Jederzeit sendebereit

Streamen wir alle bald Livevideos ins Netz? Apps wie Meerkat treten mit dem Anspruch an, die Gesellschaft zu verändern.

Matthias Schüssler

Meerkat ist eine App für Liveübertragungen mit bewegtem Bild und Ton. Die Benutzung ist denkbar einfach, nach der Authentifizierung über Twitter braucht es gerade zwei Schritte, bevor man live auf Sendung ist: Man vergibt einen Titel für die Show und klickt auf «Stream». Darauf wird die Sendung via Twitter und über die Meerkat-App für ein öffentliches Publikum angekündigt. Unsere Testsendung hatte innert weniger Minuten eine Einschaltquote von fast einem Dutzend Leuten. Und das, obwohl nur der Blick aus dem Newsroom-Fenster auf die Helvti-Bar und die Kasernenstrasse zu sehen war.

Apps wie Meerkat und Stre.am gelten als das «nächste grosse Ding» im Internet – oder vielleicht auch nur als der nächste Hype, so wie die Vine-App. Sie hat vor zwei Jahren zu einem Boom von Kurz­videos geführt, aber die Social-Media-Landschaft nicht nachhaltig verändert. Das gilt auch für Let’s Play. Die Übertragung von Videospiel-Partien im Netz ist zu einem Phänomen geworden, das nur innerhalb der Gamerszene Wellen wirft. Livestreaming selbst ist auch über Plattformen wie Ustream längst eine Selbstverständlichkeit. Doch den Unterschied macht nun, dass Übertragungen mobil möglich sind – von überall dort, wo es schnelle Mobilfunkverbindungen gibt.

Streaming à la Meerkat wird deswegen bereits als neues Zugpferd für den Bürgerjournalismus gehandelt. Der Journalist Jon Ward hat für Yahoo-News kurz nach dem Start des Dienstes Ende Februar ein Interview mit dem republikanischen Senator John Thune geführt. «Eine einfache App zum richtigen Zeitpunkt», pries Ward dieses neue journalistische Werkzeug gegenüber dem amerikanischen National Public Radio.

Während beim 2011 gegründeten Younow-Streamingdienst vor allem Teenies aus ihren Kinderzimmern streamen, kann man bei Meerkat etwa zusehen, wie ein Polizist einen Fahrer des Fahrdienstes Lyft drangsaliert. Die Miami Dolphins, ein American-Football-Team, haben ihren neuen Verteidiger über die App vorgestellt. Und Spotify-Gründer Daniel Ek hat sie für einen Rundgang durch seine Stockholmer Büros genutzt.

Auch Twitter will mitmischen

Gary Vaynerchuk, ein russischer Unternehmer und Autor, sagte dem «Time Magazine», Livestreaming ab Mobiltelefon werde sich in den nächsten 24 Monaten im grossen Stil etablieren. Das sehen offenbar auch andere so. Twitter hat Meerkat letzten Freitag den Zugriff auf die Follower der streamenden Nutzer gesperrt und fast zeitgleich die Übernahme eines eigenen Videodienstes angekündigt. Periscope ist letztes Jahr gestartet, bislang aber erst Testnutzern zugänglich.

Meerkat-Gründer Ben Rubin schreckt die Twitter-Ohrfeige nicht: «Das ist nur der Anfang für uns», sagte er auf Twitter. Und in Anspielung an die bekannte Textzeile von Gil Scott-Heron («The revolution will not be televised») sagte er: «Die Revolution wird live gestreamt werden!»

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 18. März 2015

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