Frankreich probt die Tastatur-Revolution

Texteingabe Die Franzosen machen besonders viele Tippfehler – was nicht an ihnen, sondern an ihrer Tastatur liegt. Eine neue Norm des Kulturministeriums soll nun Abhilfe schaffen.

Matthias Schüssler

In Frankreich finden Revolutionen häufiger statt als anderswo. Auch im Computerbereich: Das Kulturministerium hat eine Neuordnung der Tastatur veranlasst und vor kurzem eine offizielle Norm erlassen. Mit der soll sich Französisch leichter und schneller tippen lassen.

Eine dringend nötige Massnahme, denn die Franzosen tun sich beim Tippen ihrer Sprache besonders schwer. In den meisten Weltgegenden, in denen das lateinische Schriftsystem gebräuchlich ist, sind QWERTY-Tastaturen in Gebrauch. Die Bezeichnung rührt von den ersten sechs Tasten her, die man oben links neben dem Tabulator vorfindet. In den deutschsprachigen Ländern sind lediglich Z und Y vertauscht. Diese Belegung nennt sich QWERTZ-Tastatur, die in der Variante für die Schweiz nebst den deutschen Umlauten auch die französischen Akzentzeichen aufweist.

In Frankreich und Belgien hat sich hingegen die AZERTY-Tastatur eingebürgert. Sie stammt aus dem 19. Jahrhundert und positioniert als auffälligste Abweichung A, W, Y, Q und M an anderer Stelle. Wie diese Variante entstanden ist, weiss man nicht. Doch eines ist unbestritten: Die französische Tastatur ist grauenvoll. Art O’Gnimh ist der Leiter von Logitechs Maus- und Keyboard-Sparte. Er blieb gegenüber dem Westschweizer Radio RTS noch einigermassen diplomatisch: «Mit der Schweizer QWERTZ-Tastatur lässt es sich besser Französisch schreiben als mit der AZERTY-Version, die in Frankreich gebräuchlich ist.»

Die Newssite Thelocal.fr wird deutlicher: Es fehle dieser Tastatur sowohl an Logik als auch an Konsistenz. Nur ein Beispiel: Um einen Punkt am Ende eines Satzes zu tippen, müssen die Franzosen die Umschalt- und Semikolon-Taste drücken – und das, obwohl das Semikolon viel seltener ist als der Punkt.

Längst überfällige Reform

Die neue Norm bringt Verbesserungen, doch die Tastatur-Revolution hat das französische Kulturministerium knapp verpasst. Erstens ist die Regelung nicht verbindlich, sondern nur eine Empfehlung – allerdings bei öffentlichen Ausschreibungen verpflichtend. Zweitens gibt es zwei neue Tastaturen: eine radikal neue und eine moderate.

Die moderate ist diejenige, die sich durchsetzen dürfte. Sie basiert auf AZERTY und belässt die Buchstaben an der gewohnten Stelle. Doch es wird einfacher, den Accent grave und Accent circonflexe zu tippen, und als Zugeständnis ans Internet-Zeitalter sind die Zeichen # und @schneller erreichbar. Diese Variante haben Forscher aus Finnland, Deutschland, Frankreich und der Schweiz mittels statistischer Analysen entwickelt.

Die revolutionäre Tastatur heisst Bépo. Sie wurde 2003 entwickelt und wird seitdem von einer Stiftung gefördert. Bépo integriert auch die Akzent- und Sonderzeichen der anderen europäischen Schriftsysteme und die Buchstaben zahlreicher afrikanischer Sprachen. Und Bépo verbessert die Platzierung der Buchstaben auf der Tastatur, was eine höhere Schreibgeschwindigkeit möglich macht.

Eine längst überfällige Reform: Die traditionelle Anordnung der Buchstaben geht auf Christopher Latham Sholes und auf das Jahr 1873 zurück. Sholes war ein US-amerikanischer Buchdrucker und Erfinder, der die erste Schreibmaschine gebaut hat, die alltagstauglich war und industriell gefertigt wurde. Der 1868 patentierte Vorläufer war eine Mischung aus einem Klavier und einem Küchentisch, mit allen Tasten in einer alphabetischen Anordnung in einer Reihe. Fünf Jahre später war die Remington No. 1 serienreif. Sie verwendete eine vierzeilige QWERTY-Tastatur, die ein mechanisches Problem löste: Wenn in schneller Folge nebeneinanderliegende Tasten betätigt werden, verhaken sich die Hämmerchen, die die Zeichen aufs Papier schlagen. Um das zu verhindern, platzierte Sholes die Tasten mit Absicht so, dass schnelle Tipper gebremst werden.

