Wie im Netz Ihre Meinung manipuliert wird

Scheinbar individuelles Engagement im Web ist oft gesteuert. Wie einfach das geht, zeigen Zürcher Wissenschaftler auf.

Matthias Schüssler

Gekaufte Kommentare, verfälschte Wikipedia-Seiten, Propaganda-Bots in den sozialen Medien: Die Mittel, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen, sind mit dem Internet vielfältiger geworden. Und die Manipulationswerkzeuge lassen sich sehr einfach nutzen. Was ausschaut wie echtes Engagement direkt aus der Bevölkerung, wird häufig von Gruppen aus dem Hintergrund gelenkt und mit unlauteren Mitteln orchestriert.

Marko Kovic ist Politologe und untersucht das Phänomen zusammen mit seinen Kollegen Adrian Rauchfleisch und Marc Sele am Thinktank Zipar (Zurich Institute of Public Affairs Research). In einem Paper zum Thema sagt er, das Phänomen spiele eine viel grössere Rolle, als die meisten Leute glauben. Bei uns, aber vor allem im angelsächsischen Raum: «Eines der berühmteren Beispiele ist die Tea-Party-Bewegung in den USA.» Sie ist von Leuten mit einer Überzeugung gestartet worden. Doch schnell haben politische Akteure das Ruder übernommen, um die Bewegung für eigene Zwecke zu instrumentalisieren.

Die englische Zeitung «The Guardian» hatte schon 2010 geschrieben, die Tea-Party-Bewegung sei «getäuscht und von Milliardären inspiriert» worden. Die Drahtzieher: die schwerreichen Koch-Brüder. Sie sind Inhaber der Koch-Industries, einem der grössten Unternehmen der USA, und fordern eine schlanke Regierung, weniger Umweltschutz, weniger Steuern für die Reichen und weniger Umverteilung. Über ihre Organisation Americans for Prosperity haben sie die Tea-Party dabei unterstützt, Anlässe zu organisieren und ihre Botschaften zu formulieren, und sie haben die Themen gesetzt, über die geredet wird.

Kunstrasen statt Graswurzel

Dieses Phänomen nennt sich Astroturfing. Der etwas sperrige Name stammt von einer Kunstrasenmarke und bezieht sich darauf, dass vermeintliche Graswurzelbewegungen künstlich herangezogen werden. «Es geht um Erschleichung von Legitimität für politische Zwecke», erläutert Marko Kovic. Politiker sind auch hierzulande manchmal versucht, ihre Gefolgschaft in den sozialen Medien künstlich zu erhöhen: «Für 100 Dollar kann man sich bei Twitter 10 000 Follower kaufen. Das ist bereits digitales Astroturfing, weil es den Eindruck erweckt, dass eine Unterstützung vorhanden ist, die in Tat und Wahrheit aber nur eingekauft ist», sagt Kovic.

FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann hatte 2015 «als Social-Media-Greenhorn» Follower gekauft, wie die NZZ damals schrieb. «Viele Politiker lassen sich durch Kommunikationsagenturen beraten, und diese Kommunikationsagenturen machen es sich manchmal ein bisschen einfach», erklärt Kovic.

Umgekehrt kommt es auch vor, dass die politischen Gegner solche Follower-Armeen auf einen Politiker loslassen: um ihn zu diskreditieren oder von den Bots mit bestimmten Botschaften einzudecken. Davon betroffen war zum Beispiel Cédric Wermuth, der auf Twitter plötzlich viele Fake-Follower hatte, die offenbar auf ihn angesetzt wurden.

Das wichtigste Instrument der Astroturfer sind jedoch die Kommentarforen grosser Nachrichten-Websites. «Wir wissen aus der Forschung, dass Onlinekommentare beachtet werden, sie werden teilweise mehr gelesen als die Artikel selbst», sagt Kovic.

Armeen von Sockenpuppen

Und die Kommentare haben eine Wirkung, weil sie den Eindruck erwecken, dass normale Bürgerinnen und Bürger ihre Meinung kundtun. Auch hier kann man dank der Automatisierungsmöglichkeiten im Internet viel mehr bewirken als früher: «Eine Person kann Dutzende von Sock Puppets bedienen», sagt Kovic. Diese sogenannten Sockenpuppen sind Scheinidentitäten, die für die Kommentare genutzt werden.

Kann man da einem Kommentar überhaupt noch vertrauen? CNN und viele andere Nachrichtenportale haben ihre Foren inzwischen geschlossen. Politologe Kovic hält das für einen Verlust: «Ich glaube aufrichtig daran, dass Leute Inputs liefern können und ihre Meinung wichtig ist.»

Um Sockenpuppen fernzuhalten, sieht Kovic mehrere Möglichkeiten. Man könnte verifizierte Benutzer mit einem speziellen Symbol auszeichnen. Das sei ein Aufwand für die Nutzer, den viele in Kauf nehmen. Bei der «New York Times» funktioniere das gut. «Viele Leute möchten, dass man ihnen glaubt, gerade wenn sie ehrliche Meinungen äussern.»

Technische Mittel wie Sprachanalysen, die repetitive Floskeln erkennen, könnten bei der Enttarnung von gestreuten Kommentaren helfen. Doch man erkennt so nur die trivialsten Formen des Astroturfing. «Um den raffinierteren Formen auf die Spur zu kommen, muss man mit Akteuren sprechen, Interviews führen, bei Kommunikationsagenturen vorstellig werden und versuchen herauszubekommen: Wie läuft es? Wo, wann, warum?», erklärt Kovic.

Es kann auch helfen, wenn sich der Autor des kommentierten Artikels in die Leserdiskussion einschaltet und bei sehr einseitigen Voten dagegenhält. So relativieren sich krasse Aussagen – für die Astroturfer ist es oft zu aufwendig, solche Dialoge fortzuführen und gezielt auf Entgegnungen einzugehen.

Den grössten Erfolg verspricht sich Kovic von der negativen Wirkung einer möglichen Enttarnung. Es brauche das Bewusstsein dafür, dass es nicht trivial ist, die Öffentlichkeit anzulügen: «So werden vielleicht auch die politischen Akteure sensibilisiert. Und sie überlegen es sich zweimal, ob sie so etwas wirklich tun wollen.»

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 19. Oktober 2016

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