Kommentar

Verbietet Waffen, keine Websites

8chan sollte ein Hort der freien Rede sein – und ist zum Megafon der Nationalisten geworden. Dennoch wird ein Verbot nicht helfen.

«Willkommen in der finstersten Ecke des Internets», begrüsst 8chan seine Besucher. Finster in der Tat – und rassistisch, inhuman und ekelhaft. 8chan ist die Plattform, auf welcher der Attentäter von El Paso ein vierseitiges Manifest veröffentlicht hatte, keine Stunde bevor er 20 Leute erschoss und 26 verletzte. Er nannte die anderen Nutzer dieses finsteren Forums seine Brüder. Und forderte sie auf, seine Botschaft des Hasses zu teilen und zu verbreiten.

Hassverbrecher wollen, dass andere ihnen folgen – mit Wort und mit Tat. Und die Rekrutierung auf 8chan funktioniert. Schon die Massaker auf die Moscheen in Christchurch und auf eine Synagoge in Kalifornien waren dort angekündigt worden.

Da verwundert es nicht, dass Rufe nach Verboten laut werden. Selbst der ursprüngliche Entwickler der Seite fordert die Schliessung: Aus seinem Utopia für die freie Rede sei ein Megafon für weisse Nationalisten geworden, sagt Fredrick Brennan.

Dabei müsste er es besser wissen: Brennan hat 8chan nur gestartet, weil ihm selbst 4chan zu «autoritär» geworden war. 4chan ist genauso anonym wie 8chan, wird aber etwas stärker moderiert.

Auch die Nutzerschaft von 8chan verschwindet nicht, wenn man die Plattform abschaltet. Sie wandert weiter und landet zum Beispiel auf Messengern wie Telegram, wo sich in Chatkanälen bis zu 200000 Leute versammeln können.

Es ist wichtig, Extremisten von Youtube, Twitter und Facebook fernzuhalten, wo Jugendliche per Zufall und ohne Absicht auf ihre Hassbotschaften stossen. Doch je weiter man die radikalen Internetnutzer in den digitalen Untergrund treibt, desto schwieriger wird es, sie zu erreichen, ihre Äusserungen zu verurteilen oder überhaupt öffentlich wahrzunehmen.

Damit die Hetzer im Netz gänzlich verstummen, müsste das Netz als Ganzes lahmgelegt werden. Das sollten wir nicht tun. Denn einfacher als Hass lassen sich Waffen verbieten.

Matthias Schüssler, Redaktor Digital

Die Nutzerschaftvon 8chan verschwindet nicht, wenn man die Plattform abschaltet.

Quelle: Tages-Anzeiger, Dienstag, 6. August 2019

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