Der PC ist reif für die Nische

Absatzzahlen Das Smartphone lässt den Personal Computer links liegen. Meldungen über das Ableben des PCs wären jedoch verfrüht. Windows- und Mac-User profitieren sogar davon, nicht mehr im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen.

Matthias Schüssler

«Bin ich der letzte PC-Benutzer der Schweiz?», fragte dieser Tage ein verzweifelter Leser in einem Mail an die Tamedia-Digitalredaktion. Er konstatierte, dass sich die Berichterstattung um Smartphones und Tablets, um smarte Uhren und Wearables dreht – und der klassische PC kaum mehr zum Zug kommt.

Dieser Trend ist nicht von der Hand zu weisen: Die Fortschrittstreiber sind längst nicht mehr Windows oder Mac, sondern die besagten mobilen Geräte und Gadgets, aber auch Social Media und die Cloud, die Blockchain, das vernetzte Heim, das Internet der Dinge und die künstliche Intelligenz. So ist es unvermeidlich, dass der Personal Computer häufig und immer wieder für tot erklärt wird. Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» hat ihm kürzlich das Totenglöcklein geläutet und dies mit Zahlen des Marktforschungsunternehmens Gartner belegt. Sie besagen, dass pro PC inzwischen fünf Smartphones verkauft werden. Seit 2011 sanken die globalen PC-Verkäufe jedes Jahr zwischen einem und zehn Prozent.

Eine Ausnahme ist allerdings die Schweiz: Hierzulande wurden 2017 3,5 Prozent mehr Computer abgesetzt als im Jahr zuvor. Zum Plus haben einerseits die Unternehmen beigetragen. Andererseits zahlen sich für die Hersteller die neuen hochpreisigen Produkte aus: Bei uns haben die besonders dünnen Notebooks, die sowohl als Laptop als auch als Tablet nutzbaren Convertibles und die leistungsstarken Gaming-Maschinen die privaten Käufer zu Neuanschaffungen animiert.

Private wenden sich ab

Doch global gesehen sind es jene privaten Nutzer, die zum Rückgang beitragen. Der Kommentator der grossen IT-Plattform Zdnet.com hat im August das Totenlied auf die Home-Edition von Microsofts Betriebssystem angestimmt: «2018 ist das Jahr, in dem Windows für die Haushalte gestorben ist – was anscheinend niemanden interessiert.» Viele Familien kämen heute mit Smartphones und/oder Tablets bestens über die Runden. Und wo es noch private PCs gebe, würden diese in der Ecke als Staubfänger dienen. Jedenfalls werden die PCs und Laptops auf gar keinen Fall mehr so fleissig ersetzt, wie das noch vor 10 oder 15 Jahren der Fall war.

Über die Frage, ob ein Tablet den PC wirklich ersetzen kann, wird leidenschaftlich gestritten. Apple hat die Diskussion durch den «What’s a computer?»-Werbespot angeheizt: In diesem erledigt eine Schülerin im Hinterhof ihre Hausaufgaben auf einem iPad. Auf die Frage einer Nachbarin, was sie denn «an ihrem Computer» tue, antwortet sie: «Was ist ein Computer?»

Dieser Werbespot hat auf Twitter geradezu irrationale Wutausbrüche ausgelöst: «Ich habe nie einen Werbespot mehr verabscheut als den mit diesem Hipster-Mädchen», schrieb ein Nutzer auf Twitter. Ein anderer meinte, er würde jedes Mal einen Ziegelstein in den Fernseher werfen wollen, wenn der Spot zu sehen sei. «Du weisst, was ein Computer ist, du respektlose Klugscheisserin!», tobte ein Dritter. Den PC nicht mehr zu nutzen, ist das eine. Ihm in einer Art Geschichtsklitterung nachträglich jegliche Verdienste und sogar die Existenz abzusprechen, hingegen für viele ein Sakrileg.

