35 Jahre Windows

Warum Windows nicht untergegangen ist

Vor 35 Jahren ist die erste Version von Microsofts PC-Betriebssystem auf den Markt gekommen. Sie war so schlecht, dass sie auch die letzte Version hätte sein können. Doch Microsoft hat schon damals seine grösste Tugend bewiesen: Durchhaltevermögen.

Matthias Schüssler

Im November 1985 war es endlich so weit: Nach einer langen und beschwerlichen Entwicklungszeit war das ambitionierte Produkt bereit für die Veröffentlichung: Microsofts eigene grafische Benutzeroberfläche, mit der Bill Gates und seine Mitstreiter dem grossen Konkurrenten Apple Paroli bieten wollten.

Zwei Jahre zuvor, im Januar 1983, hatte Apple mit dem Desktop-Computer Lisa eine eindrückliche Vorlage abgeliefert, wie Computer in Zukunft zu benutzen sein würden: mit Maus und einer Bedienoberfläche, die selbsterklärend war. Microsofts Paradeprodukt zu der Zeit war das DOS-Betriebssystem, das über den sogenannten Prompt gesteuert wurde – die Befehlseingabezeile, die man nur sinnvoll verwenden konnte, wenn man die wichtigsten Kommandos auswendig gewusst hat.

Der Windows-Launch an der Comdex-Messe 1985 wurde als «Roast» abgehalten: Tech-Journalist John C. Dvorak hat sich damals nach Kräften über Bill Gates und Steve Ballmer lustig gemacht. Bei der Vorführung von Windows soll Gates sogar zusammen mit Ballmer das Lied «The Impossible Dream» gesungen haben.
Foto: Microsoft

Zur Feier des Jubiläums wurde zumindest ein Teil dieses Beitrags in Write geschrieben, dem mit Windows 1.0 mitgelieferten Schreibprogramm.
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Das Startmenü gab es noch nicht, auch keine Programm-Icons: Bei Windows 1.0 wurden Anwendungen über diese karge Textliste hier ausgeführt.
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Auch überlappen durften sich die Fenster damals nicht: Das höchste der Gefühle war, sie nebeneinander anzuordnen. (Immerhin ging das schon damals deutlich einfacher als heute am iPad.)
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Ein Taschenrechner-Programm gehörte mit zum Funktionsumfang.
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Die Systemsteuerung zeigte sich übersichtlich: Nebst dem Datum und der Zeit konnte man die Blinkrate des Cursors und die Doppelklick-Geschwindigkeit für die Maus einstellen – und natürlich den Drucker konfigurieren.
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Dieser Dialog dürfte Mac-Anwendern vertraut vorkommen: Die Einstellungen zu den Fensterfarben gab es ganz ähnlich bei der Konkurrenz.
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Zum Vergleich: Das System 1.1 von Apple aus dem April 1984 sah deutlich mehr nach Desktop-Betriebssystem aus als Windows.
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Windows hatte offensichtliche Vorteile gegenüber DOS, jenem Betriebssystem, das Microsoft dem Entwickler Tim Paterson für 50’000 US-Dollar abgekauft und dank eines ausgezeichneten Vertrags mit IBM auf den IBM-PC gebracht hatte, mit dem der Technologiekonzern ab 1981 den Personal-Computer-Markt regelrecht aufgerollt hatte. Microsoft tat auch einiges, um sein neues Produkt ins Gespräch zu bringen. Zum Produktstart an der Computermesse Comdex in Las Vegas hatte es der Marketingchef geschafft, 20’000 Kissenbezüge mit dem Windows-Logo in den Hotelzimmern der Messestadt zu verteilen, sodass sich die Besucher am Morgen beim Aufwachen mit der Aufforderung konfrontiert sahen, doch beim Stand von Microsoft vorbeizusehen.

Ein totaler Flop

Doch trotz dieser eindrücklichen Bemühungen war Windows 1.0 ein Flop, an dem es nichts schönzureden gab. Die damalige Hardware war den Ambitionen der Entwickler nicht gewachsen. Das Betriebssystem benötigte 512 KB Arbeitsspeicher – für damalige Verhältnisse eine unglaubliche Menge. Und trotzdem war es so träge, dass es kaum zu benutzen war: «Windows laufen zu lassen, ist wie Melasse in die Arktis zu giessen», hatte ein Journalist der «New York Times» geschrieben.

