Am Gängelband der amerikanischen Konzerne

Huawei Trumps Technologie-Bann führt vor Augen, wie riesig die Macht der amerikanischen Tech-Giganten ist. Europa müsse in die eigene Unabhängigkeit investieren, fordern Aktivisten. Und auch Nutzer können etwas für mehr Autonomie tun.

Matthias Schüssler

US-Präsident Trump hat den Telekommunikationsnotstand ausgerufen und Huawei auf eine schwarze Liste gesetzt: US-amerikanische Unternehmen dürfen den chinesischen Hersteller nicht mehr mit ihrer Technologie beliefern. Dessen Telefone müssen in Zukunft ohne Google auskommen. Bereits verkaufte Geräte sollen weiterhin wie gewohnt funktionieren. Ob sie noch grosse Updates erhalten, steht bis jetzt noch in den Sternen.

Es ist nicht das erste Mal, dass digitale Technologie zum Spielball politischer Interessen wird. Die USA hatten für die Verschlüsselungstechnik jahrelang Exportbeschränkungen in Kraft. Ohne diese Technologie wäre das heutige Internet nicht denkbar, weil weder Onlineshopping noch Kommunikation sicher stattfinden könnte. Erst die Clinton-Regierung hat im Jahr 2000 die harten Restriktionen gelockert.

Abgesehen davon, waren Betriebssysteme und die allermeisten Anwendungsprogramme frei nutzbar: Windows kam und kommt überall auf der Welt zum Einsatz, auch in China und Russland. Alternativen gibt es zwar: China entwickelte zwischen 1999 und 2014 mit gewissen Ambitionen Red Flag Linux, eine Variante des freien Betriebssystems Linux. Und das russische Verteidigungsministerium, Armee und Geheimdienste nutzen Astra Linux, eine besonders abgesicherte Linux-Variante. Doch das sind Randerscheinungen.

Apple lässt nicht jeden rein

Dass die Amerikaner den Ton angaben, wurde in der Zeit vor dem Internet und in der Anfangsphase des Netzes nicht als Problem gesehen: Software wurde auf Installationsdisketten und CDs verteilt, die sich kaum kontrollieren und leicht raubkopieren liessen. Einmal eingerichtet, lief ein Computer autonom. Microsoft, Apple und die anderen Hersteller hatten keine Interventionsmöglichkeiten.

In der vernetzten Welt ist das anders: Geräte benötigen zum sicheren Betrieb kontinuierlich Updates. Und sie sind an die App Stores angebunden. Die sind die wichtigste oder (je nach Konstellation) die einzige Bezugsquelle für Software. Das gibt den Hütern der Software weitreichende Befugnisse über die ganze Nutzungsdauer des Geräts: Sie können Updates verweigern oder forcieren und Funktionen hinzufügen oder abdrehen.

Apple ist bekannt dafür, seinen App Store streng zu reglementieren. Das erhöht Sicherheit und Stabilität und verhindert Softwarepiraterie, aber es schränkt auch die Möglichkeiten ein. Apple erlaubt keine anzüglichen Apps, zieht dümmlichen Scherz-Apps den Stecker und verhindert jegliche Programme, die ins System eingreifen.

Android lässt den Nutzern mehr Wahlfreiheit: Die Hersteller der Geräte haben die Möglichkeit, das System zu verändern und mit individuellen Verbesserungen auszustatten. Doch auch Google macht von seiner Machtposition gnadenlos Gebrauch: Der Softwarekonzern schrieb den Herstellern vor, welche Apps sie auf den Geräten installieren müssen, wenn sie Zugang zu den Google-Diensten und dem Play Store haben wollen. Wegen dieser Bündelung hat die EU-Kommission im Juli 2018 deswegen eine Rekordstrafe von 4,3 Milliarden Euro gegen Google verhängt.

Ein paar wenige US-amerikanische Konzerne besetzen die Schlüsselpositionen: Wenn Trump nun Google, Apple und Microsoft, aber auch Intel und Qualcomm in den Handelsstreit hineinzieht, dann wird aus einer grossen Abhängigkeit ein massiver Wettbewerbsnachteil. Das kann den Herstellern in Fernost nicht gefallen – und den Nutzern hier in Europa genauso wenig.

