Swisscom will das veraltete SMS beerdigen

Seit 2012 wird der moderne Messenger-Standard RCS entwickelt. Nun hat Google seine Unterstützung zugesagt, und die Swisscom will ihn noch 2018 einführen. Andere Anbieter warten ab – und Datenschützer kritisieren RCS harsch. Die grosse Frage bleibt: Was macht Apple?

Matthias Schüssler

Das SMS ist auf dem absteigenden Ast. Zahlen der Swisscom zeigen, dass 2017 noch knapp so viele Kurznachrichten versendet wurden wie 2001: Damals waren es 3,4 Millionen pro Tag. Der Gipfel war 2011 mit 8,1 Millionen erreicht.

Natürlich ist das Smartphone schuld am Niedergang. Es brachte uns eine Fülle von Messenger-Apps, die dem SMS weit überlegen sind: Verschlüsselung und Gruppen-Chats, Multimedia und Datentransfers, Sprachmitteilungen und Videotelefonie, Sticker und animierte GIFs statt nur 160 Zeichen Text.

Es gibt auch Apps für die anonyme Kommunikation und solche, die selbst ohne Internet und Mobilfunk funktionieren: Sie verbinden sich direkt mit den Smartphones in der Umgebung. Im Jahr 2014 hatte die App Firechat von sich reden gemacht, die bei Protestkundgebungen in Hongkong, Taiwan, im Iran und im Irak von Hunderttausenden Demonstranten genutzt worden sei.

Je nach Messenger können Nutzer auch Geld überweisen. Und die Programme sind auch für Unternehmen interessant: Sie können mittels Kommunikations-Bots Kundenbeziehungen pflegen. Die chinesische App Wechat hat sich zu einer Dienstleistungsplattform entwickelt. Millionen Nutzer rufen mit ihr Taxis, legen Arzttermine fest und werden selbst zu Onlinehändlern.

Isolierte Plattformen

Bei aller Vielfalt ist Whatsapp, Facebook Messenger, Snapchat, Threema und Co. ein Nachteil gemeinsam: Die einzelnen Apps arbeiten nicht zusammen, sondern erlauben nur die Kommunikation innerhalb der eigenen Nutzerschaft. Diese fehlende Interoperabilität ist gegenüber dem SMS, aber auch dem guten alten E-Mail ein enormer Rückschritt: Denn egal ob Outlook oder Apple Mail, GMX oder Gmail, Nachrichten kommen unabhängig von Programm und Dienstleister an. Der Netzpolitik-Aktivist Markus Beckedahl hat im Mai 2018 in einem Interview mit dem WDR festgehalten, Whats app habe eine monopolistische Stellung und müsse darum interoperabel werden: «Es müssen Schnittstellen her, damit man mit jedem Messenger Kontakt zu Whatsapp aufnehmen kann.»

Rich Communication Services (RCS) soll eine Alternative zu diesen Insellösungen sein. Der Standard wird seit 2012 vom Industrieverband der Mobilfunkanbieter (GSMA) entwickelt und ist inzwischen in gut 30 Ländern verfügbar. Die Swisscom will RCS im Lauf dieses Jahres anbieten, wie durch die «NZZ am Sonntag» bekannt wurde. Mediensprecher Armin Schädeli streicht gegenüber dieser Zeitung denn auch die Interoperabilität als Vorteil heraus: «Man kann eine Nachricht versenden, ohne zu wissen, ob das Gegenüber auch RCS einsetzt. Falls der Kommunikationspartner nicht über RCS verfügt, wird die Nachricht in eine SMS umgewandelt.»

Der neue Standard wird nicht nur Text, sondern auch Gruppen- und Videochats, Telefongespräche, Datentransfers und den Austausch von Standortinformationen erlauben. Bei einem Anruf kann man den Gesprächspartner vorab über den Zweck und die Dringlichkeit informieren.

