Techkonzerne lassen Roboter antreten

CES An der grossen Elektronikshow in Las Vegas gibt es einen Vorgeschmack auf die Branchentrends des Jahres. Heuer lässt die Branche allerhand künstliche Lebensformen aufs Publikum los.

Matthias Schüssler

2020 wird ein seltsames, vielleicht sogar ein abstruses Techjahr werden – zumindest, wenn man die Consumer Electronic Show (CES) in Las Vegas als Gradmesser nimmt. Die weltgrösste Messe für Heim- und Unterhaltungselektronik findet noch bis zum Freitag statt. Und sie bietet der Branche wie jedes Jahr eine Bühne für vollmundige Ankündigungen und opulent inszenierte Produktpräsentationen. Heuer sind 4500 Aussteller präsent, die auf 269 000 Quadratmetern ihre mehr oder manchmal auch weniger marktreifen Erfindungen der Weltöffentlichkeit vorstellen.

Die Befürchtung, 2020 werde uns vor allem absonderliche Errungenschaften bringen, hat hauptsächlich mit dem Aufmarsch der Roboter zu tun: Der Konsumgüterkonzern Procter & Gamble beispielsweise hat den Rollbot vorgestellt. Dieser dienstbare Helfer kann via Smartphone dazu veranlasst werden, im Badezimmer eine frische Rolle WC-Papier anzuliefern, nachdem dieses ausgegangen ist. Obwohl Rollbot nur als Konzept existiert, fühlte sich der Chefredaktor des Techmediums Zdnet.com zur Bemerkung veranlasst, er wisse nicht, ob das Produkt selbst oder die Witze darüber in den Presseunterlagen schlimmer seien.

Bellabot ist die Erfindung eines chinesischen Unternehmens namens Pudutech. Dieser Gastroroboter serviert Getränke und Speisen an den Tisch und soll den Mangel an Servierpersonal beheben, mit dem die Wirte in chinesischen Restaurants häufig zu kämpfen haben. Er miaut, wenn er bei den Gästen ankommt, und darf auch an den Ohren gestreichelt werden. «Bizarr», wie die BBC kommentierte – aber längst nicht alles, was die CES an Robotern zu bieten hat.

Avatare für gewisse Aufgaben

Pranav Mistry, der Chef von Samsungs Entwicklungslabor Star Lab, hat vor der Messe per Twitter die Erwartungen geschürt. Er treibt das Projekt «Neon» des Konzerns voran. Dabei geht es um Avatare. Das sind keine Roboter, sondern virtuelle Figuren, die dafür umso lebensechter wirken sollen. In seinem Tweet versprach Mistry, die Avatare seien zu realistischer Mimik und Gestik in der Lage und sie könnten selbst lernen. Bei der offiziellen Ankündigung an der Messe gingen die Versprechen noch weiter: «‹Neon› ist wie eine neue Lebensform», sagte Pranav Mistry gemäss dem Techportal «The Verge»: «Es gibt Millionen von Arten auf unserem Planeten. Und wir werden hoffentlich eine hinzufügen.»

Die Avatare sollen dereinst in der Lage sein, Unterhaltungen mit einem Gegenüber zu führen und mit Gefühlen und eigener Intelligenz zu reagieren. Sie werden für bestimmte Aufgaben konfigurierbar sein und als Concierge, Kunden- oder Finanzberater oder Gesundheitsdienstleister auftreten. Auf der Website Neon.life gibt es Bilder zu sehen, unter anderem auch einen Sportler, Geschäftsleute, eine Reporterin und einen Kartenspieler.

Auf den Abbildungen sind die Figuren in der Tat nicht von echten Menschen zu unterscheiden. Doch die seien nur simuliert und zu illustrativen Zwecken. Das heisst: Die Forscher sind noch nicht so weit. Die Technologie wird an der Messe in privaten Vorführungen gezeigt. Erst dann wird klar sein, was die Avatare jetzt schon können. Jedenfalls ist es unwahrscheinlich, dass 2020 das Jahr ist, in dem künstliche Lebensformen endgültig alltagstauglich werden.

