsteht ad hoc eine leidenschaftliche Diskussion, die einem geplanten Panel in nichts nachsteht: Digitalisierungsbefürworter, ein Lehrer, eine Schülerin, ein Schulleiter und ein Experte der Deutschen Telekom argumentieren faktenreich.
Die Lust auf dieses neue soziale Medium ist mit Händen greifbar. Sie wird befeuert durch den zunehmenden Frust über Facebook und Twitter. Aber wird sie anhalten?
11.30 Uhr
Die Diskussion in unserem Raum verselbstständigt sich endgültig, als Rafael und ich uns zum Mittagessen abmelden. Ich bin beeindruckt von Clubhouse als Crowdsourcing-Instrument, sehe aber die Gefahr der Bubble-Bildung: Es meldeten sich ein Dutzend Männer, aber nur eine Frau zu Wort.
12.14 Uhr
Clubhouse bleibt eine Wundertüte: Im Raum Lunch Talk: Fischbrötchen trifft sich die Hamburger Finanzbranche zu einem Plausch. Nebst dem Chef der Sydbank ist auch Thorsten Hahn mit dabei. Er ist Gründer des Bankingclubs, einer digitalen Community für die Finanzbranche. Es geht um Kredite an Unternehmen, die unter Corona leiden.
12.55 Uhr
Im Raum Mittagspause läuft ein unverbindliches Gespräch in der virtuellen Kantine. Die Erkenntnis: Wenn man Mundart spricht, macht man das im Raumnamen durch eine Schweizerfahne kenntlich. So läuft keiner gegen eine Sprachbarriere.
15 Uhr
Die Amerikaner sind wach, das Angebot wird grösser. In der Go to Hell Morning Show gibt es eine engagierte Diskussion unter schwarzen Frauen zu Identitätsfragen. 24 Leute sind als Sprecher markiert und dürfen sich ins Gespräch einbringen. Das überfordert mich: Solche Riesen-Panels lassen sich, wenn überhaupt, nur mit einer klaren Gesprächsführung in den Griff bekommen.
20 Uhr
Im Raum Wie wird man Kika-Moderatorin? geben Schauspieler und eine Moderatorin des Kinderkanals von ARD und ZDF Tipps, wie man einen Fernsehjob bekommt. Sie liefern konkrete Antworten auf Fragen aus dem Publikum.
Es dürfte schwierig sein, auf anderem Weg so einfach an eine solche Beratung zu kommen. Aber Clubhouse-Gespräche werden nicht aufgezeichnet: Es bleibt Glückssache, gerade dann einen solchen Raum aufzuspüren, wenn man den Beratungsbedarf hat.
22.20 Uhr
Ich ziehe die Reissleine und klinke mich aus. Denn auch wenn das Angebot dünner wird, dient mir ein Kollege vom «Blick» als warnendes Beispiel: Er hat in der Nacht zuvor den Absprung nicht geschafft und sich die Nacht um die Ohren gehauen.