Apple versteht es immer noch, Begierden zu wecken

Das neue Macbook Pro kommt schlank und elegant daher – eine nähere Betrachtung offenbart auch Defizite.

Von Matthias Schüssler

Die schlanke Silhouette, das schlicht-elegante Äussere, der scharfe, farbenprächtige Bildschirm – das Macbook Pro 2016 ist ganz auf Verführung ausgelegt. Dazu die neue, geheimnisvolle Touchbar. Die will, anders als ein schnöder Knopf, nicht gedrückt, sondern berührt werden. Ein Bedienelement, das man so noch nicht kennt und von dem man sich als Verführter eine völlig neue Form der Interaktion verspricht.

Ich gebe zu: Ich bin der Verführung erlegen. Kaum war es angekündigt, habe ich ein Macbook Pro bestellt, um meinen sechsjährigen Laptop zu ersetzen: die 13-Zoll-Variante mit Touchscreen, 8 GB Arbeitsspeicher, 512 GB SSD für satte 2309 Franken. Und seit ich auf die Auslieferung warte, leide ich unter der inneren Zerrissenheit des Verführten.

Da ist die Vorfreude. Da ist aber auch die Vernunft, die darauf beharrt, dass es tolle Computer zu einem viel günstigeren Preis gibt. Da ist die innere Stimme, die flüsternd auf die grösseren und kleineren Makel dieses nur auf den ersten Blick so perfekten Geräts hinweist: die Tastatur, die so laut klappert, dass man sie im Grossraumbüro eigentlich niemandem zumuten kann. Die schlechte Reparierbarkeit ist ein Jammer. Wie die Reparaturfirma iFixit herausgefunden hat, ist die SSD bei den Modellen mit Touchbar fest verlötet, sodass man sie nicht selbst tauschen kann.

Nur nicht übers Kabel stolpern

Und es gibt weitere Kritik an der Schönheitskönigin: Apple verbaut nicht die allerneusten Prozessoren, limitiert den Arbeitsspeicherausbau auf 16 Gigabyte, hat den Kartenleser und die physische Escape-Taste eingespart. Ebenso den Magsafe-Stecker. Er verhindert bei den älteren Macs, dass man sie vom Tisch reisst, wenn man übers Kabel stolpert. Und Apple mutet einem zu, diverse Adap­­ter zum teuren Gerät zu kaufen, um alte Geräte weiterzubetreiben. Das Macbook Pro hat (abgesehen vom Klinkenstecker) keine herkömmlichen Anschlüsse, sondern nur vier Ports, die sich für USB-C und Thunderbolt 3 nutzen lassen. Diese werden sich in Zukunft wohl durchsetzen, sodass die ­Adapter mit der Zeit überflüssig werden. Doch heute kommt man nicht um sie herum.

Wie rechtfertigt man diesen Kauf vor sich selbst? Natürlich mit der Touchbar. Dieses neue Bedienelement ist ein berührungssensitiver Bildschirm, der je nach Programm und Arbeit unterschiedliche Befehle anzeigt. Im Safari-Browser sieht man Miniaturen der offenen Seiten, mit denen man schnell von Reiter zu Reiter wechselt. Im Kalender wählt man je nach Ansicht Tag, Woche oder Monat aus. Beim Tippen von Text erscheinen wie auf dem iPhone Wortvorschläge und Emojis. Und – besonders clever – das Präsentationsprogramm Keynote zeigt während der Vorführung eine Miniaturvorschau der nächsten Folien und eine Stoppuhr. Während des Referats die Zeit im Blick zu behalten und Folien elegant zu überspringen, wird so zum Kinderspiel.

Flexibler Pluspunkt

Die Touchbar ermöglicht eine zweihändige Arbeitsweise. In der Bildbearbeitung wechselt man über sie Befehle und Einstellungen, während man auf dem Touchpad das Werkzeug selbst bedient und mit dem Pinsel malt, das Foto dreht oder in der Belichtung ändert. In der Musiksoftware Garageband mischt man während der Wiedergabe seine Spuren und verändert die Instrumente.

Video: Macbook und Touchbar vorgeführt.

Die Touchbar ist ein flexibles Eingabe­instrument. Sie erspart es einem, den Mauszeiger von seinem Bild, Video oder Musiktrack zu den Einstellungen zu bewegen. Und sie ist ein kleiner Zweitbildschirm, der immer dann seinen Nutzen entfaltet, wenn man gerne ohne störende Menüs und Symbolleisten im Vollbildmodus arbeiten möchte. In den Kreativ-Apps ist das ein Gewinn an Effizienz. In der Textverarbeitung hingegen bringt es nichts. Formatieren, Speichern oder Drucken kann man genauso gut über die Tastaturkürzel.

Am rechten Rand der Touchbar gibt es einen Fingerabdrucksensor, mit dem man sich am Computer anmeldet, seine Benutzerkonten entsperrt und auch via Apple Pay im Netz bezahlt.

Ein grosser Wurf?

Ist das Macbook Pro mit seiner Touchbar nun ein grosser Wurf? Das hängt von der persönlichen Arbeitsweise ab und davon, wie schnell man die neuen Steuerungsmöglichkeiten verinnerlicht hat. Es wird auch eine Rolle spielen, wie schnell und gut Dritthersteller ihre Softwareprodukte für die Touchbar anpassen werden. Microsoft jedenfalls arbeitet bereits an einem entsprechenden Update für Office.

Der Weg, den Microsoft mit seinen Hybridgeräten eingeschlagen hat, kommt für Apple nicht infrage.

Das neue Macbook Pro macht schliesslich klar, dass Apple nicht beabsichtigt, sein Betriebssystem für Macs mit demjenigen für iPhone und iPad zu verschmelzen. Entsprechende Befürchtungen waren nach der Lancierung des iPad Pro aufgekommen. Doch Mac-Laptops haben weiterhin keinen Touchscreen. Der Weg der Hybridgeräte, den Microsoft mit Windows 8 und den Sur­face-Geräten eingeschlagen hat, kommt für Apple nicht infrage.

Alle Bedenken kann Apple auch mit den neuen Laptopmodellen nicht zerstreuen: die Frage nämlich, wie wichtig der Profimarkt für das Unternehmen noch ist, das heute noch gut 10 Prozent seines Umsatzes mit Macs erzielt. Denn Apples leistungsstarker Desktop-Rechner, der Mac Pro, wurde seit Dezember 2013 nicht mehr überarbeitet.

Der Zeit voraus – zum Schaden des Users: Das MacBook Pro 2016 hat keine herkömmlichen Anschlüsse. Foto: Raisa Durandi

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 23. November 2016

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