Wikipedia-Prinzip gegen Fake-News

Mit Wikitribune.com startet Jimmy Wales eine Plattform gegen Falschinformationen im Netz. Ein Schweizer Medienexperte ist skeptisch.

Matthias Schüssler

Jimmy Wales hat die Welt verändert: Sein Lexikon ist zwar nicht aus dem Weltall sichtbar, doch es wird nicht zu Unrecht als eines der grössten Projekte der Menschheit bezeichnet.

Nun startet Wales eine neue Website, die sich dem Kampf gegen Falschmeldungen im Netz verschrieben hat. Wikitribune.comwerde wie das freie Lexikon von einer Schar von Freiwilligen betrieben und solle nach dem Prinzip der Berichterstattung von der Bevölkerung für die Bevölkerung funktionieren, sagt Wales im «Guardian». Um die Recherchestandards hochzuhalten, arbeitet Wikitribune mit gestandenen Journalisten zusammen: «Zum ersten Mal arbeiten professionelle Rechercheure und Bürgerjournalisten Seite an Seite, um laufende Ereignisse zu dokumentieren und die Faktentreue jederzeit mithilfe der Gemeinschaft sicherzustellen», wird Jimmy Wales im «Guardian» zitiert.

Crowdfunding für die Profis

Die Journalisten sollen für ihre Arbeit bezahlt werden. Die Mittel soll eine Crowdfunding-Kampagne beschaffen. Behandelt werden vor allem politische Geschehnisse in den USA und dem Vereinigten Königreich, ferner wissenschaftliche und technische Themen. Die Idee sei während des US-Wahlkampfs entstanden: «Jemand überzeugte mich, Trump seine 100 Tage einzuräumen, bevor ich mir eine Meinung bilde», sagte Wales dem «Guardian». «Doch dann tauchte Kellyanne Conway mit ihren alternativen Fakten auf, und ich entschied mich, die Idee voranzutreiben.»

Philippe Wampfler ist Experte für neue Medien und hält Wikipedia für eine gute Basis, um ein Community-Journalismus-Projekt zu lancieren: Sowohl die Standards als auch die Zusammenarbeit der Community-Mitglieder seien etabliert: «Ob es in einer Gemeinschaft von Freiwilligen gut ankommt, wenn bezahlte Profis mitmischen, würde ich bezweifeln», sagt Wampfler. Diese Bezahlung verringert die Bereitschaft der Community zur Fronarbeit.

Selektive Wahrnehmung

Auch den Kern des Fake-News-Problems löst Wikitribune nicht. Der besteht darin, dass genau die Gruppen, an die sich das Projekt richtet, Informationen äusserst selektiv wahrnehmen: «Polarisierte politische Bewegungen glauben das, was ihrer Meinung zuträglich ist», erläutert Wampfler und nennt als Beispiel KenFM: ein Internetportal, das aus einer Radiosendung des Rundfunks Berlin-Brandenburg hervorgegangen ist und vom Recherchezentrum Correctiv.org als «populäres Portal für Verschwörungstheoretiker» bezeichnet wird.

Auf dieser Plattform werde Wikipedia seit ungefähr einem Jahr heftig angegriffen und diskreditiert, weil Meinungen aus dieser Gemeinschaft bei Wikipedia nicht platziert werden können. An dieser ablehnenden Haltung wird auch Profijournalismus nichts ändern, ist Wampfler überzeugt: «Für eine Demokratie ist es aber unverzichtbar, dass Menschen Vertrauen in qualitativ hochwertige Medien haben. Experimente in diesem Bereich sind schon nur deshalb sehr erwünscht, weil auch ihr Scheitern uns mehr darüber aufzeigt, welche Wege gangbar sind.»

Starten soll die Website, sofern das Crowdfunding läuft wie erhofft, vor dem 8. Juni, wenn die Briten zu den von der Premierministerin veranlassten Neuwahlen an die Urnen gerufen werden.

Jimmy Wales Wikipedia-Gründer

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 26. April 2017

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