So bewahrt man sich vor E-Mail-Blamagen

Kommunikationspannen Die «Antwort an alle» statt an einen einzelnen Absender ist nicht nur peinlich, sondern kann sogar Mailserver zum Absturz bringen. Nicht weniger beschämend sind fehlgeleitete Nachrichten – doch auch dagegen gibt es Vorkehrungen.

Matthias Schüssler

E-Mail ist ein tückisches Kommunikationsmittel: Man setzt sich leicht in die Nesseln – besonders, wenn in grösseren Gruppen kommuniziert wird. «Wir brauchen ein Wort für das siedend heisse Gefühl, das dich durchfährt, wenn du merkst, dass du aus Versehen auf ‹Allen Antworten› geklickt hast», forderte die «New York Times». Die Zeitung schlägt fürs Englische «E-barrasment» vor. Für Deutsch fänden wir Postausgangspanik passend. Oder Mailophobie. Oder, auch gut zu brüllen oder fluchen: «Verma(i)ledeit!»

Lahmgelegter US-Kongress

«Mail Storm» heisst diese kommunikative Fehlleistung bei Wikipedia. Das Lexikon verzeichnet ein Dutzend Fälle. Das sind wenige – denn jeder von uns hat das selbst schon erlebt. Auch Machtzentren bleiben nicht verschont. 2019 hat ein Mitarbeiter des US-Kongresses eine Nachricht versehentlich an einen Verteiler mit Tausenden von Kollegen geschickt. Viele von ihnen antworteten, man möge sie gefälligst nicht mit solchen Nachrichten behelligen – wiederum an den gesamten Verteiler. Das löste eine Mail-Lawine aus, die während etwa 90 Minuten rollte.

Ein ähnliches Missgeschick passierte schon 2012 beim deutschen Bundestag, als die Verwaltung mit einem Rundmail ein neues Adressbuch ankündigte. Die Mitarbeiterin eines grünen Abgeordneten bestellte ein Exemplar, hatte aber «Allen Antworten» geklickt. Weil sich viele bemüssigt fühlten, das Missgeschick zu kommentieren – und gleichzeitig zu wiederholen –, seien die Server fast zusammengebrochen, schrieb damals die «Süddeutsche Zeitung».

Auch Tech-Unternehmen sind nicht vor dem Malheur gefeit. Bei Microsoft kam es 1997 zu einem Vorfall mit einer Mailingliste, auf der 13’000 Mitarbeiterverzeichnet waren und die Auslöser eines Mail-Sturms von schliesslich 15 Millionen Mail-Nachrichten war. Immerhin 23 Jahre später führt der Softwarekonzern nun im Programmpaket Office 365 eine Schutzfunktion namens «ReplyAll Storm Protection» ein. Wenn ein erhöhtes Mail-Aufkommen festgestellt wird, hält die Software die Nachrichten zurück und informiert die Nutzer, sie sollten ihre Nachricht nicht an alle, sondern nur an einzelne Leute senden. Das verhindert Mail-Lawinen nicht ganz, stoppt sie aber während ihrer Ausbreitung.

Doch auch ohne diese neue Funktion lassen sich Mailpannen vermeiden:

– Eigentlich ist es klar: Man darf sein Mail-Programm nicht so konfigurieren, dass die Adresse des Mail-Verteilers als Absender erscheint: Bei den meisten Mail-Programmen lässt sich der Absender festlegen – und da muss eine Einzelperson eingetragen sein. Wenn die Empfänger einzeln adressiert werden, setzt man deren Adressen ins BCC-Feld. Damit das «An»-Feld nicht leer bleibt, kann man dort seine eigene Adresse verwenden. Mit dem BCC-Trick bleiben die Adressen für die Empfänger unsichtbar: Das schützt die Privatsphäre, was für die Kommunikation ausserhalb eines Unternehmens wichtig ist.

Für häufigere Gruppenmails ist ein Dienst wie Mailchimp.com ein geeignetes Instrument: Dort können sich die Mitglieder von Mailinglisten selbst ein- und austragen.

– In Gmail findet sich in den Einstellungen bei «Allgemein» die Option «E-Mails zurückrufen». Dort lässt sich eine Verzögerung setzen: Während der angegebenen Zeit kann man den Versand über die Statusmitteilung abbrechen. Das hilft erstaunlich oft, da wir dazu neigen, Fehler just dann zu bemerken, nachdem wir auf «Senden» geklickt haben.

Auch in Outlook gibt es im Menü zu den Nachrichten-Aktionen die Möglichkeit, ein Mail zurückzurufen. Allerdings funktioniert die nur in Firmen-Umgebungen – und auch nur dann, wenn der Empfänger die Nachricht noch nicht gelesen hat. Ansonsten erhält er eine Benachrichtigung, dass der Empfänger die Nachricht zurückrufen will – und das heizt die Neugierde erst richtig an.

– In Gmail kann man seit letztem Jahr Nachrichten nicht sofort, sondern zum vorgegebenen Zeitpunkt versenden. Statt auf den «Senden»-Knopf klickt man auf das nach unten zeigende Dreieck am rechten Rand der Schaltfläche: Im Menü «Später senden» geben Sie Datum und Uhrzeit an. Bis zu diesem Termin verbleibt das Mail im Ordner «Geplant»: Damit kann man eine Nacht darüber schlafen und hat so die Chance, formale Fehler zu bereinigen, aber auch den Inhalt zu überarbeiten.

Vorsicht vor Tastaturkürzel

– Manche Leute fügen die Mailadressen erst dann ein, wenn die Nachricht fertig verfasst und bereit zum Senden ist: Dieser Trick verhindert falsche Adressierungen. Aber auch, dass die Nachricht verschickt wird, bevor sie fertig ist. Das passiert häufig bei Programmen, bei denen man Nachrichten mittels Tastaturkürzel abschickt: «Ctrl» und «Enter» werden bei Outlook auch versehentlich betätigt.

Ist der «Allen antworten»-Knopf eine Fehlkonstruktion? Viele sind dieser Ansicht. Eine Kolumnistin beim «Guardian» findet, man solle ihn überhaupt nie benutzen. Das mag etwas streng sein. Aber langfädige, weit verzweigte E-Mail-Threads sind unerfreulich für alle Beteiligten. Wenn man öfters mit ihnen konfrontiert ist, sollte man nach Alternativen Ausschau halten. Dienste wie Slack oder Microsoft Teams sind für die Kommunikation in grösseren und kleineren Gruppen definitiv flexibler.

«Vermailedeit!»: Dieser Mailversand ging offensichtlich in die Hosen. Foto: David Harrigan (Plainpicture)

Wir neigen dazu, Fehler just dann zu bemerken, nachdem wir auf «Senden» geklickt haben.

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 13. Mai 2020

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