Unterhaltung Der Streamingdienst Netflix hat das Potenzial, auch in der Schweiz das Fernsehen in Bedrängnis zu bringen.

Zappen hat Zukunft

Von Matthias Schüssler

Mit Netflix ist seit gestern ein neuer Anbieter auf dem Markt, der ganz dem Zeitgeist entspricht: Serien und Filme sind immer und überall verfügbar. Dass damit das Fernsehen Geschichte ist – das ist dann doch leicht übertrieben.

«Netflix ist eine Alternative an einem Regensonntag», sagt etwa der Blogger Christian Schmid, der die Schweizer Fernsehszene seit Jahren kommentiert: «Unterhaltung, wenn im Fernsehen sonst nichts läuft.» Netflix und der vor kurzem von der UPC Cablecom lancierte Dienst My Prime dürften zuerst die «Abnudelstationen» in Bedrängnis bringen, jene Fernsehsender – zum Beispiel Vox oder RTL 2 –, die Archivware en gros senden. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein grosser Teil der TV-Konsumenten gar nicht wählen will: Sie zappen sich durch die Sender, lassen sich be­rieseln.

Mit prestigeträchtigen Eigen­produktionen und grossen Events werden die TV-Stationen die Zuschauer weiterhin binden und auch zum Livezuschauen bewegen können. Publikumsabstimmungen in den Castingshows und Happenings wie der «Tatort» werden die Trümpfe gegen das Streaming zum Pauschalpreis sein. Die Streaminganbieter ihrerseits haben mit der Situation zu kämpfen, dass Lizenzen pro Land und Sprach­regionen ausgehandelt werden müssen – und zudem oft exklusiv vergeben werden. Es wird so schnell also keinen Dienst geben, der dem Anspruch an eine Universalvideothek gerecht werden könnte.

Eine zerstörerische Kraft

Mittelfristig hingegen darf die ver­drängende Kraft von Netflix nicht unterschätzt werden. In den USA hat der Anbieter die Fernsehlandschaft nachhaltig verändert. Laut der ­Plattform «Business Insider» erhöht ein Netflix-Abo die Wahrscheinlichkeit deutlich, dass ein US-Haushalt sein Abo für das Kabelfernsehen kündigt.

Generell sind sinkende TV-Einschaltquoten zu beobachten. Es sei ein historischer Wandel im Gang. Die Leute schauen immer weniger Fernsehen und dafür mehr Video. Und das immer häufiger auch auf Smartphones und Tablets. Die Zahl der fernsehenden US-Haushalte ist sinkend, obwohl die absolute Zahl der Haushalte steigt.

Am Erfolg von Netflix ist auch der Streit um die Netzneutralität auf­geflammt. Sie besagt, dass Provider alle Daten gleich behandeln müssen. Der US-Anbieter Comcast war im Februar in die Kritik geraten, weil seine Kunden eine Verlangsamung beim Netflix-Datenverkehr beobachtet hatten. Die Vermutung stand im Raum, Comcast würde die Übertragung mit Absicht bremsen – schliesslich ist die Firma dabei, den Kabelnetzbetreiber und potenziellen Netflix-Konkurrenten Time Warner Cable zu übernehmen. Netflix und Comcast sind mittlerweile zu einer Einigung gelangt.

Netflix erzeugt zu Spitzenzeiten ein Drittel des US-Internetverkehrs, zusammen mit Youtube sind es mehr als die Hälfte des Datenaufkommens. Die Provider denken deshalb über eine Begrenzung der Datenvolumina nach. Das könnte die Expansion von Netflix bremsen und gleichzeitig die Attraktivität für noch höher auflösende Inhalte schmälern. Das dürften aber nur mittelfristige Hürden sein: Wenn die Bandbreite weiterwächst wie bisher, werden die Flaschenhälse automatisch verschwinden.

Berichte Seite 35, 37

Bildschirm ist Bildschirm: Auch TV-Sender bauen ihr Angebot im Netz aus – zum Beispiel das Schweizer Fernsehen. Foto: Keystone

Quelle: Tages-Anzeiger, Freitag, 19. September 2014

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