Was an den Nerven zerrt

Stundenlange Updates, Abstürze und krude Fehlermeldungen – damit müssen wir leben. Was wirklich nervt, sind sechs Ärgernisse, die man aus der Welt schaffen sollte.

Matthias Schüssler

Der Fortschritt ist nicht aufzuhalten, doch manche Ärgernisse bleiben. Manche muss man als Nutzer der digitalen Informationstechnologie einfach in Kauf nehmen. Die Updates beispielsweise, die sich nicht vermeiden lassen, weil von Menschen entwickelte Software Fehler enthält. Es gibt aber auch Missstände, die den digitalen Alltag der erfahrenen Benutzer unnötig verkomplizieren und die Novizen brutal in die Falle tappen lassen.

1. Unnötige Tasten

Ein Anachronismus ist die CapsLock-Taste. Sie ist ein Erbe der mechanischen Schreibmaschinen. In grauer Vorzeit mag sie ihre Berechtigung gehabt haben, wo es ausser der Unterstreichung und dem Schreiben in Grossbuchstaben keine Möglichkeiten zur Texthervorhebung gab. Heute wird sie noch von Trollen benutzt, die in Chaträume hineinbrüllen – Grossbuchstaben drücken dort die erhobene Stimme aus –, und ansonsten ist sie nur noch dazu da, versehentlich betätigt zu werden. Würde dieses nutzlose Überbleibsel abgeschafft, würde es Blindschreibern erspart bleiben, alle paar Wochen Sätze oder ganze Absätze korrigieren zu müssen.

2. «Hundefutter» für den Nutzer

«Eat your own dogfood» ist ein geflügeltes Wort in manchen Unternehmen. Es besagt, dass die Mitarbeiter die eigenen Produkte benutzen müssen, damit nicht erst die Anwender über deren Mängel stolpern. Manche Computerhersteller, so scheint es, haben nicht die geringste Lust auf ihr eigenes Hundefutter – und produzieren deshalb unvernünftige und umständliche Gerätedesigns. Oder wie ist es zu erklären, dass beispielsweise HP jahrelang bei den Tower-Gehäusen den Einschaltknopf ganz unten platzierte? PCs dieser Bauweise werden ­typischerweise unter den Schreibtisch gestellt. Wer sie einschalten will, muss sich in einem Akt unfreiwilliger Körper­ertüchtigung bis zum Boden bücken. Oder mit Sandalen ins Büro und den Trick erlernen, mit dem grossen Zeh den Knopf zu betätigen.

3. Kabel- und Steckerwirrnisse

Ein Kabel ist ein länglicher Gegenstand, der der Übertragung von Informationen und/oder Energie dient. Das ist logisch, einfach und einleuchtend. Im Computeralltag stellen wir fest, dass sich diese einfache Aufgabe auf verblüffend vielfältige Weise erledigen lässt – und das dazu offenbar eine Unzahl an verschiedenen Steckern notwendig ist. Mal braucht es für den Anschluss eines Monitors einen HDMI-Stecker, mal DVI – dann wieder VGA. Weil Apple den Display-Port für zu gross befand, führte man den Mini Display-Port ein, um diesen fürderhin als Thunderbolt weiterzuentwickeln. Selbstverständlich mit neuer Bauweise.

USB ist ein Standard, der die Verbindung von Computer und externen Geräten vereinfachen soll. Doch wir stellen fest, dass unsere Kabelschublade vor Strippen überquillt: Sieben Varianten von USB-Steckern und -Sockeln gibt es: A, B, Mini-A, Mini-AB, Micro-AB und Micro-B. Wer da durchblickt, darf sich glücklich schätzen. Alle anderen müssen probieren, aus der Matrix von Wikipedia schlau zu werden. Sie dröselt auf, welche der 49 Kombinationsmöglichkeiten zulässig ist und welche nicht.