Erfolglose Europäer

Manche fordern bereits einen Befreiungsschlag, namentlich die Free Software Foundation Europe (FSFE): Die gemeinnützige Organisation zur Förderung freier Software weist darauf hin, dass sich quelloffene Programme nicht auf die Weise einschränken lassen, wie es Google jetzt auf Geheiss des US-Präsidenten tut. Unternehmen müssten darum freie Software einsetzen, und die Regierungen sowie speziell die Europäische Union hätten die Pflicht, mehr Ressourcen in die Entwicklung freier Software zu investieren, fordert die FSFE.

Ob der Appell dieses Mal Gehör findet, bleibt fraglich. Bis jetzt waren europäische Emanzipationsversuche spärlich und wenig erfolgreich: Nokia ist mit seinem Projekt, Symbian als Konkurrenz-Smartphone-Betriebssystem gross zu machen, grandios gescheitert. Die französische Suchmaschine Qwant, die durchaus brauchbare Resultate liefert und strenge Datenschutzauflagen verfolgt, hat selbst in ihrem Heimatland weniger als ein Prozent Marktanteil.

Wenn man als Privatanwender seine Abhängigkeit zumindest graduell reduzieren möchte, dann sind die Möglichkeiten bei iPhone und iPad gering. Bei Apple-Mobilgeräten muss man sich darauf beschränken, Apps und Dienste alternativer Anbieter zu nutzen und Risiken und Abhängigkeit zu streuen.

Bei Android gibt es mehr Abnabelungsmöglichkeiten: Die einfachste ist, bei der Einrichtung des Geräts kein Google-Konto anzugeben oder es nachträglich zu entfernen. Das hat aber zur Folge, dass man anstelle des Play Store eine alternative Bezugsquelle für Apps verwenden muss. Zur Auswahl stehen die folgenden: F-Droid (F-droid.org) stellt einen Katalog bereit, in dem nur Open-Source-Apps zu finden sind. Aptoide.com hat einen grossen Katalog mit vielen populären Apps. Es gibt aber auch Fälschungen und Schadsoftware. Etwas sicherer scheinen Uptodown.com und der App Store von Amazon zu sein, doch es bleibt ein Restrisiko.

Um alternative Stores zu nutzen, müssen Sie die Option «Installation von Apps aus unbekannten Quellen» aktivieren. Diese sollte Ihnen Ihr Telefon anbieten, nachdem Sie beispielsweise von F-droid.org die Katalog-App heruntergeladen haben und den Befehl zum Öffnen antippen. Falls der Hinweis nicht erscheint, suchen Sie die Option in den Einstellungen. Wo Sie fündig werden, hängt von Gerät und Modell ab. Bei Huawei steckt sie unter «Sicherheit & Datenschutz › Zusätzliche Einstellungen».

Die App-Alternativen

In F-Droid finden Sie Alternativen zu gängigen Google-Apps: etwa Firefox statt Chrome, Duckduckgo statt der Google-Suche und Webtube statt Youtube.

Die radikalste Lösung ist, das Standard-Betriebssystem durch eine offene Version von Android zu ersetzen – etwa LineageOS oder Replicant. Das setzt jedoch viel Fachwissen voraus, und oft ist es nötig, Sicherheitsmechanismen der Hersteller zu entfernen. Das nennt man auch Rooting. «Die Gefahren sind so gross, dass sie auf keinen Fall für die Lebenszeit eines Smartphone eingegangen werden sollten», erläutert IT-Sicherheitsexperte Marco Beierer, der sich mit dem Rooting bei Android auseinandergesetzt hat.

Gegen diese Gefahren könnten die Hersteller etwas unternehmen: Sie haben es in der Hand, die Installation alternativer Systeme zu vereinfachen. Das würde die Abhängigkeit auf einen Schlag markant verringern.

Die Europäische Union müsste mehr Ressourcen in die Entwicklung freier Software investieren.

Die US-amerikanischen Tech-Konzerne führen die Smartphone-Nutzer an kurzer Leine. Foto: Marlene Awaad (Bloomberg, Getty Images)

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 22. Mai 2019

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