Microsoft-Betriebssysteme

Windows ist ein Auslaufmodell

Das auf der ganzen Linie gescheiterte Windows Vista wird bald eingestellt, Windows 7 trotz hoher Marktanteile schlechtgeredet. Schrumpft das Betriebssystem zum Nischenplayer?

Matthias Schüssler

Im April geht für Microsoft ein unrühmliches Kapitel zu Ende. Windows Vista wird offiziell eingestellt. Für die verbliebenen Nutzer des Systems ist das ärgerlich. Sie müssen sich nach einem neuen System umsehen oder gar ihren Computer ablösen.

Für Microsoft hingegen ist es ein Grund zum Aufatmen: Der Softwarekonzern kann ein System der Müllhalde der Geschichte überantworten, das für viele als total verunglückt gilt. Zu diesem harschen Urteil kommt etwa «PC World»: «Soll ich wirklich alles aufzählen, was bei Vista schiefgelaufen ist?», fragt der Autor rhetorisch – um dann auszuholen: Vista war aufgebläht und sterbenslangsam. Dieses Problem war so ausgeprägt, dass der «Tages-Anzeiger» damals explizit gewarnt hatte: «Nur neueste Hardware stillt Vistas Leistungshunger. Das heisst: keine Updates für alte PCs!»

Viele der neuen Funktionen waren nur auf sehr leistungsfähigen Computern verfügbar. Das galt für die Aero-Glass-Oberfläche mit dem halbtransparenten Look und den Animationen beim Öffnen und Schliessen von Fenstern. Besonders pikant war das beim Flip-3-D: Mit dieser Funktion konnte man die offenen Fenster in einer 3-D-Ansicht durchblättern. Microsoft bewarb sie als Markenzeichen von Vista obwohl die Benutzer von günstigen Rechnern sie überhaupt nie zu Gesicht bekamen.

Doch sogar Computer, die mit einem speziellen Vista Sticker verkauft wurden, konnten nicht alle Funktionen ausführen. So war dieses Logo kein Garant, dass man auch mit der Filmschnittsoftware Movie Maker arbeiten konnte.

Bahnbrechend? Von wegen!

Was war schiefgelaufen? Microsoft war an den eigenen Ambitionen gescheitert. Man wollte damals ein «bahnbrechendes Computererlebnis» liefern und beweisen, dass das Betriebssystem so wichtig war wie eh und je, obwohl mit dem aufstrebenden Internet der Browser immer mehr an Bedeutung gewann. Microsoft wollte dieses Web mit der Seitenleiste vereinnahmen. Dort zeigten die sogenannten Minianwendungen Wetter, Börsen- und Wechselkurse sowie einen Nachrichtenticker.

Doch die wichtigen Kunden waren damals schon die Unternehmen, die Windows auf Millionen von Arbeits-PC betrieben. Und die verlangten nüchterne, zuverlässige Arbeitsmaschinen und wenig Lernaufwand beim Umstieg. Doch die bahnbrechenden Neuerungen bestanden aus aufgepfropftem Schnickschnack, der den Computer langsam und träge, aber nicht wesentlich besser oder sympathischer machte.

Vista als die schlimmste aller Windows-Versionen? Das galt zumindest bis Windows 8, bei dem das radikal neue, auf Tablets zugeschnittene Design die Nutzer noch mehr verunsicherte als die optischen Spielereien von Vista

Doch Microsoft hat seine Lehren aus dem Flop gezogen. Viele der Neuerungen wie die Seitenleiste und der Flip-3-D wurden bei den neueren Versionen stillschweigend entfernt. Microsoft hat erkannt, dass es die langen Entwicklungszyklen bei Windows schwer machen, rechtzeitig und adäquat auf den Wandel zu reagieren. Der Fortschritt erfolgt konsequenterweise nicht mehr in grossen Versionssprüngen. Seit Windows 10 wird das Betriebssystem «as a service» entwickelt: das heisst kontinuierlich und in kleinen, schnellen Iterationen.

Ironischerweise stand die Idee, Windows als Dienst kontinuierlich zu entwickeln, schon bei Vista im Raum. Damals hat Microsoft aber kein Bezahlmodell gefunden. Die Anwender wären nicht willig gewesen, das Betriebssystem zu mieten oder in kurzen Intervallen für Updates zu bezahlen. Damit sich diese Idee durchsetzen konnte, brauchte es den Preiszerfall bei den Betriebssystemen und die Neuorientierung von Microsoft weg von Windows hin zur Cloud und zur Softwareherstellung für alle relevanten Plattformen.

