Glosse

So werden Sie zum Star-Influencer

Instagram, Youtube und jetzt auch noch Tiktok – der Siegeszug der sozialen Medien ist ungebrochen. Mit unserer Anleitung sind Ruhm und Reichtum auch für Sie in Griffnähe.

Matthias Schüssler

In Zukunft werde jeder für 15 Minuten berühmt sein, hat Andy Warhol 1968 gesagt und den Daseinszweck von sozialen Medien vorweggenommen. Und ja: Mit immer mehr Plattformen ist es unausweichlich, dass ein grosser Teil der Bevölkerung als Social-Media-Star und Influencer Karriere macht. Darum: Gehen wir es an!

Akzeptieren Sie die Mission – und fühlen Sie sich berufen. Für Ihren eigenen Kanal bei Youtube, Instagram oder Tiktok brauchen Sie kein originelles Themengebiet. Bei ungefähr 30 Millionen Youtube-Kanälen gibt es sowieso nichts, das es nicht schon gibt, egal ob Gadget, Unboxing oder Lebenshilfe. Oder nehmen wir die Schmink-Tutorials: Die sind seit 2009 nicht mehr innovativ. Trotzdem hält das exponentielle Wachstum seit damals an. Es hat Youtube allein im Beauty-Bereich 2018 169 Milliarden Views beschert.

Verinnerlichen Sie: Die Inszenierung zählt, nicht der Inhalt. Was das Publikum sehen will, das sind Sie – respektive eine überzeichnete Version Ihrer selbst. Orientieren Sie sich ruhig an den «stock characters»; den Stereotypen, die Filme und TV-Serien erfolgreich bevölkern und schon in der Commedia dell’arte identitätsstiftend waren. Seien Sie der Charmeur oder der Besserwisser, der liebenswerte Spinner oder die Verführerin – denn was in der Sitcom funktioniert, ist auch bei Tiktok ein Garant für Publikumsliebe.

Streamen Sie alles. Ob aus dem Kreisssaal oder bei der Vasektomie: je abgefahrener, desto mehr Klicks. Doch während Sie das Spektakuläre suchen, dürfen Sie keine Angst vor dem Banalen haben: Posten Sie nicht nur ihre Frühstücksflocken, sondern auch jeden abgebrochenen Fingernagel. Und bevor Sie ein neues Video hochladen, veröffentlichen Sie noch schnell ein Foto, auf dem zu sehen ist, wie Sie dabei sind, ein neues Video hochzuladen.

Andy Warhol hat es vorausgesehen – jeder gelangt zu 15 Minuten Ruhm, wenn er bloss seinen Kopf ins Netz hält: Eröffnung einer Pop-Art-Ausstellung in Bangkok am 11. August 2020.

Gehen Sie auf Tuchfühlung mit Ihrem Publikum. Behandeln Sie es als Freund und Familienmitglied, und sprechen Sie direkt in die Selfiekamera. Wenn davon die Linse beschlägt, ist das in Zeiten von Social Distancing ein Zeichen von dringend benötigter menschlicher Nähe.

Aber fallen Sie bloss nicht aus der Rolle. Wenn Sie sich als Scherzkeks vom Dienst etabliert haben, bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als auch bei der Wurzelbehandlung beim Zahnarzt das Publikum mit einem pantomimischen Witz zu erheitern. Tabu sind hingegen Selbstreflexion oder politische Tiraden – Letzteres zumindest dann, wenn nicht «politischer Wirrkopf» die Figur Ihrer Wahl ist.

Lassen Sie für den Erfolg nichts unversucht. Betteln Sie Ihre Community ohne falsche Scham um Likes und um Kommentare an. Kaufen Sie notfalls Follower, um Ihre Wichtigkeit zu unterstreichen. Und kennzeichnen Sie jeden Ihrer Posts als Werbung; bei Instagram mit dem bescheidenen, kleinen Hashtag #ad. Dass Sie noch nie einen roten Rappen Werbegeld gesehen haben, spielt keine Rolle – auch der Anschein eines hoch dotierten Vertrags beeindruckt.

Und denken Sie daran: Der Neid ist Ihr Freund. Denn während der Kern Ihres Publikums Sie tatsächlich liebt, wird ein viel grösserer Teil nur zuschauen, um Sie scheitern zu sehen – und dann Ihre Lücke zu füllen. Das soll Ihnen nicht Abschreckung, sondern Ansporn sein!

Das können Sie auch! Am Swiss Influencer Award im Volkshaus Zürich am 20. Juni 2019.

Quelle: Newsnetz, Mittwoch, 19. August 2020

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