Die Swisscom denkt bei der Einführung vor allem auch an Geschäftskunden: «Mit RCS wird für Unternehmenskunden ein neues Ökosystem entstehen», bekräftigt Mediensprecher Schädeli. Was das konkret heisst, erklärt der Mobilfunk-Industrieverband auf seiner Website Gsma.com: Buchungen, Beratungen und Verkaufsgespräche könnten mit oder ohne Bots über die neue Kommunikationsplattform abgewickelt werden. Da stand klar Wechat Pate.

Google springt auf

So vielversprechend die Interoperabilität klingt, so schwierig dürfte es werden, die Dominanz der inzwischen etablierten Messenger, allen voran Whatsapp, Facebook Messenger und Snapchat bei der jungen Generation zu brechen. RCS hat im April 2018 kräftig Auftrieb erhalten, weil Google auf den Zug aufgesprungen ist. Der Konzern hat die eigene, wenig erfolgreiche Messenger-App Allo auf Eis gelegt und angekündigt, man werde eine App namens Chat ins hauseigene Betriebssystem integrieren: Smartphones mit Android werden künftig ohne zusätzliche App RCS-Nachrichten verschicken und empfangen können.

«Google hat erkannt, dass die Standard-Kommunikations-App von Android nicht einfach nur gut sein muss. Sie muss Teil eines dominanten globalen Netzes sein, um mit Whatsapp, Facebook Messenger und iMessage konkurrieren zu können», hatte das Techportal «The Verge» damals geurteilt. Mit anderen Worten: Whatsapp ist nur mit einer Allianz der Konkurrenten zu schlagen.

Doch diese Allianz ist bisher alles andere als geschlossen aufgestellt. Die beiden anderen Schweizer Mobilfunkanbieter wollen abwarten. Sunrise-Pressesprecherin Séverine de Rougemont sagt auf Anfrage, man prüfe einen möglichen Start von RCS, könne aber momentan keinen Termin nennen. Benjamin Petrzilka von Salt sagt, man sei in der Lage, den Dienst anzubieten, wenn sich ein Bedürfnis abzeichne: «Kurzfristig setzen wir eher auf einen zunehmenden Erfolg von datenbasierten Nachrichten-Apps wie Telegram und Whatsapp.»

Auch ob Apple mitziehen wird, ist offen. Das iPhone und das iPad unterstützen SMS in iMessage, doch es gibt keine Anzeichen, dass RCS nachgerüstet werden soll. Nutzer von Apple-Mobilgeräten können sich auch mit Dritt-Apps behelfen. Dennoch wäre es ein empfindlicher Rückschlag für die Allianz von Google und den Mobilfunkbetreibern, wenn der iPhone-Hersteller ihnen die Gefolgschaft verweigerte.

Apple wird kaum mitziehen

Doch Beobachter halten genau das für wahrscheinlich. Schuld ist das grösste Manko des SMS-Nachfolgers: Bei RCS werden Daten unverschlüsselt von Gerät zu Gerät verschickt. Die fehlende Kryptografie wird von Amnesty International harsch kritisiert. Vor allem steht sie diametral zu Apples Bemühungen um den Datenschutz.

Der Tech-Veteran und Apple-Kenner Walt Mossberg hat im April auf Twitter vernichtende Kritik an RCS geübt: «Google baut ein unsicheres Kommunikationssystem, das von den Netzbetreibern kontrolliert wird, die überall gemeinsame Sache mit den Regierungen machen – genau in dem Moment, wo sich die Weltöffentlichkeit so viele Sorgen wie noch nie um gesammelte und gestohlene Daten macht.»

«Macword» bringt daher eine alte Idee erneut ins Spiel. Apple sollte seine iMessaging-App auch für Android zur Verfügung stellen: «Jetzt, wo Google und die Mobilfunkanbieter zusammenspannen, wäre der perfekte Zeitpunkt dafür.»

Video Die Einschätzung der Digitalexperten zu RCS
rcs.tagesanzeiger.ch

Die Bildschirmoberfläche beim SMS-Schreiben könnte bei vielen schon bald anders aussehen. Foto: Janis Engel (Getty Images)

«Google baut ein unsicheres System – obwohl sich die Welt riesige Sorgen um die Datensicherheit macht.»
Walt Mossberg, Tech-Urgestein

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 20. Juni 2018

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