So schnell fallen die Grenzen im Netz nicht

Das Internet ist global, doch viele Streaming- und Shopping-Angebote nur lokal erhältlich. Die EU geht nun gegen diese «digitalen Schlagbäume» vor, und der Bundesrat beäugt die Geosperren kritisch.

Matthias Schüssler

Es ist eines der grossen Ärgernisse des Internets: Das Netz ist zwar global, doch manche Inhalte werden nur lokal zur Verfügung gestellt. Gestreamte Filme und Fernsehsendungen bleiben oft an den Grenzen hängen. Das sogenannte Geoblocking wird von Streaminganbietern, von Fernsehanbietern und von Plattformen wie Youtube praktiziert. Ausländische Webnutzer sehen statt des gesuchten Clips oft lediglich einen lapidaren Hinweis wie: «Dieses Video ist in Ihrem Land nicht verfügbar.»

Die Rechtfertigung dieser unfreundlichen Praktik liegt beim Urheberrecht und der regionalen Vermarktung von Film- und Fernsehrechten. Das führt zum Beispiel dazu, dass öffentlich-rechtliche Sender aus den Nachbarländern, ARD, ZDF oder auch der Kulturkanal Arte, Sendungen nicht via Internet in die Schweiz streamen, selbst wenn sie über das Kabelnetz, Satellit oder einen Internetfernsehanbieter wie Zattoo oder Teleboy hierzulande zu empfangen sind. Auch bei Netflix variiert der Katalog je nach Land stark: Gemäss Finder.com können Kunden in den USA aus 5660 Titeln auswählen. In der Schweiz sind es nur um die 2200.

«Form von Diskriminierung»

Die EU hat Geosperren als «eine Form von Diskriminierung» bezeichnet, die dem Ziel des digitalen Binnenmarkts entgegensteht. Die EU-Kommission ist dabei, solche «digitalen Schlagbäume» systematisch abzubauen. Durchaus erfolgreich: Im letzten Jahr hat sie die Roaminggebühren beim Mobilfunk abgeschafft. «Und jetzt kommt das Geoblocking-Aus!», titelten diverse Medien vor kurzem euphorisch: Denn am ersten April tritt eine Verordnung in Kraft, die «für mehr Wettbewerbsfähigkeit sorgt, die Innovation bei Onlinediensten fördert und Kundenzuwachs bewirkt», wie eine EU-Pressemeldung jubelt.

Andere sind weniger begeistert: «Es ist eine Schande, dass die Europäische Kommission es verpasst hat, eine wirksame Reform des digitalen Urheberrechts auf den Weg zu bringen», schreibt Techcrunch.com. Die neue Verordnung würde kaum etwas verbessern. Sie ändert nichts daran, dass die Unterhaltungsindustrie ihre Lizenzen pro Land verkauft. Die EU schreibt konkret vor, dass «kostenpflichtige Streamingdienste und andere Online-Inhalte bei kurzzeitigen Aufenthalten auch im EU-Ausland genutzt werden können».

Das bedeutet, dass die Anbieter den Abonnenten von Bezahldiensten bei Reisen im Ausland den gleichen Katalog zur Verfügung stellen müssen, den sie auch zu Hause nutzen könnten – und zwar ohne Zusatzgebühren. Ein deutscher Netflix-Kunde wird während seiner Ferien in Italien künftig auf die deutschen Netflix-Titel Zugriff haben. Aber es wird weiterhin nicht so sein, dass Netflix ein gesamteuropäisches Angebot machen muss.

Ziehen Fernsehsender nach?

Die Anbieter dürfen den Wohnort überprüfen, um zu vermeiden, dass ein Kunde ein Abo im EU-Land mit dem tiefsten Preis abschliesst. Bedeutsam ist die Neuerung ohne Zweifel für Sportfans: Wer den Bezahlsender Sky abonniert hat, kann die Übertragungen auch bei Auslandaufenthalten geniessen. Die kostenlosen Angebote sind von der neuen Verordnung nicht betroffen. Manche haben die Hoffnung, sie werde sich positiv auf Gratisangebote auswirken, indem Fernsehsender die Möglichkeit haben, ihren Nutzern auch im Ausland Zugang zur Mediathek zu gewähren.