Heute sind die Hämmerchen längst Geschichte, doch die QWERTY-Tastatur mit ihren Varianten hält sich tapfer. Und das, obwohl manche sie richtiggehend hassen – wenngleich daran auch einige historische Besonderheiten der Computertastatur wie die «Scroll-Lock»- und die «Pause»-Taste schuld sind.

Im «Wall Street Journal» hat sich der New Yorker Designer Tibor Kalman Luft gemacht: «Die Tastatur ist das verabscheuungswürdigste und demütigendste Ding, mit dem wir uns herumschlagen müssen.»

Alternative blieb erfolglos

Der Informatikprofessor und Usability-Spezialist Donald Norman sagte sogar, die heutige Tastatur sei die lächerlichste, abartigste Monstrosität, die der Öffentlichkeit aufgenötigt werde: «Wir betreiben einen riesigen Aufwand, alles auf dem Bildschirm perfekt zu gestalten. Doch diese Tastatur wurde direkt von Gott überliefert – einem bösen Gott.»

Es wurde natürlich schon früher versucht, diese Monstrosität zu beseitigen. August Dvorak hat in den 1930er-Jahren eine Alternative zur QWERTY-Tastatur entwickelt. Die Dvorak-Tastatur – übrigens der Vorläufer der französischen Bépo-Tastatur – sollte möglichst leicht zu lernen und ergonomisch sein: Die Buchstaben, die man am häufigsten tippt, sind auf der mittleren Reihe platziert, wo die Hände aufliegen. Vokale und Konsonanten liegen sich gegenüber, sodass sich die beiden Hände beim Zehnfingerschreiben häufig abwechseln und die rechte Hand mehr Arbeit leistet – weil die meisten Menschen Rechtshänder sind.

Wie viel schneller man mit der Dvorak-Tastatur wirklich wäre, lässt sich schwer beurteilen, weil kaum jemand beide Systeme gleich gut beherrscht. Simulationen besagen aber, dass die Dvorak-Tastatur klare Vorteile bietet.

Durchgesetzt hat sie sich trotzdem nicht. Die Akzeptanz war so gering, dass August Dvorak dem «Discovery Magazine» 1975 viel Frustration offenbarte: «Ich habe es satt, etwas Lohnenswertes für die Menschheit zu tun, wenn die Menschheit überhaupt keine Lust auf Veränderung hat.»

Aber natürlich sind wir nicht alle Fortschrittsverweigerer. Die «Macht des Standards», wie es Ökonomen nennen, ist immens: Wer mit zehn Fingern oder dem «Adlersystem» einigermassen schnell tippt, der ist sich der Macht der Gewohnheit bewusst. Die geübten Bewegungsabläufe stecken tief im Muskelgedächtnis. Gegenüber der Social-News-Plattform Reddit sagten die meisten Umsteiger, sie hätten sechs Monate bis ein Jahr gebraucht, um auf der Dvorak- oder Colemak-Tastatur (einer verbesserten Variante der QWERTY-Tastatur) wieder ähnlich schnell zu schreiben.

Die Anordnung der Tasten stammt aus dem 19. Jahrhundert und basiert auf der Mechanik der Schreibmaschine. Foto: iStockphoto

Frankreich erprobt zwei Tastaturen, eine radikal neue und eine moderate, die sich durchsetzen dürfte.

Drei Tipps für komfortableres Tippen

— Microsoft Keyboard Layout Creator (MSKLC): Mit diesem Gratis-Programm erstellen oder bearbeiten Sie Tastaturbelegungen für Windows. Sie ergänzen zum Beispiel die normale Tastaturbelegung für Schweizer Deutsch mit Zeichen, die Sie häufig benötigen, zum Beispiel typografische Anführungszeichen, Brüche, Währungssymbole, Aufzählungszeichen oder ähnliche Dinge.

— Bei der Nemeio-Tastatur lassen sich alle 81 Tasten frei konfigurieren und beliebig belegen. Jede Taste hat ein E-Ink-Display eingebaut und zeigt die zugeordneten Zeichen an, sodass man sie sich nicht zu merken braucht. Nebst alternativen Tastatur-Layouts macht diese Tastatur die Arbeit mit Tastaturkürzeln einfacher – und man passt sogar die Formatierung der Tasten-Beschriftungen an. Die Tastatur wurde an der Elektronikmesse CES Anfang des Jahres vorgestellt. Preis und Verfügbarkeitsdatum sind noch nicht bekannt. Ähnlich funktioniert auch das Sonder-Keyboard: Es lässt sich bei Sonderdesign.com für 199 US-Dollar vorbestellen.

— HotkeyP (http://bit.ly/hotkeyp) ist ein kostenloses Windows-Programm, das die Möglichkeiten der Tastatur enorm ausweitet: Mit ihm lässt sich jede Taste umprogrammieren oder mit Befehlen oder Befehlsabläufen versehen. (schü.)

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 10. Juli 2019

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