Telecomanschluss Was als Wahlfreiheit verkauft wird, entpuppt sich als Zwang, aus einem intransparenten Angebot auszuwählen.

Ein Abgrund von Möglichkeiten

Von Matthias Schüssler

Wenn Telecomkonzerne Werbeversprechen machen, versprechen sie die grosse Freiheit. «Du kannst», sagt Orange. «Das macht Sinn», behauptet Sunrise. Und bei der Swisscom steckt die unendliche Freiheit schon in Produktnamen wie «Infinity».

Doch eben – diese Wahlfreiheit ist auch ein Zwang, sich zu entscheiden. Und das unterschwellige Gefühl, man habe bloss die zweit- oder drittbeste Möglichkeit gewählt. Das ist das Dilemma der Multioptionsgesellschaft, das einem die Telecombranche exemplarisch vor Augen führt.

Ich war neulich gezwungen, meine telekommunikative Grundversorgung zu überdenken. Schuld war ein Umzug in eine Wohnung, die nur mit ISDN erschlossen war – sodass sich mein bisheriges Telefonabo von Swisscom und Sunrise nicht weiterführen liess. Ich versuchte also, mir einen Überblick zu verschaffen. Und sogleich tat sich ein Abgrund von Möglichkeiten auf. Und von Weltanschauungen.

Freund Z. ist überzeugt, dass der Festanschluss sich längst überholt hat. Was braucht der Mensch mehr als sein Handy? Freund M. verfügt über schnelles Glasfaserinternet – das eine Kabel to rule them all. Er schwört auf die Internettelefonie (er hat eine Nummer bei einem SIP-Anbieter, der eine offene Alternative zu Microsofts Skype offeriert) – und er hört weg, wenn sich die Angerufenen über die schlechte Tonqualität beklagen. Meine Grossmutter E. bleibt auf jeden Fall beim Wandtelefon Weidmann aus Bakelit, Baujahr irgendwann in den 60ern.

Ein Tarifsalat

Ich erhoffte mir Klärung von den Tariftabellen – doch die vergrössern die Verwirrung bloss: Ein Anbieter verrechnet Gesprächskosten in 10-Rappen-Schritten. Ein anderer zählt ­sekundengenau, verlangt aber eine Verbindungsgebühr. Bei Auslandsgesprächen wird es noch unübersichtlicher. Unterschied­liche Tarifzonen, mal Flatrate, mal Nieder- und Hochtarif, plus auseinanderklaffende Preise für Mobil- und Festnetztelefonie. Die Buchhalter unter den Telecomkunden mögen sich mit Excel und ihren Einzelverbindungsnachweisen daran machen, alle Szenarien durchzurechnen. Alle anderen aber dürften aus dem Bauch entscheiden. Oder anhand der sympathischen Menschen in der Werbung.

Minutentarife zu vergleichen, hält Ralf Beyeler vom Vergleichsdienst Comparis in meinem Fall für nutzlos. «Was einschenkt, ist die Ausgestaltung der Pakete. Bei diesen erhalten die Kunden oft Dienste, die sie gar nicht brauchen.» Tatsächlich – wenn ich mich fürs Telefonieren via UPC Cablecom entscheide, wird meine Internetgeschwindigkeit um Faktor 2,5 erhöht, und ich erhalte die Horizon-Box, mit der ich Filme streamen kann. Warum? Weil mein altes Kombipaket aus Internet und Digitalfernsehen mit dem Telefonangebot nicht kompatibel ist. Da trifft die Telecombranche auf die Charcuterie-Fachverkäuferin: «Dörfs es bitzeli mee sii?»

Markttransparenz sieht anders aus. Ist das nur ein perfider Plan, mich in die Unterwerfung zu treiben? Swisscom-Mediensprecher Olaf Schulze verneint die Frage lachend: «Die Kunden in unseren Shops wissen genau, was sie wollen – und der Erfolg gibt den Bündelangeboten recht.»

Ich kapituliere und nehme halt das Kombipaket mit «alles und scharf».

Quelle: Tages-Anzeiger, Mittwoch, 10. September 2014

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