Natürlich weisen viele zu Recht darauf hin, dass es sehr von der Aufgabe abhängt, ob man mit einem Tablet zum Ziel kommt oder nicht. Fürs Surfen, Zeichnen oder Office, für die Mails und einfachere Gestaltungsaufgaben ist ein Tablet bestens gerüstet. Doch wenn die Anschlussmöglichkeiten für externe Hardware, die Flexibilität beim Datenmanagement oder die Verfügbarkeit von Profi-Software die entscheidenden Kriterien sind, dann steht der PC auch heute noch besser da. An einem iPad kann auch eine eigentlich simple Aufgabe zu einer kniffligen Aktion ausarten. Das liegt daran, dass Apple die Nutzer mit den PC-typischen Dingen wie der Dateiverwaltung verschonen wollte. Doch genau das führt dazu, dass manche Dinge sehr umständlich sind – beispielsweise ein Bild in einer bestimmten Qualität zu speichern, mit dem passenden Dateinamen zu versehen und auf einen Webserver hochzuladen.

Apple tritt an Ort

Wer dem PC die Treue hält, könnte sich von den Herstellern vernachlässigt fühlen. Apple bringt demnächst eine neue Version des Desktop-Betriebssystems heraus: Mac OS 10.14 alias Mojave bringt einen dunklen Modus, der die Augen in den Abend- und Nachtstunden schont – aber ansonsten nur wenige handfeste Neuerungen. (Wir stellen sie auf der Website dieser Zeitung unter dem Titel «Warum es gut ist, dass Apple kleinere Brötchen bäckt» vor.)

Microsoft seinerseits hat vor drei Jahren Windows 10 lanciert und einen Wechsel bei der Produktentwicklung vollzogen: Das Betriebssystem macht keine grossen Versionssprünge mehr, sondern wird häufiger, in kleinen Versions-Updates, aktualisiert. Nicht alle ziehen zum Jubiläum ein positives Fazit.

Windows-Profis sind sauer

Susan Bradley, die von Microsoft mit dem Titel als hochangesehene Expertin («Most Valuable Professional») ausgezeichnet wurde, hat diesen Sommer einen offenen Brief an Microsoft-Chef Satya Nadella persönlich gerichtet: Die Qualität der Updates habe in der letzten Zeit stark nachgelassen und enorme Probleme verursacht. Sauer stösst den Experten auf, dass Windows beim Aktualisieren automatische Neustarts hinlegt, die oftmals zu Unzeiten kommen – ein seit längerem kritisiertes Problem.

Private Windows-Nutzer, die von Update-Problemen verschont bleiben, dürfen mit Windows allerdings zufrieden sein: Microsoft baut zwar neue – und für viele eher unnütze – Dinge wie die Modelling-Software 3D Builder ein. Doch Microsoft verbessert auch Funktionen, die es seit Urzeiten gibt, die aber bislang wenig tauglich waren. Ein Beispiel dafür ist der Aktivitätsverlauf, den es seit dem Frühling gibt, der mit Windows-Taste und Tabulator aktiviert wird und der endlich einen vernünftigen Weg bietet, um auf zuvor verwendete Dokumente zuzugreifen.

Der PC als Staubfänger: Viele gebrauchen heute andere Arbeitsinstrumente. Foto: Rita Palanikumar (13Photo.ch

An einem iPad kann eine simple Aufgabe sehr knifflig werden. Ein PC würde sich da besser eignen.

Nützliche Systemneuerungen

Zusammenarbeit mit Handys.

Macs arbeiten per «Handoff» eng mit iPhones und iPads zusammen. Am einen Gerät geöffnete Mails oder Websites erscheinen auch am anderen Gerät. Windows verknüpft das Smartphone in den Einstellungen bei «Telefon».

Angepasste Anzeige.
Der dunkle Modus ist bei wenig Licht augenschonend: Beim Mac in den Einstellungen unter «Allgemein», bei Windows 10 unter «Personalisierung › Farben». Und: Beide Systeme reduzieren abends den Blauanteil. Beim Mac heisst das «Night Shift», bei Windows «Nachtlicht». (schü.)

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 12. September 2018

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