Für diese Neuausrichtung hat Microsoft sein Betriebssystem fit gemacht – und hätte der Konzern es im letzten Jahr den Nutzern nicht derart aggressiv aufgedrängt, wäre Windows 10 heute sogar ein echter Sympathieträger.

Trotzdem – die Zukunft sieht gut aus für Microsoft. Wären da nicht zwei Probleme. Das erste ist Windows 7. Der Vista Nachfolger wurde 2009 lanciert und war ein durchschlagender Erfolg, auch in der Geschäftswelt. Obwohl Windows 7 seit 2015 nur noch Sicherheitsaktualisierungen erhält und Microsoft keine Lizenzen mehr an die Gerätehersteller ausliefert, liegt der Marktanteil je nach Marktanalyst bei 40 bis 50 Prozent. Wie vor drei Jahren bei der Einstellung von Windows XP dominiert die älteste Version – zum Unmut des Herstellers.

Windows 7 noch bis 2020

Windows 7 wird offiziell noch bis zum 14. Januar 2020 mit Updates versorgt, doch Microsoft redet die Version inzwischen richtiggehend schlecht. In einem Blogbeitrag nennt ein Marketingmanager Windows 7 ein «Auslaufmodell», und Bereichsleiter Markus Nitschke von Microsoft Deutschland doppelt nach: «Bereits heute wird das System weder den Ansprüchen der Anwender an moderne Technologien noch den hohen Sicherheitsanforderungen von IT-Abteilungen gerecht», sagt er.

Doch Microsoft versucht sich auch an aktiver Sterbehilfe. Neue Prozessorgenerationen wie der Intel Kaby Lake oder der AMD Zen lassen sich nur mit Windows 10 verwenden. Für die weitverbreiteten Skylake-Prozessoren wollte Microsoft den Windows-7-Support drastisch verkürzen, was die Nutzer entsprechender Geräte schon im Juli 2017 zum Umstieg auf Windows 10 gezwungen hätte. Erst durch Proteste aus Benutzerkreisen hat sich Microsoft von diesem Vorhaben abbringen lassen.

Das zweite Problem ist die mangelnde Verankerung in der mobilen Welt. «Können Google und Apple dem PC-Markt den Stecker ziehen?», fragte Windows-Experte Paul Thurrott mit Blick auf die reiche Auswahl an Apps bei den Konkurrenzplattformen. Es gebe zwar noch Defizite bei den Funktionen für klassische Produktivitätsarbeit; Thurrott meint die Möglichkeiten, mit dem Betriebssystem zu interagieren und beispielsweise mehrere Apps parallel offen zu halten. Doch diese Mankos würden beseitigt werden, prophezeit er: «Android und iOS spielen die Rolle des Asteroiden, der auf die Erde zurast und die Windows-Dinosaurier ausrottet!»

Die Reue danach

In den nächsten Jahren könnte passieren, was noch vor kurzem undenkbar schien: Windows wird vom Dominator zum Nischenprodukt – und das ironischerweise, obwohl Microsoft bei der Entwicklung die Nutzerbedürfnisse viel besser im Blick hat als beim auf ganzer Linie gescheiterten Vista Eine grosse Mitschuld trägt die Pleite von Microsofts Telefonsparte, die nach der Übernahme von Nokia 2013 zu Milliardenabschreibungen und Tausenden Entlassungen geführt hat.

Und das führt zurück zu Vista Steve Ballmer hat bei seinem Abgang 2013 Vista als den grössten Fehler seiner Karriere bezeichnet. Ein grosser Teil des «A-Teams» sei während acht Jahren blockiert gewesen. Diese Topleute hätten nicht an anderen Dingen arbeiten können. «An Dingen wie Mobiltelefonen», hat Ballmer damals erklärt.

Grosse Geste: Der damalige Microsoft-Chef Steve Ballmer bei der Lancierung von Windows Vista 2007. Foto: Spencer Platt (Getty Images)

«Android und iOS rotten den Dinosaurier Windows aus.»
Paul Thurrott, Windows-Experte

Quelle: Newsnetz, Mittwoch, 25. Januar 2017

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