Übrigens: Weil die Anschlüsse oft so lotterig gefertigt sind, kommt es nicht selten dazu, dass ein USB-Stecker verkehrt eingeführt wird. Was der PC mit ­einem Absturz quittiert.

4. Geblähte Software

Blähungen sind im zwischenmenschlichen Bereich problematisch, und auch bei der Software haben sie unliebsame Konsequenzen. «Bloatware», also «geblähte Software», ist das Resultat, wenn ein Hersteller versucht, seine Software für jegliche Eventualitäten zu rüsten. Das führt dazu, dass das Textverarbeitungsprogramm Grafikfunktionen enthält, das Brennprogramm auch Videos schneidet und ein Musikverwaltungsprogramm wie iTunes sich auch für Pod­casts, iPhone-Synchronisation und Video on Demand zuständig fühlt. Diese Eier legenden Wollmilchsauen entpuppen sich nach der Installation allzu oft als träge Überzüchtung – und die hehren Versprechen als Marketingfurz.

5. Nanny-Ware

«Game of Thrones»-Autor George R. R. Martin hat in der Talkshow von Conan O’Brien erklärt, warum er seine Bücher mit einer DOS-Textverarbeitung schreibt. Die enthält keine Autokor­rektur, die vermeintliche Fehler automatisch verbessert – was bei seinen ungezählten Fantasienamen von Arwaya Frey bis Viserys Targaryen ein konstantes Ärgernis darstellt. Aber auch Leute, die keine Fantasy­bestseller schreiben, kämpfen mit Software, die es scheinbar besser weiss. Doch die Software liegt nicht nur oft daneben, sie hat auch häufig einen Hang zum Verruchten. Word für Windows war lange Zeit dafür bekannt, den «Oranierorden» in «Onanier­orden» umzubenennen. Heute stellen diverse Websites die Fehlleistungen des iPhone an den Pranger. Und der Firefox-Browser wollte mir schon weis­machen, es heisse nicht Ehrverletzung, sondern «Eheverletzung». Software-Automatismen ärgern die Nutzer auch, indem sie bei der Mail-Adressierung veraltete Kontakte einfügen oder ungefragt in die Interpunktion eingreifen. Unvergessen auch Microsofts digitaler Assistent Karl Klammer, der die Office-User mit klugen Ratschlägen traktierte. Er hatte kürzlich seine Wiedergeburt auf Twitter. Als @paperclippy deckt er nun sogar den Microsoft-Chef Satya Nadella mit seinen Empfehlungen ein.

6. Gerümpel auf dem Telefon

Die «Crapware» hat unter Windows lange Tradition. Brandneue Computer sind mit jeder Menge Zusatzprogrammen vollgestopft, die manche Nutzer schlicht für den letzten Mist halten. Das sind beispielsweise Demoversionen für Antivirenprogramme, die nur wenige Monate genutzt werden können und dann gekauft oder (mit viel Aufwand) deinstalliert werden müssen. Mutmasslich lassen sich die Computerhersteller dafür bezahlen, dass sie ihren Kunden diese Dreingaben unterjubeln. Auch renommierte Hersteller liefern mit ihren Gratis-Downloads Programme aus, die lästig bis hochproblematisch sind. Bei Oracle handelt man sich beispielsweise die Ask-Toolbar ein, die äusserst aggressive Werbung betreibt. Und weil die Masche bei Windows so gut funktioniert, sieht man sie immer öfters auch bei Smartphones mit Android.

Jeder Computernutzer muss in der USB-Kabelbeschwörung geübt sein. Foto: BCFC, Getty Images

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 21. Juli 2014

Rubrik und Tags:

Faksimile
140721 Seite 28.pdf

Die Faksimile-Dateien stehen nur bei Artikeln zur Verfügung, die vor mindestens 15 Jahren erschienen sind.

Metadaten
Thema: Aufmacher
Nr: 11720
Ausgabe:
Anzahl Subthemen: 1

Obsolete Datenfelder
Bilder: 0
Textlänge: 360
Ort:
Tabb: WAHR