Alte Software, neues Geschäftsmodell

Office Microsoft lanciert ein neues Produkt, und kaum jemand nimmt Notiz? Das klingt so, als ob die Zeit der Bürosuite abgelaufen wäre. Doch weit gefehlt: Es zeigt, dass Microsofts Wechsel zum Abomodell erfolgreich war.

Matthias Schüssler

Früher war die Lancierung einer neuen Office-Version ein Grossereignis: Als Bill Gates noch Softwarechef bei Microsoft war, übernahm er höchstpersönlich die Aufgabe, publikumswirksam von den neuen Funktionen zu schwärmen – in einem Umfeld, das oft mehr an ein Popkonzert als an eine Medienkonferenz erinnerte. Ebenso Steve Ballmer: Beim Start von Office XP im Mai 2001 sah man ihn in der Pose des Olympiasiegers, der keine Trophäe, aber die Installations-CD des fertigen Produkts über den Kopf stemmt. Und auch hierzulande sind die Journalisten in Heerscharen herbeigeströmt, wenn die neuen Funktionen und Features verkündet wurden.

Tempi passati: Das Erscheinen von Office 2019 hat der Softwarekonzern letzte Woche in einem unscheinbaren Blogbeitrag angekündigt. Auch intern wird nicht viel Aufhebens gemacht. Microsofts Schweizer Kommunikationsabteilung teilte auf eine Anfrage mit, man höre zum ersten Mal von diesem Produkt. Mag selbst der Hersteller keine Begeisterung für sein einstmaliges Vorzeigeprodukt aufbringen? Geht eine dreissigjährige Ära zu Ende?

Das Ende einer Ära?

Es wäre bemerkenswert. Lange Jahre hatte Microsoft mit seiner Bürosoftware die Stellung eines kaum angefochtenen Industriestandards inne. Es gab zwar Alternativprodukte. Doch wer Reibungsverluste beim Datenaustausch vermeiden und kein exotischer Aussenseiter sein wollte, der setzte auf Microsoft Office – aller Kritik und den bekannten Mängeln zum Trotz. Und da Microsoft bei jedem Update Änderungen an den Dateiformaten vornahm, mussten Nutzer zur Vermeidung von Kompatibilitätsproblemen brav jeden Aktualisierungsschritt mitmachen. Das hat sich ausgezahlt: Office hat Microsoft über Jahre mehr Geld eingebracht als das Betriebssystem Windows.

Dochheute gibtes Ausweichmöglichkeiten: Apps für Tablets und Smartphones, Webanwendungen und kostenlose Desktop-Programme. Sogar Microsoft stellt abgespeckte Varianten von Word, Excel und Powerpoint bereit. Die haben zwar einen kleineren Funktionsumfang. Doch manche Anwender schätzen das sogar, weil sich die Apps deutlich übersichtlicher präsentieren.

Es gibt aber einen guten Grund für den verhaltenen Start von Office 2019, und der ist für Microsoft höchst erfreulich: Der Softwarekonzern konnte sein Mietmodell erfolgreich im Markt etablieren. Seit 2011 gibt es Office 365: Das ist die Variante der Bürosoftware, die für eine monatliche oder jährliche Gebühr zu abonnieren ist. Seit fünf Jahren steht sie auch Privatanwendern offen. Mit diversen Zückerchen gegenüber dem klassischen Kaufpaket versüsst Microsoft den Umstieg: Nutzer von Office 365 Home können die Software (110 Franken pro Jahr oder 10.95 Franken pro Monat) auf bis zu 5 PC oder Macs installieren und auf je 5 Tablets und Smartphones nutzen. Es gibt ein Terabyte Speicher bei Microsofts Online-Datenablage Onedrive sowie 60 Skype-Gesprächsminuten. Für Einzelpersonen gibt es Office 365 Personal (70 Fr./Jahr oder 6.95 Fr./Monat).