In der Schweiz wird die neue EU-Verordnung unmittelbar keine Auswirkung haben. Martin Steiger ist Anwalt und konzentriert sich auf das Recht im digitalen Raum und ortet einen Handlungsbedarf, «Stichwort Hochpreisinsel», wie er sagt. Zur Strategie für den digitalen Binnenmarkt der EU gehört es, auch die Geosperren beim Shopping abzubauen. Bislang können Onlinehändler, die in den verschiedenen Ländern Stores mit unterschiedlichen Preise anbieten, den Kunden den Zugang zu den günstigeren Stores verweigern oder sie automatisch zur Website ihres Landes umleiten.

Keine Zwangs-Weiterleitungen

Die «Handelszeitung» nennt als Beispiel den Vergnügungspark Disneyland Paris: Kunden mussten Eintrittskarten auf der entsprechenden Länder-Website kaufen, wo Besucher aus Deutschland deutlich mehr berappen mussten als andere. Das ist bald verboten: Künftig werden die Kunden wählen können, von welcher Website sie Produkte und Tickets kaufen oder Autos mieten. Allerdings können Onlinehändler nicht gezwungen werden, in jedes Land zu liefern.

Geosperren lassen sich mit einem technischen Trick umgehen (siehe auch Kasten).

Und: Urheberrechtliche Güter wie Filme, Musik, Spiele oder Games sind von dieser Regelung explizit ausgenommen. Das zementiert deren besonderen Status eher, als dass es ihn aufweicht. Elisabeth Schneider-Schneiter hat für die CVP-Fraktion Mitte Dezember 2017 eine Motion eingereicht, die den Bundesrat auffordert, eine Taskforce für den digitalen Freihandel einzusetzen: «Das konsumentenfeindliche und unliberale Geoblocking wird auf dem europäischen Markt abgeschafft. Es besteht die akute Gefahr, dass die Schweiz ausgeklammert wird.»

«Konsumenten sind zahlungsbereit»

Der Bundesrat hat in einer kürzlichen Antwort auf die Fair-Preis-Initiative hingewiesen und versprochen, er werde sich «in den kommenden Monaten vertieft mit dem Geoblocking auseinandersetzen».

Anwalt Martin Steiger sieht aus Sicht von Konsumenten und Markt keine Vorteile der Geosperren. Die Unterhaltungsindustrie behaupte zwar, sie müsse ihre internationale Verwertungskette schützen, da sie ansonsten ihre Inhalte nicht finanzieren könne. Doch: «Konsumenten sind bereit, für Unterhaltung zu bezahlen, gerade auch in der Schweiz, verstehen aber nicht, dass ihnen Inhalte, die anderswo – auch online – schon erhältlich sind, vorenthalten werden.»

Eine Abfuhr ist eine Abfuhr, selbst wenn das Youtube-Logo betrübt dreinschaut. Bild: PD

Wie man Geosperren umgeht

Per VPN kann man seine Herkunft verschleiern.

Internetnutzer haben die Möglichkeit, sich virtuell in ein anderes Land zu versetzen, um Geosperren zu unterlaufen. Zu diesem Zweck kommt ein VPN (virtuelles privates Netzwerk) zum Einsatz, das den Netzwerkverkehr in verschlüsselter Form in das Land leitet, in dem der gewünschte Inhalt angeboten wird. Mit VPNs lassen sich auch Netzsperren und Zensurmassnahmen umgehen und in offenen Netzwerken Lauschangriffe unterbinden.

Es gibt ein breites Angebot an VPN-Diensten. Oft empfohlen werden Tunnelbear, Cyberghost, Zenmate oder PureVPN. Auch kostenlose Angebote sind verfügbar. Der Opera-Browser hat ein Gratis-VPN eingebaut, das einen relativ guten Ruf geniesst, aber weniger Funktionen bietet als kommerzielle Produkte. Die Nutzung eines VPNs ist Vertrauenssache, da der Anbieter die Möglichkeit hat, Verbindungen zu protokollieren und die gesammelten Daten nach Gutdünken zu verwenden. Daher lautet die Empfehlung, nur einen Dienst zu nutzen, für den man angemessen bezahlt und dessen Nutzungsbedingungen klar sagen, dass die Privatsphäre der Nutzer respektiert wird.

Es ist sinnvoll, den VPN-Dienst nicht konstant eingeschaltet zu lassen, sondern nur für den gewünschten Zweck zu aktivieren und hinterher wieder abzuschalten. (schü.)

Quelle: Newsnetz, Dienstag, 27. März 2018

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