Wozu Software kaufen? Es gibt doch das Netz!

Im Internet existieren Anwendungen für fast alles. Wir zeigen, wie weit man mit Gratis-Webapps kommt.

Matthias Schüssler

2011 brachte Google ein neues Betriebssystem an den Start – mit einem hehren Versprechen: Chrome OS werde uns «die Last der Computerverwaltung abnehmen», verkündete Google-Mitgründer Sergey Brin höchstpersönlich an der Medienkonferenz: Wer mit Chrome-Laptops arbeite, sollte sich nicht um Installation, Konfiguration und Updates kümmern müssen. Stattdessen könne er einfach nur Anwender sein – wie es die Rollenbezeichnung seit je impliziert.

Der Trick von Google war einfach: Die Programme laufen auf einem Server im Netz, nicht auf dem eigenen Computer. Sie werden Webanwendungen genannt und müssen weder heruntergeladen noch installiert werden. Es reicht, die passende Internetsite aufzurufen, um mit der Arbeit loszulegen. Chrome OS ist nicht viel mehr als ein mit einem minimalen Betriebssystem verschmolzener Browser.

Eine verkannte Alternative?

Nach sieben Jahren zeigt sich, dass Chrome OS den klassischen Betriebssystemen Windows und Mac OS nicht gefährlich werden konnte. Googles Betriebssystem dümpelt zwischen einem halben und einem Prozent Marktanteil. Ob sich daran etwas ändert, nachdem Hersteller wie Acer inzwischen auch Tablets mit Chrome OS anbietet, ist eher fraglich. Und auch Chrome OS vertritt nicht mehr die reine Lehre der Webanwendungen. Das Betriebssystem kann inzwischen auch Android-Apps ausführen.

Trotzdem sind Webapps inzwischen eine Alternative zu den klassischen Softwareprogrammen. Es gibt ein beachtliches Angebot, und es lässt sich auch Geld sparen. Webapps sind in aller Regel kostenlos, und wie die Übersicht zeigt, teilweise mit einem Funktionsumfang ausgestattet, der mit Kaufprogrammen absolut mithalten kann:

Office

Dank Google Docs haben viele bei den Office-Anwendungen den Schritt ins Web vollzogen. Kein Wunder: Textverarbeitung, Tabellenkalkulation und Präsentationsprogramm sind viel übersichtlicher als die klassischen Pendants. Aber es gibt abseits von Google interessante Varianten. Unter Editpad.org findet sich ein maximal reduzierter Texteditor – er kann nichts anderes als unformatierten Text entgegennehmen und abspeichern. Wer es nicht ganz so simpel mag, schaut auf Writeurl.com vorbei: Hier sind einfache Formatierungen erlaubt. Unter Htmled.it erfasst man seine Texte mit Format und lädt sie als HTML-Datei herunter: Das Internet-Standardformat lässt sich in jedem Browser betrachten. Alle diese Apps funktionieren ohne Registrierung und Benutzerkonto.

Auch für Excel gibt es eine unkomplizierte Onlinealternative: Ethercalc.net kommt ebenfalls ohne Anmeldung aus. Die unkomplizierte Tabellenkalkulation rechnet, sortiert und überprüft die eingegebenen Daten im Browser und zeigt sie bei Bedarf auch als Diagramm an. Wer mag, kann Ethercalc, genauso wie den das Textverarbeitungsprogramm Etherpad.org, auf einem eigenen Server betreiben. Auf diese Weise nutzt man die Vorteile der Cloud, ohne Daten in fremde Hände geben zu müssen.

Termine und To-do-Listen

Eine Paradedisziplin der Cloud sind auch Kalender und die digitale Pendenzenliste. Der Google-Kalender ist weit verbreitet, aber nicht alternativlos: Microsoft hält unter Outlook.live.com eine eigene Terminverwaltung bereit. Seine Pendenzen trägt man unter Todo.microsoft.com ein: Der Dienst hier geht auf Wunderlist zurück. Das ist eine Berliner Entwicklung, die Microsoft 2015 für einen dreistelligen Millionenbetrag gekauft hat. Und schliesslich Calendly.com: Das ist ein auf die Teamarbeit ausgelegter Kalender.

Fotografie und Grafik

Geradezu riesig sind die Möglichkeiten, wenn es um die Bearbeitung von Grafiken und Fotos geht. Auf Polarr.co findet sich ein Bildbearbeitungsprogramm, das nicht nur JPG-Dateien öffnet, sondern sich auch auf das Rohdatenformat (RAW) versteht. Für die Nachbearbeitung greift man auf leistungsfähige Maskierungsmöglichkeiten und auf Filter zurück, die Instagram alt aussehen lassen. Die Basisfunktionen sind kostenlos und ohne Anmeldung nutzbar. Für die Profiwerkzeuge bezahlt man 2 US-Dollar im Monat. Dafür darf man auch die Windows-, Mac- und die Mobilversion für Android und iPhone nutzen. Die mobile App haben wir hier besprochen.

Unter Photopea.com lassen sich kostenlos Photoshop-Dateien öffnen und bearbeiten. Diese Webanwendung stellt die allermeisten der Werkzeuge dieser Profianwendung zur Verfügung. Es gibt viele der Maskierungswerkzeuge, die Ebenen mit vielen Effekten und Filter wie «Verflüssigen»: Das ist eine Geheimwaffe der Bildbearbeitung, weil man damit Proportionen und Konturen effektvoll verändert und seine Sujets an den einen Stellen schlanker, an anderen kurvenreicher macht.

Infografiken und Logos

Alternativen sind Pixlr.com, Lunapic.com oder Fotor.com. Und auch für Spezialzwecke gibt es Geheimtipps: Mit Venngage.com baut man Infografiken: Das sind Abbildungen mit Datenvisualisierungen, die komplexe Zusammenhänge aufzeichnen. Dank unzähliger Vorlagen fällt das auch Leuten ohne illustrative Talente (vergleichsweise) leicht. Für die Präsentation im Web lassen sich die Grafiken sogar illustrieren. Und wer die Aufgabe hat, ein Logo zu gestalten, der behilft sich mit Designevo.com (ausführlich hier besprochen) oder mit Logojoy.com (Ein Roboter gestaltet ein Logo).

Fazit: Die Auswahl an Webanwendungen ist beeindruckend: Es gibt viele Anwendungen, die mit ihrem Funktionsumfang an klassische Programme heranreichen oder diese sogar übertreffen. Der Bedienkomfort ist bei den sogenannten nativen Apps, also den installierten Programmen meist besser: Sie laufen schneller und sind weniger anfällig auf Verbindungsstörungen. Sie interagieren besser mit anderen Programmen und sie haben klare Stärken beim Datenaustausch.

Es gibt deshalb keinen klaren Sieger: Für die täglichen Aufgaben werden viele Nutzer weiterhin auf native Apps setzen. Doch für kleinere Angelegenheiten kommt man mit Webanwendungen schneller und unkomplizierter ans Ziel. Und wer netzaffin genug ist, braucht tatsächlich keine einzige Anwendung mehr zu installieren.

Quelle: Newsnetz, Dienstag, 23. Oktober 2018

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