Fünf Thesen, warum es Google+ immer noch gibt

Googles Konkurrenz zu Facebook hat die Welt nicht revolutioniert und gehörte längst eingestampft. Warum ist das nicht passiert?

Matthias Schüssler

Ja, es ist schon fünf Jahre her – im Juni 2011 hatte Google sein eigenes Social-Media-Projekt vorgestellt. Google+ hiess es und wartete mit allerlei neuen Funktionen auf: allen voran mit den Kreisen (Circles), die es den Nutzern erlaubten, ihr Publikum nach Interessengebieten zu sortieren und Informationen selektiv mit einzelnen Circles zu teilen.

Allerdings waren es genau diese Circles, die das soziale Netzwerk zu schwerfällig machten: Die Sortierung der Freunde entpuppte sich als aufwendig und mutete viele Nutzer seltsam an. Weitere Probleme: Die Plattform hat sich nicht – so wie Facebook oder Twitter – für Drittentwickler geöffnet. Es ist somit also erstaunlich, dass es Google+ nach fünf Jahren immer noch gibt. Zur Erinnerung: Google Buzz, eine Art Twitter-Alternative, war im Oktober 2011 nach nur anderthalb Jahren wieder eingestellt worden.

Hier sind fünf Thesen, warum Google an seinem sozialen Netzwerk festhält:

Google will nicht ohne Social-Media-Präsenz dastehen. Einerseits hat Google nicht nur viel Entwicklungsaufwand investiert, sondern es auch zu einem Prestigeprojekt gemacht. 2011 hatte Larry Page persönlich in einem Memo der Mitarbeiterschaft mitgeteilt, der Erfolg im Bereich Social Media sei massgebend für den Bonus. Chris Messina, ein ehemaliger Google-Mitarbeiter und Entwickler bei Google+, hatte nach seinem Abgang gesagt, die Zukunft der digitalen Identität sollte nicht allein durch ein einziges Unternehmen bestimmt werden. Google habe nach wie vor eine Chance gegen Facebook.

Google+ ist die Klammer um die Google-Dienste. Beim Start hat Google sein soziales Netzwerk mit vielen anderen Diensten verzahnt. Die Fotoplattform Picasa ist quasi in Google+ aufgegangen, und die Youtube-Kommentarfunktion ist an das soziale Netzwerk geknüpft. Inzwischen sind diese Verbindungen zwar wieder gekappt. Trotzdem dient Google+ als Klammer um die diversen Dienste und als Anlaufstelle, wo der Google-Nutzer sein persönliches Profil verwalten kann.

Die Nutzer werden irgendwann doch noch verstehen, was Google+ eigentlich ist. Nämlich kein zweites Facebook – weil Google und Facebook im Kern sehr unterschiedliche Unternehmen sind. Die «New York Times» hat es vor längerer Zeit «social layer» genannt: einen sozialen Anstrich für ein Unternehmen, das ansonsten technikgetrieben und wenig menschlich wirkt.

Auf kleiner Flamme köchelt es sich ganz gut. In der ursprünglichen Ausprägung war Google+ zu ambitioniert und die Art und Weise, wie Google den Dienst unumgänglich gemacht hat, vielen Nutzern suspekt. Doch in abgespeckter Form ist er für viele nützlich. Das technikaffine Publikum hat sich bei Google+ inzwischen gut eingelebt. Das zeigt sich auch beim privaten Blog des Autors. Dort steuert Google+ inzwischen mit Abstand den meisten Social-Media-Traffic bei: 53 Prozent nämlich. Facebook mit 33 Prozent und Twitter mit 12 Prozent sind im Vergleich weit abgeschlagen.

Google glaubt weiterhin an Google+. Das scheint der entscheidende Grund zu sein. Denn in Mountain View gebärdet man sich auch weiterhin wie ein Start-up – und stellt Produkte ohne Skrupel wieder ein, wenn sie unter den Erwartungen bleiben.

Dass Google+ im Netz bleiben darf, lässt nur eine Interpretation zu: Der Dienst hat bei Google eine Zukunft. Ohne viel Brimborium wird er weiterentwickelt und mit neuen Funktionen wie den Communities oder den Sammlungen ausgestattet. Und der damals neue Chef von Google+, David Besbris, hat in einem Interview bekräftigt: «Wir sind gekommen, um zu bleiben.»

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 6. Juli 2016

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