«Jedes Video lässt sich zu Geld machen»

Matthias Schüssler

Bei Youtube stehen die Zeichen auf Kommerz. Der Videodienst muss mehr Einnahmen generieren. Und: Google wird in Zukunft noch viel mehr daran setzen, die Nutzer gezielt zu bewerben, sagt Kulturwissenschaftler Conradin Knabenhans.

Conradin Knabenhans, warum eine Masterarbeit zu Youtube?

Youtube ist in unserem Alltag allgegenwärtig und klar die Nummer eins bei Videos im Netz. Darum war es spannend, den Dienst aus wissenschaftlicher Perspektive anzugehen.

Was ist Youtube eigentlich? Die Antwort auf diese Frage ist gar nicht so klar, das zeigt Ihre Arbeit. Was ist Ihre Erkenntnis?

Youtube hat viele Gesichter. Ob als einfacher Nutzer, als Band, Firma oder Werbetreibender, man kann mit Youtube verschiedene Ziele verwirklichen. Youtube promotet das aktiv. Darum werden auch so komische Begriffe wie «Portal» oder «Plattform» verwendet. Sie dienen als Metapher, weil man nicht genau beschreiben kann, was Youtube ist.

Ragt eine Nutzung besonders heraus? Ist Youtube beispielsweise das Fernsehen 2.0?

Für viele Leute eröffnet Youtube den Zugriff auf ein Archiv der Gegenwartskultur. Man findet dort alles zu einem Thema. Den aktuellsten Videoclip, eine TV-Sendung und ältere Dinge. Eine «Aktenzeichen XY»-Sendung aus den 70er-Jahren zum Beispiel. Aus wissenschaftlicher Sicht ist Youtube kein klassisches Archiv. Youtube ist nicht kuratiert und es ist nicht gewährleistet, dass wichtige Clips nicht plötzlich verschwinden.

Verspricht Youtube mehr, als der Dienst hält?

Youtube verspricht sehr viel, was der Dienst halten kann. Man kann mit Videos wirklich gross herauskommen. Allerdings ist die Chance, gross herauszukommen, extrem klein. Und sie ist immer kleiner geworden, weil inzwischen ein ganzes Netz von Agenturen aktiv die Karriereplanung der Stars übernimmt. In diesem Business fliesst sehr viel Geld.

Am Anfang stand der Slogan «Broadcast yourself»: Eine Art demokratische Alternative zum Fernsehen. Jetzt ist der Slogan verschwunden. War das doch nur eine Illusion?

Auf der strukturellen Ebene funktioniert Youtube noch fast so wie vor acht Jahren bei der Gründung. Es hat sich aber bei der Ausrichtung viel verschoben. Mit einem einzelnen Video schafft man es kaum mehr auf die Startseite. Das gelingt nur, wenn man einen sehr hohen Aktualitätsbezug aufweist. Zum Beispiel mit einem Amateurvideo von einem Flugzeugabsturz. Das hat die Chance, auf der Startseite zu landen.

Weitere Funktionen sind verschwunden, zum Beispiel die Möglichkeit, mit einer Videoantwort auf einen Clip zu antworten. Statt der Community gibt es bezahlte Kanäle. Jetzt strebt Google als Betreiberin offensichtlich mehr Kommerzialisierung und mehr Werbung an.

Das ist so. Einerseits die Bezahlkanäle in den USA, die diesen Frühling eingeführt worden sind. Andererseits gibt es das Youtube-Playbook, das sehr genau aufzeigt, wie man mit seinen Videos Erfolg haben kann. Dort spielt der Community-Aspekt nach wie vor eine Rolle. Aber es wird auch erklärt, wie man Werbung schalten kann, wie man Werbung für seinen eigenen Kanal betreibt und welche Optimierungen man anwenden muss, um die Zuschauer möglichst lange bei der Stange zu halten.

Was haben Sie über die Youtube-Stars herausgefunden?

Das Beispiel, das ich untersucht habe, ist Daaruum, eine sehr bekannte Beauty-/Fashion-Youtuberin. Bei ihr steckt mehr dahinter, als für den normalen Zuschauer auf den ersten Blick ersichtlich ist. Sie hat eine Schauspielausbildung. Sie weiss haargenau, wie sie sich inszenieren muss. Man sieht das schon bei ihrem allerersten Video. Sie wirkt zwar noch etwas unsicher, aber sie hat ein durchdachtes Setting. Sie sitzt vor einem schwarzen Hintergrund auf einem Stuhl – das ist nicht das klassische Webcam-Wohnzimmervideo.

