«Die virtuelle Realität bleibt asozial»

Matthias Schüssler

Die weltgrösste Mobilfunkmesse in Barcelona hat bis jetzt keine Highlights produziert, sagt Tagesanzeiger-Digitalredaktor Rafael Zeier.

Das Samsung Galaxy S6 gilt als Flop. Nun haben die Koreaner am Mobile World Congress in Barcelona das S7 vorgestellt. Kann es etwas reissen?
Samsung und Co. sind wirklich nicht zu beneiden. In Zeiten, in denen es Smartphones zum Preis eines Taschenrechners gibt, ist es nicht einfach, Jahr für Jahr etwas Schönes aus dem Hut zu zaubern und die Leute dazu zu bringen, viel Geld für ein Premium-Modell auszugeben. Unbestritten – die neuen Galaxy-Telefone sind sehr schön und die Beschreibung der «Innereien» klingt vielversprechend. Aber mein privates Handy ist jetzt über zwei Jahre alt und ich bin damit immer noch sehr zufrieden. So dürfte es so manchem Handybesitzer gehen.

Auch Facebook-Chef Mark Zuckerberg war unangekündigt auf der Bühne. Hat sich Samsung die Show stehlen lassen?
In der Vergangenheit hat sich Samsung meist mit Ungeschicklichkeiten selbst die Show gestohlen. Von allen Samsung-Präsentationen, die ich gesehen habe, war die am Sonntag mit Abstand die beste. Auf dem Punkt, kein unsinniges Theater, und mit Mark Zuckerberg gab es eine lustige Überraschung. Ich dachte, Messi oder ein anderer Fussballer könnten einen Auftritt haben – schliesslich sind wir in Barcelona. Da darf man Samsung für einmal gratulieren für die Überraschung.

Trotz der gelungenen Show wirst du dein Handy nicht gegen ein Galaxy S7 eintauschen?
Nein. Und das bereits erwähnte Problem mit dem Preiszerfall und dem Verharren auf dem Entwicklungsplateau löst eine gute Präsentation auch nicht.

Seltsam war, dass die Journalisten im Saal den hereinspazierenden Zuckerberg gar nicht wahrgenommen haben. Sie hatten alle ihre VR-Brille auf.
Das war schlau gemacht. Man benötigte die Brille während der Präsentation nur zweimal kurz: Ein erstes Mal für das Video zu den neuen Galaxy-Telefonen und ein zweites Mal, um die Bildqualität der Rundum-Kamera vorgeführt zu bekommen. Und als wir alle das Video von fussballspielenden Kindern ansahen, schlich Zuckerberg auf die Bühne. Da die 5000 Gäste rund um die Bühne angeordnet waren, blieb Zuckerberg gar nichts anderes übrig, als am Publikum vorbeizugehen. Wirklich ein gelungener Stunt! Auch wenn Zuckerberg hinterher nicht sehr viel zu sagen hatte.

Die virtuelle Realität ist das dominierende Thema in Barcelona. Läutet die Messe nun den Durchbruch ein?
Die Brillen sind wirklich überall. Kaum ein Stand kommt ohne aus. Spricht man mit Journalisten, Analysten und anderen Beobachtern, hört man aber immer noch viel Skepsis. Mir geht es selbst ebenso: Ich musste mich überwinden, eine Gear VR zu kaufen. Sie ist ein lustiges Spielzeug, aber ich kann sie viel zu selten verwenden. Wenn man sich mit anderen Leuten in einem Raum befindet, ist es komisch und asozial, sich so eine Brille aufzusetzen – da kann Mark Zuckerberg noch so lange darauf herumreiten, wie sozial die virtuelle Realität irgendwann sein wird. Im Moment ist sie es nicht. Selbst an der Samsung-Präsentation, wo alle Leute in dem riesigen Raum eine Brille vor den Augen hatten, war das keine soziale Erfahrung.

Die Brille von LG ist etwas weniger klobig und wirkt nicht ganz so cyborgmässig. Ist wenigstens die 360 VR massentauglich?
Ich finde sie auch nicht schöner als andere VR-Brillen. Und bei meinen ersten Testversuchen wirkte sie ziemlich lottrig. Wenn die Brille ihren eigenen Bildschirm hat und man kein Handy reinstecken muss, kann man aber beim Gewicht und der Grösse sparen. Dafür muss man das Handy per Kabel anschliessen .

Was tut sich nebst den Brillen im Bereich der virtuellen Realität? Du hast Rundum-Kameras erwähnt.
Samsung und LG haben beide kleine Rundum-Kameras vorgestellt. Die haben zwei Objektive, und im Handy wird daraus ein Rundum-Bild errechnet. Bei der Bildqualität setze ich ein Fragezeichen. Aber klar, wenn Virtual Reality Realität werden soll, braucht es nicht nur Brillen sondern auch Kameras, mit denen sich die passenden Inhalte erzeugen lassen. Die Profi-VR-Kamera von Nokia ist spannend. Aber sie sieht sehr abenteuerlich aus. Und sie kostet 60’000 Dollar.

Smarte Schuhe für Golfspieler, ein riesiges Armband mit gekrümmtem Bildschirm und eine Zahnbürste, die per App den Putzvorgang kontrolliert. Wie hoch ist der Anteil der Fürchterlichkeiten in Barcelona dieses Jahr?
Aus Selbstschutz hab ich mich noch nicht in alle Niederungen der Messe gewagt. Aber es gibt sie mit Sicherheit. Auffällig ist, dass auch grosse Konzerne, die früher gern halbgaren Plunder zeigten, heuerzurückhaltend waren.

Ein weiterer Hoffnungsträger ist das smarte Heim. Hast du in diesem Bereich sinnvolle Neuerungen entdeckt?
Sony zeigt einen Beamer, der etwa so gross wie eine externe Festplatte ist. Stellt man ihn auf eine Kommode, wird die Wand dahinter zum Minibildschirm. Dort sieht man dann zum Beispiel das Wetter oder wer gerade anruft. Dieses Gerät ist sehr schön, aber noch ein Prototyp. Wenn man den Beamer auf den Tisch stellt, kann man Fotos betrachten und mit Wischbewegungen durch die Fotos blättern. Der Beamer erkennt nämlich auch Handbewegungen.

Also endlich lebendige Projektionen anstelle der statischen Bilder und Poster an der Wand?
Ich bleibe skeptisch. Ich schätze es auch weiterhin, das Licht, den Backofen oder die Kaffeemaschine mit Knöpfen ein- und ausschalten zu können. Ich will mich wirklich nicht übermässig mit Apps, WLAN-Verbindungen, Updates und inkompatiblen Standards herumärgern müssen.

Und hier meine Standardfrage am Ende: Hast du ein Gadget gesehen, das du sofort besitzen musst. Oder eins, das du nur deinem ärgsten Feind schenken würdest?
LG hat einen Kugelroboter vorgestellt. Der erinnert etwas an BB-8 aus dem neuen «Star Wars»-Film. Das Ding rollt in der eigenen Wohnung umher, streamt Videos aufs Handy und kann mit einem Laserpointer sogar mit der Katze spielen. Den hätte ich sehr gerne. Der könnte künftig für mich durch die Messehallen rollen!

Digitalredaktor Rafael Zeier vor Ort in Barcelona: Bild: Simone Luchetta

Quelle: Newsnetz, Dienstag, 23. Februar 2016

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