Welt am Draht (1973)

Retrofuturismus aus den 70er-Jahren

An «Second Life» war nicht zu denken – und trotzdem hat Rainer Werner Fassbinder sich schon 1973 ausgemalt, wie es wäre, eine ganze Kleinstadt im Computer zu erzeugen. Die Geschichte basiert auf dem Roman «Simulacron-3» des US-Autors Daniel F. Galouye von 1964 und erzählt die Geschichte von Fred Stiller (Klaus Löwitsch), der am Institut für Kybernetik und Zukunftsforschung als neuer Direktor die Simulation vorantreibt, um Prognosen für die Wirtschaft erstellen zu können. So geht es darum, den Energieverbrauch fürs Jahr 2000 abzuschätzen. Doch nebst den unerklärlichen Kopfschmerz- und Schwindel­anfällen passieren seltsame Dinge. Mitarbeiter verschwinden, und selbst Berichte in der Zeitung (die zufällig «Tagesanzeiger» heisst) sind plötzlich nicht mehr so, wie sie waren. Stiller beschleicht die Ahnung, dass er selbst in einer Simulation steckt, so wie Neo in «Matrix» – und wie in «Inception» mehrere Realitätsebenen ineinander verschachtelt sind. Stiller, der auf seine Umgebung zunehmend wahnsinnig wirkt, macht sich daran, die «Kontakteinheit» aufzuspüren. Sie ist die Einzige, die weiss, dass alles nur ­Simulation ist.

«Welt am Draht» ist erst seit kurzem in einer restaurierten HD-Fassung auf Bluray erhältlich. Der Film entführt in eine retrofuturistische Umgebung mit Bildtelefon und Schalensessel und zeigt einen jungen, melancholischen Klaus Löwitsch, der die Verlorenheit des Simulacrums und die Einsamkeit im Computer beklemmend verkörpert. (schü.)

Was ist virtuell und was ist real? In «Welt am Draht» vermischen sich die Sphären.

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 4. August 2014

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