Die unterschätzte Gefahr eines Internet-Blackouts

Ein Totalausfall des Internets in der nächsten Dekade ist wahrscheinlich, warnt die Universität St. Gallen. Die Schäden wären immens.

Matthias Schüssler

«Too big to insure»: Den Schaden, der durch einen Totalausfall des Internets entstehen würde, kann kein Versicherungsunternehmen schultern. Zu diesem Schluss kommt eine gestern publizierte Studie der Universität St. Gallen.

Die Autoren haben 25 Experten befragt, wie gross sie das Risiko für einen Zusammenbruch des Datenverkehrs einschätzen. Die erschreckende Antwort: Die Sicherheitsexperten halten ein solches Szenario innerhalb der nächsten zehn Jahre für realistisch: Zwischen 30 und 60 Prozent bezifferten sie die Wahrscheinlichkeit eines längeren Blackouts global oder für eine grössere Region – im Schnitt sind es 42,7 Prozent. Das Resultat hat selbst die Autoren überrascht: «Ich war bis anhin auch von den 10 Prozent als Referenz ausgegangen, von denen man beim World Economic Forum gesprochen hat», sagt Martin Eling, Professor für Versicherungsmanagement an der Uni St. Gallen und Mitautor.

Ein Blackout von mehreren Stunden oder Tagen könnte unterschiedliche Ursachen haben, möglich sind sowohl kriminelle Aktivitäten als auch Pannen. Afrika war 2012 während 24 Stunden nahezu vom Internet abgekoppelt, weil ein Unterseekabel durchtrennt worden war. Und 2014 war Nordkorea neun Stunden lang offline, diesmal wurde ein Hackerangriff als Hintergrund vermutet.

Die Kosten eines Ausfalls wären immens, wie Versicherungsexperten vorrechnen: «Die Kosten im Bereich Cybercrime werden auf 1,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts geschätzt. Das wären für die Schweiz rund 10 Milliarden Franken. Wir sprechen über einen zweistelligen Milliardenbetrag allein für die Schweiz, wenn das Internet für zwei oder drei Tage ausfallen würde», sagt Martin Eling. Der Schaden, global gesehen, würde sich für dieses Szenario auf 250 Milliarden Franken belaufen.

Die Autoren der Studie schlagen zum Schutz eine Kombination aus technischer Absicherung und Lastenverteilung vor: «Wir kennen das aus den USA von der Absicherung von Katastrophenrisiken.» Die gewaltigen Schadenssummen der Hurricanes würden auf der ersten Ebene von der privaten Versicherungswirtschaft abgedeckt. «Bei einer zweiten Ebene springt der Staat ein», sagt Eling als Idee.

Doch wie begründet ist die Furcht vor einem Internet-Blackout? Schliesslich ist, so wissen die Technikenthusiasten, das Netz auf Ausfallsicherheit getrimmt. Der Vorläufer des heutigen Netzes, das Arpanet, wurde dezentral aufgebaut – nicht mit dem so weit gehenden Ziel, auch einem Atomkrieg zu widerstehen, wie häufig kolportiert wird. Sicherheitsexperte Hannes Lubich kommt zu einer ähnlichen Einschätzung wie die Experten in der Studie: «Das heutige Internet hat einige betriebliche Engpässe und potenzielle Angriffspunkte, so das weltweite System zur Domainnamenauflösung (DNS), den Zeitsynchronisationsdienst NTP oder das Routingsystem.»

Engpässe und Angriffspunkte

An diesen Punkten seien Ausfälle durch Fehlkonfigurationen, Softwarefehler, Überlastung oder gezielte Angriffe sehr wahrscheinlich. Wer das Internet gezielt lahmlegen will, muss viel Know-how und Ressourcen mitbringen. «Zudem müssten die Angreifer tolerieren, dass ihre eigene Kommunikationsfähigkeit durch einen Ausfall des Internets ebenfalls kompromittiert würde.»

Nebst einem kompletten Blackout ist es auch denkbar, dass nur einzelne Weltregionen oder einzelne Teile betroffen wären. Lubich, der eine Professur für mobile und verteilte Systeme an der Fachhochschule Nordwestschweiz innehat, weist auch darauf hin, dass der Schaden heute kaum mehr abschätzbar ist, weil so viele Geschäfts- und Steuerungsprozesse betroffen wären: «Industrie 4.0, das Internet der Dinge und andere Phänomene verschärfen diese Entwicklung, da hier weitere, zum Teil kritische Infrastrukturen über das Internet zugänglich werden und von einem Angriff potenziell ebenfalls betroffen wären», warnt Lubich.

Anders sieht es Fredy Künzler vom Internetprovider Init7, der sich mit der Infrastruktur des Internets auskennt: «Selbstverständlich kann es irgendwo regional begrenzt krachen – siehe die überschwemmte Telefonzentrale in Birmensdorf vor einem Jahr. Oder eine Facebook-Outage für eine Stunde. Oder ein einzelner Provider vergeigt es absichtlich, wie beim Netflixgate. Der globale Impact? Null.»

Sein Rezept gegen Ausfälle: «Konkurrierende Provider mit unabhängigen und redundanten Systemen. So kann sich keiner einen gröberen Ausfall leisten – und alle bemühen sich mehr!»

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 13. April 2016

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