Seine Besprechung ist heute online verfügbar und eine spannende Lektüre. Sie zeigt nämlich auf, dass nicht nur die mangelnde Leistung ein Hindernis für den Erfolg war. Die Nutzer mussten auch erst überzeugt werden, warum sie überhaupt ein solches Betriebssystem brauchten. Der Journalist erklärte dem Publikum: «Windows ermöglicht Multitasking. Damit kann man mehrere Programme gleichzeitig ausführen, zum Beispiel eine Tabellenkalkulation, einen Datenbankmanager und ein Textverarbeitungspaket, wobei vielleicht noch das Spiel des Lebens dazukommt, um den Bildschirm während der Kaffeepausen aktiv zu halten.»

Mit dem «Spiel des Lebens» war die 1970 entwickelte Zellsimulation des Mathematikers John Horton Conway gemeint. Diese gibt es heute als App fürs iPad und für Android-Geräte.

Das Multitasking damals war indes keine zwingende Voraussetzung für produktives Arbeiten. Der Autor der «New York Times» urteilte: «Die meisten Menschen benutzen jedoch die meiste Zeit, wenn nicht sogar die ganze Zeit, nur ein Programm. Eine Ausnahme könnte der zeitweilige Aufruf solcher speicherresidenten Programme wie Sidekick oder Ready sein, die einen Taschenrechner, einen Notizblock, einen Outline-Prozessor oder andere Hilfsprogramme zur Verfügung stellen.»

Programme «speicherresident» zu machen, war zu DOS-Zeiten der Trick, mehr als ein Programm aufs Mal auszuführen. Um ihn anzuwenden, musste man allerdings oft tricksen – denn nur wenn beide Programme gleichzeitig in den Speicher passten, waren sie parallel benutzbar.

Es gab weit und breit keine Anwendungen

Der eigentliche Grund für das Scheitern von Windows 1.0 war jedoch simpel – und es ist der gleiche Grund, der auch dazu geführt hat, dass Microsoft heute kein Smartphone-Betriebssystem mehr am Start hat: Es war der Mangel an geeigneter Software. Nebst den Programmen, die Microsoft selbst für Windows 1.0 bereitgestellt hat, gab es weit und breit keine Anwendungen für das neue Betriebssystem.

Windows 2.0 kam im Dezember 1987 auf den Markt und behob ein grosses Manko: Fenster konnten nun nicht mehr nur nebeneinander, sondern auch übereinander platziert werden. Neu war auch die Tastenkombination mit Alt und Tabulator, mit der man zwischen den Programmfenstern wechselt.

VisiCalc war jenes Programm, das wesentlich mitgeholfen hat, den Personal Computer von einem Gerät für Computerfreaks in ein ernsthaftes Geschäftsinstrument zu verwandeln. Es wäre für Microsoft vernünftig gewesen, den Entwickler VisiCorp zu ermutigen, möglichst rasch eine Windows-Version anzubieten. Doch daran dachte Microsoft-Chef Bill Gates damals nicht im Traum: Er verfolgte seit 1982 den Plan, eine eigene Tabellenkalkulation auf den Markt zu bringen. Diese hiess Microsoft Multiplan und wurde für grafische Benutzeroberflächen als Microsoft Excel neu aufgelegt. Doch Excel für Windows war erst zwei Jahre später mit Windows 2.0 marktreif.

Der Durchbruch kam fünf Jahre später

Bis es ein ausreichendes Angebot an Software gab, dauerte es aber noch bis zum Mai 1990: Damals erschien Windows in der Version 3.0. Nun waren die Computer leistungsstark genug und die Kinderkrankheiten des Systems ausgeräumt. Das Multitasking verdiente jetzt seinen Namen. Der neue Speichermanager erlaubte Windows einen flexibleren Umgang mit grossen Anwendungen, als das unter DOS möglich war.

Nicht zuletzt gewann die Benutzeroberfläche dazu: Anwendungen liessen sich nun mittels Icons über den neuen Programmmanager starten. Er wurde mit Windows 95 fünf Jahre später durch das Startmenü ersetzt – und zusammen mit dem Dateiverwaltungsprogramm Explorer waren die wesentlichen Elemente der Benutzeroberfläche versammelt, die das Betriebssystem auch heute noch ausmachen.

Windows 3.0 war endlich brauchbar – und wurde zum Erfolg.

Nicht zu unterschätzen waren auch die Anpassungsmöglichkeiten, die Microsoft den Nutzern über die Jahre eingeräumt hat: Mit Windows 3.0 durften sie zwar noch kein Desktop-Bild für den Hintergrund wählen, aber immerhin dessen Farbe selbst bestimmen.