Es gelten heute die genau gleichen Erfolgsfaktoren wie bei den klassischen Medien?

Ich denke, dass die Agenturen eine grosse Rolle spielen. Viele der Stars im Comedy-Bereich haben heute ihre Gagschreiber. Zum Beispiel Y-Titty. Sie haben den meist abonnierten deutschsprachigen Kanal. Und sie hatten immer das Ziel, ins Fernsehen zu kommen.

Sie beschreiben diese Youtube-Wirtschaft. Wie wird mit und rund um Youtube Geld verdient?

Google verdient sehr stark an der Werbung. Die Agenturen verdienen mit, wenn die Künstler gut sind. Und Youtube-Stars wie Daaruum oder Y-Titty – die können hervorragend von Youtube leben. Und es gibt auch die Events rund um die Stars. Etwa der Videoday 2013 in Köln in der Lanxess-Arena: 9000 Fans, die hinströmen und 20 Euro hinblättern, nur um diese Stars zu sehen.

Wer verdient am meisten? Sind das die Stars selbst oder sind es doch die Agenturen, die diverse Leute unter ihren Fittichen haben?

Das ist schwer zu beurteilen. Youtube ist und bleibt ein undurchsichtiges Feld. Youtube selbst nimmt sehr ungern Stellung zu den Geschäftszahlen.

Was heisst das für die Schweiz? Unsere Videos in Schweizerdeutsch finden kein internationales Publikum. Umgekehrt stossen viele englischsprachige Videos auch hierzulande auf Resonanz. Ergibt sich eine kulturelle Machtverschiebung?

Untersucht habe ich das nicht. Man hört von den Schweizer Youtube-Stars oder von denen, die gern Stars wären, es sei schwierig, einen Weg zu finden. Man kommt nur mit internationalen Inhalten auf die Klickzahlen …

Aber dann verspielt man seinen lokalen Bezug.

Genau. Aber damit man Geld verdient, muss man sehr stark geklickt werden. Klicks im dreistelligen Bereich bringen nichts.

Wissen Sie, ab wann es interessant wird? Sind das zehntausend, hunderttausend oder Millionen Klicks?

Die Grenze liegt sicher im Tausenderbereich. Aber es gibt keine einfache Formel. Die grossen Künstler schliessen eigens Verträge mit Youtube ab, und dann wird es interessant.

Klar ist auch: Man verdient nicht nur am neuesten Video. Auch die Uploads von früher zählen. Es gibt Untersuchungen von Bertram Gugel, die sagen, dass 50 Prozent von allen Abrufen Archivabrufe sind.

Wie wird sich Youtube in Zukunft verändern?

Wir werden noch mehr Werbung sehen. Gerade in der Schweiz, wo man die Kanäle seit diesem Frühling monetarisieren kann. Jedes Video lässt sich zu Geld machen. Wir werden die Werbung auch bei Schweizer Musikvideos sehen, gerade dank der Suisa-Vereinbarung, die heute bekannt wurde. Es wird eine noch stärkere Implementierung von Google+ geben, vor allem bei den Kommentaren. Da wird der Klarnamen viel wichtiger werden als der Nickname. Das sind alles Neuerungen, um die Nutzer besser bewerben zu können – zielgruppengerecht.

Ist Ihnen bei der Arbeit etwas aufgefallen, dass Sie nicht erwartet hätten?

Verblüffend ist wirklich, welches Business dahintersteckt. Ich muss ehrlich sagen: Das war mir nicht bewusst, bis ich das ganz genau angeschaut habe.

Conradin Knabenhans (23) absolviert ein Masterstudium in Kulturwissenschaften und Soziologie an der Universität Luzern. Seine Masterarbeit «Youtube, das Archiv der Gegenwartskultur auf dem Prüfstand» ist in einer Kooperation der Uni Luzern und der Uni Basel entstanden.

Das erste Video von Daaruum.

Deutschsprachige Youtuber Y-Titty.

«Me at the zoo» – das allererste Youtube-Video überhaupt.

«Leave Britney alone!» Einer der Amateur-Clips, von denen man heute noch spricht.

«Star Wars Kid» – Millionen Klicks für ein Heimvideo.

Quelle: Newsnetz, Mittwoch, 25. September 2013

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