Der PC verändert sich, aber er stirbt nicht

Vor 40 Jahren wurde der Personal Computer zum Massenphänomen, und eine neue Industrie entstand. Heute ist er auf dem Weg zum Nischenprodukt. Doch Experten sind sich einig: Die PC-Ära ist längst nicht zu Ende.

Matthias Schüssler

Wann genau die Ära des Personal Computers begonnen hat, ist nicht eindeutig bestimmt. Der «Tages-Anzeiger» datierte sie vor zehn Jahren auf das Jahr 1981. Damals brachte IBM das Modell 5150 auf den Markt – den Urvater des noch heute in Gebrauch befindlichen «IBM-kompatiblen» PC. Robert Weiss hingegen hat den Startschuss schon vier Jahre früher gehört. Weiss ist die Schweizer Computerkoryphäe der ersten Stunde und beschreibt, wie 1977 die Heimcomputer den Massenmarkt erreicht haben: In San Francisco fand im April jenen Jahres eine Messe statt, die sich zur wichtigsten Veranstaltung für die neue Industrie entwickeln sollte.

Im Buch «One More Thing» von Charlotte Erdmann ist deren Entstehungsgeschichte wie folgt beschrieben: «Jim Warren, Herausgeber des ‹Dr. Dobb’s Journal› und Mitglied des Homebrew Computer Clubs, besuchte 1976 eine Computermesse in Atlantic City, auf der anderen Seite Amerikas. Nach seiner Rückkehr fragte er seinen Freund Bob Reiling, der gerade die Chefredaktion des ‹Homebrew Newsletter› übernommen hatte, warum um alles in der Welt eine Computermesse im Osten der USA stattfinden müsse, wenn alle schlauen Köpfe der Computerwelt und damit das Zentrum der Mikrocomputer-Welt doch an der Westküste sässen.»

Sie beschlossen, in San Francisco eine eigene Veranstaltung ins Leben zu rufen: Die West Coast Computer Faire war ursprünglich als Non-Profit-Veranstaltung gedacht. Doch die Besucherzahlen stiegen derart rapide, dass Warren und Reiling für die Organisation ein Unternehmen gründeten. Viele Aussteller, die die Beschäftigung mit dem Computer damals idealistisch betrachteten, waren darüber entsetzt.

An dieser Messe war die Firma Apple besonders prominent vertreten, da deren Gründer Steve Jobs gute Beziehungen zu Warren und Reiling hatte. Apple zeigte drei Exemplare seines neuen Modells, des Apple II, wobei die acht Mitarbeiter bis zur letzten Minute daran arbeiteten, den Messestand und die Vorführgeräte auf Vordermann zu bringen.

Welcher PC war der erste?

Dass Computerexperte Robert Weiss den Start der PC-Ära an dieser Veranstaltung festmacht, ist ein geschickter Schachzug: Er vermeidet die Diskussion um die Frage, welchem Computer die Ehre zukommt, als erster Personal Computer zu gelten. Kandidaten gibt es viele – und welchen man kürt, hängt davon ab, wie man einen PC definiert: Wie teuer darf das Gerät höchstens sein? Welche Ausstattungsmerkmale sind zu erfüllen? Sollte es Bildschirm und Tastatur aufweisen, oder zählen auch Bausätze? Viele der günstigen Heimcomputer mussten damals mittels separater Komponenten wie Tastatur, Bildschirm und Gehäuse vervollständigt werden.

Der Apple I von 1976 war ein solcher Do-it-yourself-Computer. Und auch der Altair 8800 von 1975 wurde von seinem Hersteller mit dem Label «Personal Computer» versehen, obwohl er weder Bildschirm noch Tastatur hatte, sondern über Kippschalter bedient wurde und seine Berechnungen mittels Lämpchen anzeigte. Ein heisser Anwärter für den ersten PC ist jedenfalls der Commodore PET, der ebenfalls an der West Coast Computer Faire zu sehen war. Er wurde komplett ausgeliefert, war bezahlbar und fand auch in Europa Verbreitung.

Die Messe von Warren und Reiling sorgte auch in den folgenden Jahren für den Aufschwung des PC. Viele Neuerungen, die den jungen Wirtschaftszweig prägen sollten, waren zuerst in San Francisco zu sehen: Die erste Tabellenkalkulation Visicalc (1979) oder 1981 der erste mobile Computer. Das war der Osborne 1, der im Vergleich mit heutigen Laptops allerdings nicht nur bei der Ausstattung (64 KB Arbeitsspeicher und ein Bildschirm von der Grösse eines Handy-Displays), sondern auch in Sachen Tragbarkeit schlecht abschneidet: 11 Kilo war er schwer, was ihm den Übernamen luggable computer oder deutsch «Schlepptop» eintrug.

Die Leistungsdaten sind seither exponentiell gestiegen. Dennoch lässt sich die heutige Hardware direkt auf jene ersten Modelle zurückführen, die damals in Abgrenzung zu den Grossrechnern persönliche Computer genannt wurden. Das würdigte vor kurzem Tech-Journalist Walt Mossberg in einem Beitrag, in dem er auch das Smartphone und das Tablet in diese Reihe setzt: Die mobilen Geräte sind heute PCs der ersten Wahl.

Dieser Einschätzung pflichtet der Schweizer Branchenexperte Robert Weiss zu: Im privaten Umfeld, bei Mail, Surfen und Gamen, könne das Smartphone den PC in vielen Fällen ersetzen. «Ich selber benutze ihn aber immer noch, und zwar wegen der Eingriffsmöglichkeiten ins Betriebssystem. Da habe ich viel mehr Möglichkeiten, wenn etwas nicht ganz so läuft wie geplant», sagt Weiss. Und er schätzt auch die Geschwindigkeit, die Bildschirmgrösse und das Multitasking. Und «die weltweiten Zahlen zeigen ganz klar, dass der PC, Desktop oder Laptop, nach wie vor grosse Bedeutung am Arbeitsplatz hat», verteidigt Weiss den klassischen Computer. Auch wenn diese immer seltener autonom arbeiten, sondern oft nur noch als Bindeglied zur Cloud dienen, zählt Weiss sie nicht zum alten Eisen.

