Facebook greift nach dem Medienmarkt

Seit letzter Woche gibt es die Instant Articles: Sie machen das mobile Internet schneller und schaffen neue Einnahmequellen für Medienhäuser und Blogger. Doch sie verstärken auch die Abhängigkeit vom grössten sozialen Netzwerk.

Matthias Schüssler

Letzte Woche hat Facebook an der Entwicklerkonferenz F8 die Instant Articles freigegeben. Diese Funktion wird seit knapp einem Jahr von Medienhäusern wie dem «Spiegel» und «The Guardian» getestet. Seit vergangener Woche steht sie allen Anbietern von Onlineinhalten offen, den grossen Medienhäusern ebenso wie privaten Bloggern.

Die Instant Articles – sie stehen in den Apps für Android und das iPhone zur Verfügung – lösen ein gravierendes Problem der mobilen News: Die Ladezeiten sind manchmal so lange, dass Nutzer die Geduld verlieren und weiterscrollen, noch bevor sie den gewünschten Inhalt überhaupt zu Gesicht bekommen haben. 40 Sekunden dauert es, bis eine Nachrichtenseite durchschnittlicher Grösse angezeigt wird, wenn nur eine langsame Edge-Verbindung zur Verfügung steht. So ergab es die Zeitmessung des Fachmagazins «Heise».

Zur Beschleunigung werden Instant Articles direkt von Facebooks Servern geladen – was selbst auf alten Geräten innert Sekundenbruchteilen möglich ist. Die Gefahr, dass Leser abspringen, ist geringer. Der Produktmanager Josh Roberts hat an der Facebook-Entwicklerkonferenz gesagt, Instant Articles würden 20 Prozent öfter zu Ende geladen und 30 Prozent häufiger geteilt.

Facebook ermöglicht Bloggern und Medienhäusern, ihre eigene Werbung in die Instant Articles zu schalten oder dort Werbung von Facebooks Werbeplattform Audience Network anzeigen zu lassen. Im ersten Fall erhält der Verleger die gesamten Einnahmen, im zweiten Fall nimmt Facebook einen Anteil von 30 Prozent.

Auch schon Inhalte gelöscht

Mehr Tempo und eine einfache Monetarisierung: ein klarer Wettbewerbsvorteil. Trotzdem gibt es Kritik. Facebooks dominante Rolle werde verstärkt, wenn die Plattform auch noch einen Teil der Nachrichten direkt ausliefere, kritisierte das Magazin «Fortune» und weist darauf hin, dass Facebook in der Vergangenheit auch schon Inhalte gelöscht habe.

Ein wachsender Teil der Bevölkerung informiere sich heute bevorzugt über Facebook, sagt Katharina Kleinen-von Königslöw vom Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich. «Die traditionellen Medienhäuser haben gar keine andere Wahl, als mitzumachen, wenn sie das Ansehen und den Kontakt mit dieser Zielgruppe nicht ganz verlieren wollen.» Die zusätzlichen Chancen auf Monetarisierung würden sie sich mit einem Reichweitenverlust auf der eigenen Website erkaufen, so Kleinen – von Königslöw, da die Nutzer auf Facebook bleiben und nicht weiterstöbern würden. Die Assistenzprofessorin für politische Kommunikation ortet auch eine «extreme Abhängigkeit von einem Monopolisten, der die Nutzungsbedingungen und die Möglichkeiten der Monetarisierung nach eigenem Gutdünken ändern kann».

Für Blogger verlockend

Für Blogger fällt diese Abhängigkeit weniger ins Gewicht. Sie haben bei Facebook die Chance, mit einzelnen, viralen Beiträgen höhere Reichweite zu erzielen, als das ohne Facebooks Verstärkerfunktion möglich wäre. «Davon können die Blogger jetzt durch Instant Articles auch monetär profitieren, wenn sie sich darum kümmern», sagt Katharina Kleinen- von Königslöw.

Der Einrichtungsaufwand für Blogger hält sich in Grenzen: Sie benötigen eine eigene Facebook-Seite, die sie für die Instant Articles anmelden. Die Übernahme der Beiträge aus dem Blog ist je nach Konstellation sogar vollautomatisch möglich – da mitzumachen, ist verlockend.

Bei einer kleinen Umfrage (natürlich auf Facebook) haben mehrere Schweizer Blogger die Absicht bekundet, die Instant Articles zu nutzen. So wartet Kevin Kyburz noch auf seine Freigabe: «Ich denke, dass Facebook diese Beiträge pushen wird – und sie laden halt wirklich schnell», sagt Kyburz. Den Kontrollverlust fürchtet er nicht: «Wenn es mir stinkt oder Facebook plötzlich Geld verlangt, schalte ich sie halt wieder ab.»

Ähnlich beurteilt es Tech-Blogger Jean-Claude Frick: «Kontrolle habe ich über den Inhalt, den ich veröffentliche – das reicht mir erst mal.» Von der Monetarisierung versprechen sich beide Blogger, wenigstens für sich selber, nichts: «Ich bin einfach kein Fan von nerviger Werbung!», sagt Kyburz.

Das mobile Web beschleunigen, das will auch Google. Der Suchmaschinenriese hat dazu das Accelerated-Mobile-Pages-Projekt gestartet. Der Ansatz ist hier, alles wegzulassen, was für die Anzeige am Mobilgerät nicht unbedingt nötig ist. Durch diese drastische Abmagerungskur sollen Seiten ebenfalls mit minimaler Verzögerung laden. Anders als Facebook setzt Google auf eine offene Lösung. Die Software ist Open Source und kann von den Nutzern auf ihren eigenen Servern eingesetzt werden. Trotzdem, so scheint es, ist für viele Facebooks geschlossene Lösung wegen des versprochenen Multiplikatoreffekts vielversprechender.

Blogger wittern bei Instant Articles die Chance für eine höhere Reichweite ihrer Beiträge. Foto: Bloomberg

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 20. April 2016

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