Kenner der Messe wenden ein, dass es in Las Vegas schon immer ebenso viele technologische Wunschfantasien wie real existierende Produkte zu sehen gab. Dementsprechend taugt die Veranstaltung nur bedingt als Seismograf und Startrampe für Megatrends. Denn zu oft landen die mit viel Pomp vorgeführten Geräte und Gadgets nicht in unseren Wohnungen und Haushalten, sondern in der Versenkung. «The Verge» hat ein gutes Dutzend Produkte zusammengetragen, die bei früheren Messen für Furore sorgten und nie oder nur mit viel Verzögerung in den Läden aufgetaucht sind.

Zum Beispiel der aufrollbare Fernseher, den LG schon 2018 präsentiert hatte und der nun wohl erst 2021 auf den globalen Markt kommt. Auch die faltbaren Handys wurden 2019 als Megatrend gehandelt. Um die meisten der damals vorgeführten Prototypen ist es still geworden. Doch in einem Fall gab es viel mediales Getöse um technische Mängel: Samsung musste den Start des Galaxy Fold um ein halbes Jahr verschieben.

Auch 2020 sind viele Produkte zu sehen, deren Erfolgsaussichten ungewiss sind: Mamaroo, eine per Bluetooth fernbedienbare Kinderwiege etwa, der Duschkopf Moxie mit Sprachsteuerung oder Numi 2.0, ein WC mit App-Anbindung.

Immer grössere Bildschirme

Doch natürlich gibt es auch Trends, bei denen die Erfolgschancen besser stehen. Der neue Mobilfunkstandard 5G ist an der Messe omnipräsent. Bei den Fernsehern dürfte der Rand komplett verschwinden. Samsung plant ein Modell ohne sichtbaren Rahmen. Verblüffend auch der Sero-TV von Samsung: Er dreht sich per Druck auf einen Fernbedienungsknopf in die Vertikale, sodass die Zuschauer hochformatig aufgenommene Videos ohne die dicken breiten Streifen rechts und links sehen.

Bei den Bildschirmen für Gamer übertrumpfen sich die Hersteller mit grösseren Modellen. Der Odyssey G9 von Samsung hat ein Seitenverhältnis von 32:9, ist also mehr als dreimal so breit wie hoch. Bei seiner starken Krümmung sitzt der Spieler quasi innerhalb des Monitorbildes. Damit deckt er annähernd das ganze Gesichtsfeld des Spielers ab und lässt ihn tief in ein Spiel eintauchen, ohne dass er eine Virtual-Reality-Brille tragen müsste.

Schliesslich zeigt sich in Las Vegas, dass die Digitalisierung dazu führt, dass sich die Betätigungsfelder der Konzerne ausweiten: Einerseits gibt es immer mehr Wearables mit Gesundheitsfunktionen oder für medizinische Zwecke sowie Sensoren, die Körperfunktionen oder auch die Kalorienaufnahme überwachen. Andererseits der Automarkt: Sony zeigt den Prototyp eines elektrisch angetriebenen Fahrzeugs. Das heisst Vision-S und entsteht mit internationalen Zulieferern, aber auch mit viel Technik aus dem eigenen Haus, zum Beispiel einem futuristischen Entertainmentsystem. Mit diesem Fahrzeug kommt Sony Apple zuvor – ein solches Projekt gibt es bei Apple mindestens seit Ende 2014; doch 2019 hat der Konzern sein Engagement zurückgefahren.

Samsung spricht von «neuen Lebensformen»: Simulierte Beispiele der Avatare des Projekts «Neon». Foto:PD

Rollbot bringt bei Bedarf frisches Papier ans stille Örtchen. Foto: PD

Roboter Reachy von Pollen Robotics spielt mit Holzfiguren. Foto: Reuters

Sony zeigt mit dem Vision-S ein elektrisch angetriebenes Fahrzeug und kommt damit Apple zuvor.

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 8. Januar 2020

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