Vom PC zur Wissensmaschine

Der PC ist nicht tot, sondern lebt als Smartphone weiter. Walt Mossberg zitiert das legendäre, 1998 eingestellte «Byte»-Magazin. Es hat den Apple II als ersten Haushaltscomputer bezeichnet, der wie ein Mixer oder ein Toaster nach dem Kauf bloss eingesteckt und benutzt werden müsse. «Und das, obwohl dieser Computer eine Befehlszeile hatte, einen Kassettenrekorder zum Speichern und Laden von Programmen und Daten verwendete und nur mit viel Erfahrung beherrscht werden konnte.»

Der PC hat sich nach 40 Jahren gewandelt, ist aber nicht obsolet geworden. Auch der Mac, das iPad und Android haben uns nicht das gebracht, was Mossberg die «Information Appliance» nennt: digitale Wissensgeräte, die ohne Handbuch und ohne Training eingesetzt werden können. Die werden wir in 10, 15 Jahren benutzen, wenn die digitalen Assistenten den Kinderschuhen entwachsen sind.

An der West Coast Computer Faire von 1977 gab es viel Idealismus und noch mehr Geschäftschancen. Foto: Tom Munnecke (Getty Images)

Der TRS-80 war ein Hit und für 600 Dollar zu kaufen. Foto: Kris Connor (Getty Images)

Schauspieler Peter Costa mit dem ersten Laptop. Foto: Bettmann Archive (Getty Images)

Der Apple II war einer der ersten PCs auf dem Massenmarkt. Foto: SSPL (Getty Images)

«Die Zahlen zeigen klar, dass der PC nach wie vor grosse Bedeutung am Arbeitsplatz hat.»
Robert «Röbi» Weiss, Schweizer PC-Guru

Wie die Computer entstanden sind

Ein zweiteiliges Plakat zeigt die technische Entwicklung

Nicht nur die Geschichte des PC, sondern die ganze digitale Evolution soll hier dokumentiert werden: Das zweiteilige Poster, das der Schweizer Computerexperte Robert Weiss zusammen mit seinem Sohn Micha produziert hat, ist 2,3 Quadratmeter gross und umfasst mehrere Tausend Einträge. In den Bereichen Hardware, Unternehmen, Software, Bauelemente, Kommunikation und Lifestyle werden die wichtigen Erfindungen, Durchbrüche, Unternehmen, Köpfe und Ereignisse beschrieben. Über die Rubrik Zeitgeschichte wird die technische Entwicklung mit dem allgemeinen Weltgeschehen synchronisiert.

Die Zeitleiste fängt in der Frühzeit bei den ersten Zählhilfen an und endet bei den Zukunftsvisionen Quantencomputing und Neuronenrechner.

Das Doppelplakat kann online unter www.computerposter.ch für 34 Franken (plus 21 Franken Versandkosten) bestellt werden. Unter computerposter.ch/download.html findet man die beiden Teile zum kostenlosen Download als PDF.

(schü.)

 

Von der Idee zur Industrie

Meilensteine der PC-Geschichte

1949

Simon war der erste Heimcomputer überhaupt und ein wichtiger Vorläufer der PC-Revolution: Der Informatiker Edmund Berkeley hat sich die Maschine im Buch «Giant Brains, or Machines That Think» ausgedacht und in 13 Artikeln in der Zeitschrift «Radio-Electronics» die Konstruktionspläne veröffentlicht. Für 600 Dollar konnte man Simon – der nur die Zahlen 0, 1, 2 und 3 anzeigen konnte – nachbauen.

80er-Jahre

Bis Ende 1979 waren eine halbe Million Mikrocomputer verkauft worden. Die damalige Jugend hatte eine Vorstellung davon, was ein Personal Computer war. In den Achtzigern etablierte sich der PC so richtig: 1983 wählte das «Time Magazine» den Computer zum Menschen bzw. zur Maschine des Jahres. Bill Gates prägte seine Vision vom «PC auf jedem Schreibtisch und in jedem Privathaushalt» – natürlich inklusive Microsoft-Software.

Der IBM-PC

Dass ausgerechnet IBM einen Standard für die bis dahin inkompatiblen Systeme schaffen sollte, war eine Überraschung. «Big Blue» verdiente viel Geld mit millionenteuren Grossrechnern, doch das erwachende Interesse an den Kleincomputern war IBM nicht verborgen geblieben. William C. Lowe, der Chef der Einstiegssparte, entwickelte 1981 mit 12 Ingenieuren aus günstigen, auf dem Markt frei erhältlichen Komponenten einen modularen Computer, dessen Architektur von anderen Herstellern ohne Lizenz nachgebaut werden durfte.

Ctrl + Alt + Del

Die Tastenkombination zum Neustart wurde von David Bradley erfunden, der für den IBM-PC das Bios, die Software für die Initiierung, entwickelt hatte. Er hatte Ctrl + Alt + Escape vorgesehen, doch diese Kombination konnte versehentlich betätigt werden.

1 Milliarde PCs

Der einmilliardste Computer wurde Mitte 2002 verkauft. Die zweite Milliarde wurde 2007 erreicht. Bis 2011 wuchs der PC-Absatz, 365 Millionen Geräte wurden damals verkauft. Seitdem sinken die Stückzahlen.

(schü.)

 

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 3. Mai 2017

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