In jeder zweiten App steckt Tracking-Software

Datenschutz am Smartphone In sehr vielen Handy-Apps sind Tracking-Module eingebaut. Sie liefern den Herstellern Informationen über unser Nutzungsverhalten. Besonders verbreitet ist eine Analysesoftware von Google. Bei unserem Check war nur die Swiss-Covid-App trackerfrei.

Matthias Schüssler

Beim Stichwort «Tracking» denken die meisten Nutzer ans Web: Es ist längst gemeinhin bekannt, dass unsere Aktivitäten beim Surfen genau verfolgt werden. Allein die ständigen Cookie-Anfragen erinnern uns an die nicht erlahmende Neugierde der Datensammler. Dank der europäischen Datenschutz-Grundverordnung haben wir das Recht, bestimmte Cookies abzulehnen, zum Beispiel für personalisierte Werbung.

Doch wie sieht es bei Apps aus? Die meisten Nutzer haben die Vorstellung, dass sie bei der Arbeit mit ihren Programmen weniger unter Beobachtung stehen: Softwareprodukte sind für die Bearbeitung eigener Dateien und Dokumente ausgelegt, und sie funktionierten meist auch ohne Internetanbindung. Ausserdem geht es die Hersteller nichts an, was wir mit unseren Apps auf den eigenen Geräten tun – oder?

Nicht immer gute Absichten

Diese Annahmen sind falsch: Unsere Apps tracken haarklein. Es gibt dafür durchaus legitime Gründe. Zum Beispiel die Fehlerbehebung: Wenn eine App Absturzberichte automatisch an den Hersteller schickt, sieht er sofort, wo Handlungsbedarf besteht. Anonyme Statistiken können sinnvoll sein: Sie helfen den Entwicklern, die App im Sinn der Anwender zu verbessern.

Es gibt auch Apps, die überborden. Sie zeichnen selbst die kleinste Interaktion des Nutzers auf – gleichgültig, ob eine solche Datensammelwut zu sinnvollen Erkenntnissen beiträgt oder nicht. Wie weit das gehen kann, hat das Online-Magazin «TechCrunch» im vergangenen Jahr aufgedeckt: Die Glassbox-Technologie, die damals etwa in Apps von Air Canada und Expedia steckte, erlaubt es, die Interaktionen eines Benutzers von Anfang bis Ende nachzuvollziehen. Beim «Session Replay» hat die App ohne Nachfrage Bildschirmfotos angefertigt und übermittelt, auf denen teilweise auch persönliche Informationen und selbst Kreditkartennummern enthalten waren.

Bei Websites hat der Nutzer die Möglichkeit, das Tracking einzuschränken. Bei Apps, die vom Betriebssystem direkt ausgeführt werden, ist eine Einflussnahme nicht möglich. Es gibt auch keine Möglichkeit, direkt zu kontrollieren, welche Tracking-Techniken zum Einsatz kommen.

Eigentlich müsste dies in den Datenschutzbestimmungen näher beschrieben sein. Doch wie «TechCrunch» aufgezeigt hat, fehlten bei den Glassbox-Machenschaften entsprechende Hinweise gänzlich: «Ein Nutzer hat keine Möglichkeit, davon überhaupt Notiz zu nehmen.»

Apple hat jüngst neue Schutzmassnahmen eingeführt. Ein zweiter Kämpfer gegen die Datensammelei in Apps ist Exodus Privacy. Das ist eine von französischen Digitalaktivisten gegründete gemeinnützige Organisation, die Android-Apps untersucht und dokumentiert, welche Tracker im Programmcode enthalten sind. Als Nutzer kann man seine Apps mittels einer Datenbank überprüfen. Die Auswertung zeigt auf, wie viele Tracker vorhanden sind – und welche.

Stichproben mit Exodus bringen an den Tag, wie weitverbreitet Tracking ist: Bei den populären Apps der kommerziellen Entwicklerstudios ist die Verwendung solcher Module der Normalfall. Manche Anbieter haben Dutzende von Trackern eingebunden. Microsofts Spiel Solitaire Collection enthält geschlagene 26 Tracker. Die einzige App, die bei unserer Stichprobe frei von Trackern war, ist die Swiss-Covid-App.