Zum Vergleich: Die Kaufversion von Office 2016 schlägt mit 160 Franken zu Buche. Die Preise für Office 2019 sind noch nicht bekannt. Sie fallen womöglich höher aus. Trotzdem: Das Abomodell bringt für Microsoft mehr Umsatz pro Nutzer und kontinuierliche Einnahmen. Es ist ein neues, erfolgreiches Geschäftsmodell für ein angejahrtes Produkt. Und auch viele Anwender schätzen das Mietmodell: Im Sommer 2017 haben die Umsätze der Mietvariante die der Kaufversion eingeholt – mit einem strammen Wachstum von 43 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der Absatz von Kauflizenzen ist in der gleichen Zeit um 17 Prozent zurückgegangen.

Was die absolute Zahl der Nutzer angeht, dürfte sie bei der Kaufversion nach wie vor um ein Vielfaches höher sein – und man muss vermuten, dass noch viele alte und uralte Office-Versionen im Einsatz sind: 2016 hat Microsoft angegeben, 1,2 Milliarden Leute würden weltweit mit Office arbeiten. Neuere Zahlen gibtes nur für Office 365: Die besagen, dass es im Juli dieses Jahres 135 Millionen Abonnenten gab.

Ein Merkmal der Mietvariante ist, dass die Entwicklung nicht mehr in grossen Versionssprüngen erfolgt. Die Software wird kontinuierlich, mit häufigen kleinen Updates verbessert. Office 2019, das nun den Vorgänger Office 2016 ablöst, enthält die gesammelten Updates der letzten Jahre: Funktionen, die den Nutzern von Office 365 teils seit längerer Zeit zur Verfügung stehen. Das Signal ist klar: Wer mietet, wird bevorzugt behandelt. Und das Abomodell hat zur Folge, dass es auch keine Gelegenheit mehr für rauschende Software-Partys gibt.

Zu der stiefmütterlichen Behandlung gehört, dass Office 2019 per sofort erst für die grossen Unternehmen mit Volumen-Lizenzen verfügbar ist. Privatanwender und KMU müssen zuwarten, ohne dass Microsoft ein Zeitplan zu entlocken gewesen wäre. Die Software werde «in den nächsten Wochen» erhältlich sein – mit welchem Funktionsumfang, bleibt abzuwarten. Eine weitere Einschränkung: Die Software läuft nur auf Windows 10, nicht auf Windows 7 oder 8.1.

Welche Neuerungen Microsoft in der letzten Zeit eingeführt hat, zeigen wir anhand von Office 365 in einem Video, das Sie auf der Website dieser Zeitung vorfinden. Augenfällig ist eine leichte Auffrischung der Oberfläche. Die Möglichkeiten der Zusammenarbeit wurden verbessert: Wenn Nutzer via Internet am gleichen Dokument arbeiten, erfolgt die Aktualisierung jetzt «live» und ähnlich schnell wie in Google Docs. Mitarbeiten können auch Leute, die Office nicht installiert haben: Auf freigegebene Dokumente lässt sich via Browser zugreifen.

Wenig Umstiegs-Anreize

Ansonsten gibt es Detailverbesserungen: Die Lerntools in Word helfen, das flüssige Lesen zu trainieren. Man kann 3-D-Modelle in Dokumente einfügen, die sich in alle Richtungen drehen lassen und teils animiert sind. Der Morph-Übergang in Powerpoint überblendet die Objekte von einer Folie zur nächsten, was fernsehreife Effekte ergibt.

Das ist nett, doch für Nutzer von einigermassen aktuellen Office-Kaufversionen sind die Anreize für ein Update gering. Für Nutzer von Office 2007 und älteren Versionen, die offiziell nicht mehr unterstützt werden, ist Office 2019 jedoch eine gute Gelegenheit, zur Aktualität aufzuschliessen. Und wer bis jetzt nicht mietet, wird das auch künftig nicht tun. Denn gekaufte Software funktioniert zuverlässiger als gemietete, weil allen Beteuerungen der Hersteller zum Trotz manchmal Probleme bei der Überprüfung von Abos und Lizenzen auftreten. Und eben: Mietsoftware stellt den Betrieb ein, wenn man die Abogebühr nicht bezahlt. Die Kaufprogramme hingegen laufen so lange, wie sie technisch dazu in der Lage sind.

Die Verkündung von neuen Funktionen und Features wurden von Microsoft in früheren Jahren als Grossanlass inszeniert. Foto: Bloomberg, Getty

Microsoft versüsst den Umstieg aufs Mietmodell mit vielen Zückerchen.

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 3. Oktober 2018

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