Selbst Microsoft traut der Cloud nicht zu hundert Prozent

Einschätzung Der Softwarekonzern verbietet den Mitarbeitern die Nutzung von Diensten der Konkurrenz. Ist das scheinheilig oder klug?

Letzten Freitag hatte Slack einen fulminanten Start an der New Yorker Börse. Die App für Teamkommunikation startete mit einem Plus von 60 Prozent.

Allerdings teilen nicht alle die Begeisterung für Slack: Bei Microsoft steht das Werkzeug auf der schwarzen Liste; so berichtete Geekwire. Die News-Plattform bezieht sich auf eine interne Richtlinie, die ihr vorliegen soll. Und wenn die stimmen sollte, dann stehen beim Softwarehersteller aus Redmond noch viele andere Produkte auf dem Index.

Die Microsoft-Angestellten sollen demnach die Finger auch von der Grammatikprüfung Grammarly und den Sicherheitsprodukten von Kaspersky lassen. Tabu sind schliesslich auch Google Docs und die Cloud-Infrastruktur von Amazon (AWS). Klar: Microsoft hat in diesen Fällen bereits eigene Produkte im Angebot – und bei vielen Tech-Unternehmen gilt das Sprichwort «Eat your own dog food»: Friss dein eigenes Hundefutter. Was man den Kunden vorsetzt, sollte man sich auch selbst zumuten – nur so sieht man, ob es etwas taugt.

Vom ehemaligen Chef Steve Ballmer weiss man, dass er richtiggehend allergisch auf die Erzeugnisse der Konkurrenz reagierte. 2009 hat Ballmer an einer Sitzung persönlich einem seiner Mitarbeiter ein iPhone aus den Fingern gerissen und so getan, als würde er es zertrampeln. Der jetzige Chef sieht das aber lockerer. Satya Nadella hat schon öffentlich ein iPhone benutzt.

Heute sind Konkurrenzprodukte nicht mehrverfemt. Das bekräftigt auch Tobias Steger von Microsoft Schweiz, der nicht bestätigen konnte, dass die von Geekwire zitierten Regelungen authentisch sind. Er hält fest: «Wir sind als Unternehmen in den letzten fünf Jahren massiv offener geworden. Uns ist bewusst, dass die User verschiedene Plattformen nutzen, und dem tragen wir Rechnung.» Steger verweist auch auf das Engagement im Open-Source-Bereich, gerade auch bei Github.

Der Bannist nachvollziehbar

Trotzdem fragt sich, wie gross die Vorbehalte bei Microsoft gegenüber der Cloud sind. Mit einem Bann belegt wurde auch Github. Auf dieser Cloud-Plattform können Softwarentwickler gemeinsam an Projekten arbeiten. Githubgehört Microsoft. Der Konzern hat sie 2018 für 7,5 Milliarden gekauft.

Das ist auf den ersten Blick pikant: Microsoft, selbst ein grosser Cloud-Anbieter, traut der Cloud also nicht. Die Skeptiker werden das als Bestätigung sehen: Auf fremden Servern sind die eigenen Geschäftsgeheimnisse nicht sicher. Wer dort vertrauliche Informationen deponiert, kann die auch gleich auf die eigene Website stellen.

Die Cloud-Skeptiker werden Microsoft vielleicht sogar unterstellen, dass diese Furcht vor der Konkurrenz so gross ist, weil der Konzern die Sicherheitsrisiken genau kennt. Microsoft hat genügend Erfahrung, um zu wissen, wie schwer es ist, Daten nicht nur vor Diebstahl und übergriffigen Behörden, sondern auch vor fehlbaren Mitarbeitern zu schützen.

Bei näherer Betrachtung ist dieser Konkurrenzbann aber nicht spektakulär – sondern nachvollziehbar. Geekwire liefert auch Erklärungen aus der internen Richtlinie, weswegen die Dienste nicht genehm sind. Github ist nur für besonders vertrauliche Informationen unerwünscht. Bei Slack fehlen Kontrollen, um Microsofts «geistiges Eigentum zu schützen».

Und ja: Jedermann sollte eine Abwägung machen, welche Daten man mit maximalem Komfort über simple Webdienste nutzt und wo man zugunsten der Sicherheit mehr Aufwand und Umstände in Kauf nimmt. Private sollten das tun. Unternehmen ebenso. Und natürlich auch Hightech-Firmen, die selbst Daten anderer Leute speichern.

Wie Vertrauen entsteht

Doch etwas stört trotzdem an der Sache. Da Microsoft genauweiss, wie wichtig und schwer diese Einschätzung zu treffen ist, könnte man uns Nutzern dabei auch helfen – was übrigens auch für Google, Amazon, Slack und all die anderen gilt:

Hört auf, uns hundertprozentige Sicherheit zu suggerieren und euch gleichzeitig hinter langfädigen und komplizierten Datenschutzregeln zu verschanzen. Tut stattdessen alles, um Transparenz zu schaffen: Sagt uns, wie die Datenhaltung und der Datenschutz organisiert sind. Welche internen Zugriffsmöglichkeiten sind vorhanden? Welchem Zweck dienen sie? Wie wird Kontrolle ausgeübt? Und wo kann man sich als Kunde hinwenden, wenn man Fragen hat oder Missbrauch vermutet? Und legt offen, was schiefläuft – das schreckt mich als Kunde nämlich nicht ab, sondern gibt mir die Gewissheit, dass ich kein blindes Vertrauen leisten muss.

Matthias Schüssler

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 26. Juni 2019

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