Die Module von Facebook (Facebook Analytics und Ads) stecken in 17 beziehungsweise 13 Prozent der Apps, die Exodus untersucht hat. Am verbreitetsten ist Googles Firebase Analytics. Dieser Tracker bietet eine Auswahl an Funktionen, unter anderem auch die Möglichkeit, Benutzer «basierend auf vorhergesagtem Verhalten» in Gruppen einzuteilen.

Wie voyeuristisch ist Google?

Exodus hat ihn bei 49 Prozent aller Apps gefunden – bei unserer Stichprobe mit den populären Apps taucht er noch viel häufiger auf. Zwei Ausnahmen, nebst der Swiss-Covid-App, sind Facebook und Whatsapp – die aber ein anderes Google-Modul benutzen.

Wenn Firebase quasi überall drinsteckt, stellt sich eine Frage: Ist Google in der Lage, Nutzer App-übergreifend zu tracken? Auf Anfrage verneint ein Sprecher von Google: Das Tracking liege bei den App-Entwicklern und nicht bei Google. Die Analytics-Kunden – und nicht Google – seien Eigentümer der Daten: «Diese Kunden haben die vollständige Kontrolle darüber, wie oder ob sie diese Daten verwenden.»

Falls ein Entwickler mehrere Apps anbietet, hat zumindest er die Möglichkeit, Nutzer über alle eigenen Apps hinweg zu tracken. Und die App-Entwickler können sich dazu entscheiden, ihre Daten Google zur Verfügung zu stellen; beispielsweise um mitzuhelfen, den Tracker zu verbessern.

Quantitative Angaben macht Google indes nicht. So ist es unmöglich, abzuschätzen, wie viele Nutzerdaten beim Suchmaschinenkonzern landen und welche Einsichten das erlaubt. Im Juli wurde in Kalifornien eine Sammelklage gegen Google eingereicht: Google sei ein «Voyeur extraordinaire», da der Konzern selbst dann Daten sammle, wenn ein Nutzer die Funktion deaktiviert habe.

Aus Sicht der Anwender stellen sich zwei Forderungen: Erstens sollten sich die Hersteller auf das Notwendige beschränken – und nicht alle Daten sammeln, bloss weil es so einfach geht. Und zweitens braucht es klarere Hinweise als kryptische Datenschutzbestimmungen, was genau getrackt wird – und zu welchem Zweck.

Spionieren wie in totalitären Regimes: Beim Suchmaschinenkonzern Google laufen viele Tracking-Fäden zusammen. Foto: Aleksandar Pavlevski (EPA)

Das können Sie gegen das Tracking tun

— Um das Tracking beim Surfen einzuschränken, schalten Sie in Firefox den «Schutz zur Aktivitätenverfolgung» ein, oder wählen den Browser Brave (brave.com): Er hat sich dem Schutz der Privatsphäre verschrieben. Auch Safari von Apple hat mit den letzten Updates beim Datenschutz kontinuierlich zugelegt.

— Apple hat bei der neuesten Software fürs iPhone und iPad einen wichtigen Schritt unternommen, um das Tracking zu reduzieren. In den Einstellungen gibt es im Bereich «Datenschutz» unter «Tracking» neu die Option «Apps erlauben, Tracking anzufordern». Ist diese Option abgeschaltet, haben Apps weniger Gelegenheit, den Nutzer direkt zu identifizieren.

— Für Android gibt es einen alternativen App-Store, der auf quelloffene und freie Apps setzt und auch darum bemüht ist, Tracking und Werbung sichtbar zu machen. Der Store findet sich unter f-droid.org. Laden Sie dort die App herunter, tippen Sie auf den Download und bestätigen Sie bei der Warnung, dass Apps daraus installiert werden sollen. (schü.)

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 4. November 2020

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