Windows 95 brachte nicht nur das Startmenü und die Taskleiste, sondern auch den Explorer. Es soll Leute geben, die dieser Version heute noch nachtrauern.
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Windows 98 integrierte den Internet Explorer 4, in der Second Edition war dann der Internet Explorer 5.0 integriert. Windows enthielt auch das Mailprogramm Outlook Express, ein Chat-Programm und die Videokonferenz-Software Netmeeting. Der Active Desktop erlaubte es, Webinhalte auf dem Bildschirmhintergrund anzuzeigen.
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Windows 2000 brachte die stabile Technologie von Windows NT mit der Oberfläche von Windows 98 zusammen. Eigentlich für die Geschäftskunden gedacht, wurde die Variante, die ohne das DOS-Fundament auskam, auch von vielen Privatanwendern benutzt.
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Windows Millennium Edition respektive Windows ME umgarnte die Privatanwender mit vielen Multimediafunktionen wie hier dem Windows Media Player 7. Auch die Videoschnitt-Software Movie Maker war enthalten.
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Windows XP, im August 2001 lanciert, war die erste Version für die Privatanwender, die keinen DOS-Unterbau mehr hatte. Sie sollte sich als unglaublich erfolgreich erweisen: Erst im April 2014 hat Microsoft diese Version offiziell beerdigt.

Auf Hit folgt Flop: Das war ein Muster, das sich bei vielen Windows-Versionen gezeigt hat – besonders deutlich bei Windows Vista. Der Nachfolger von XP, der 2006 für Geschäftsleute und 2007 für Privatanwender auf den Markt kam, löste bei den Nutzern Abneigung aus. Die Hardwareanforderungen waren gross, die Lizenzen kompliziert, und es gab die ungeliebte Benutzerkontensteuerung, die zwar für mehr Sicherheit sorgte, aber auf viele Leute umständlich wirkte. Siehe dazu: Microsofts schlimmstes Windows-Trauerspiel ist bald vorbei.
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Windows 7 beseitigte die Mängel von Windows Vista weitgehend und konnte sich wiederum lange halten – erst Anfang 2020 hat Microsoft den Support endgültig eingestellt (siehe dazu: Windows-7-Support-Ende: Was Sie beachten sollten). Die Taskleiste wurde deutlich verbessert, und Microsoft hat in die Sicherheit investiert. Verwirrend waren die diversen Varianten, von Starter über Home Basic und Home Premium bis hin zu Professional, Ultimate und Enterprise.
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Windows 8 brachte im Oktober 2012 eine radikal neue Oberfläche, die auf Touch-Geräte und Tablets ausgelegt war – hier der Startbildschirm, der das Startmenü ersetzt hat. Die Nutzer, die weiterhin eine Maus und eine richtige Tastatur verwenden wollten, fühlten sich vor den Kopf gestossen. Siehe dazu: Windows 8: Der grosse Test.
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Im Oktober 2013 legte Microsoft mit Windows 8.1 nach: Microsoft hat einige der grössten Kritikpunkte an Windows 8 berücksichtigt und die Oberfläche für Mausnutzer wieder besser zugänglich gestaltet – insbesondere ist der mit der Vorgängerversion abgeschaffte Startknopf zurückgekommen. Siehe dazu: Der grosse Windows-Kompromiss.
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Und schliesslich Windows 10: Ende Juli 2015 kam die Version von Windows heraus, die noch heute in Verwendung ist – wenngleich durch diverse Funktionsupdates verbessert. Das Startmenü hat nochmals eine Überarbeitung erfahren und ist nun auch für die meisten Windows-7-Fans wieder akzeptabel. Auch Microsofts digitale Assistentin Cortana kam dazu, und der Internet Explorer wurde über die Zeit durch den Edge-Browser ersetzt. Siehe dazu auch: Unsere Bilanz nach fünf Jahren Windows 10.
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Das Durchhaltevermögen, das Microsoft mit Windows 1.0 und 2.0 gezeigt hat, sollte typisch für das Unternehmen bleiben. Wie die Bildstrecke zu allen grossen Windows-Versionen am Ende des Artikels zeigt, leistete sich der Softwarekonzern auch später immer wieder Flops und Ausrutscher, die mit Ausdauer und viel Hüst und Hott wieder ausgebügelt und schliesslich doch zu einem guten Ende gebracht werden konnten – sodass auch Windows 10 nach fünf Jahren trotz Widerständen der Anwender endlich Microsofts eigene Erwartungen erfüllt hat.

Übrigens: Windows 1.0 läuft heute im Browser und kann hier benutzt werden.

Schon zwei Jahre bevor Windows 1.0 endlich fertig war, hatte Microsoft die Werbetrommel gerührt – hier auf einem Plakat zur Computermesse Comdex von 1983. Und auch wenn es so aussieht, als ob Windows schon in der Lage gewesen wäre, Farbbilder zu bearbeiten: Das Gesicht des Mannes ist eine Spiegelung im Bildschirm.

Quelle: Newsnetz, Dienstag, 24. November 2020

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