In den sozialen Medien wächst eine Elite heran

Mit Websites wie Klout.com soll sich der Einfluss auf sozialen Netzen wie Facebook und Twitter in bares Geld ummünzen lassen.

Von Matthias Schüssler

Im Nachgang zu den Olympischen Spielen machte die Meldung die Runde, dass Sportler mit viel Einfluss in den sozialen Medien auch bei den Sponsorverträgen dick im Geschäft seien. Ein grosser Geltungsbereich bedeutet mehr Geld.

Diese Regel gilt aber nicht nur für die Usain Bolts und Michael Phelps’ dieser Welt. Die Bedeutung jedes einzelnen Twitter- und Facebook-Teilnehmers wird längst gemessen, gewichtet und bewertet. Die Analytiker bei Klout.com errechnen den Klout-Score. Er macht eine Aussage darüber, wie gross die Fähigkeit eines Teilnehmers ist, auf den sozialen Netzen Debatten loszutreten und Aufmerksamkeit zu wecken.Ein Algorithmus nimmt die Zahl der Freunde, Erwähnungen, «Likes» und «Retweets», versetzt sie mit etwas digitalem Voodoozauber und gibt eine Zahl von 0 bis 100 aus. Je höher die Zahl, desto mehr Macht hat man im Netz. Barack Obama darf sich eines Klout-Scores von 99 rühmen. Aktive Nutzer von Twitter und Facebook kommen hierzulande auf 50 bis 70 Punkte. Klout ermittelt auch die Themenbereiche, in denen ein Teilnehmer federführend ist, und weist ihm eine Kommunikationsrolle wie Kurator, Netzwerker oder Kritiker zu.Der Klout-Score, der den Machtbereich einer Person in eine pseudowissenschaftliche Masseinheit fasst – er ist auch das Eintrittsbillett in die Welt der Social-Media-Elite. Ein Internetmagazin hat einen Wettbewerb gestartet, an dem nur Personen mit einem Score über 50 teilnehmen dürfen. Der Journalist Frank Krings nennt das in seinem Blog die «neue Deppenzunft» und spekuliert darüber, ob man bald mit PR-Aktionen nur für den Social-Media-Adel rechnen muss. Er spekuliert auch über die Personalchefs, die es sich nicht verkneifen werden, einen Blick auf den Klout-Score zu werfen. Und zwar nicht nur dann, wenn sich ein Bewerber als Experte für die Neuen Medien verkauft.

Zur «besten Mutter» gehypt

Kritiker wie Frank Krings werfen ein, der Klout-Score messe die Bedeutung nur innerhalb der Facebook-Twitter-Blase und habe nichts mit der richtigen Welt zu tun. Das leuchtet ein, zumal die Nummer zwei im Netz ein Federgewicht namens Justin Bieber ist, das einen Score von 92 erreicht. Wie leicht der Messwert manipuliert werden kann, hat ein Blogger von Gizmodo.com vor wenigen Wochen vorgeführt. Durch eine konzertierte Aktion unter den Lesern des Blogs wurde ein «Experte für Alkohol, Laptops und Johnny Depp» zur «besten Mutter der Welt» hochgehypt.

Spottbillige Werbung

Die Erkenntnis der Aktion: Nur weil die Leute über einen reden, hat man noch längst keine Macht. Frank Krings befürchtet obendrein, die sozialen Medien seien dabei, ihre Unschuld endgültig zu verlieren. Statt die Meinung frisch von der Leber weg zu äussern, werden sich die Leute immer mehr der Pflege ihrer Internet-Reputation widmen.

Während einige Blogger das bedauern und dem Gefühl der Gleichheit in der Blogosphäre nachtrauern, ist Klout längst dabei, die Meinungsführer im Netz vor den Karren der Wirtschaft zu spannen. Klout verspricht «Perks», zu Deutsch «Vergütungen», die sich «Influencer» verschaffen können. Flugtickets und Computer gibt es abzusahnen, wenn man sich um ein Produkt bemüht.

Wie die «Perks» funktionieren, wird anhand des Disney-Films «Tangled» vorgeführt. Gesucht wurden Väter und Mütter, die auf Twitter und Facebook eine gewichtige Stimme haben. 412 «Influencers» wurden zusammen mit ihren Kindern an eine Vorpremiere des Films eingeladen. Das führte zu 15 234 Tweets und zu 1398 Meldungen auf Facebook. Diese wiederum brachten 39,8 Millionen Besucher auf die Website des Animationsfilms – eine spottbillige Aktion.

Ähnliche Aktionen wurden für den Online-Weinhändler Lot18.com und für Audi durchgeführt. Für die Promotion des A8 durften 200 «Influencers» das Auto Probe fahren – und haben dem Hersteller mehr als 50 Millionen Views beschert. Angesichts des Tausenderkontaktpreises für Onlinewerbung oder Inserate hätten sich die «Influencers» teurer verkaufen müssen.

Gradmesser für die Dummheit

Nebst Klout sind weitere Rankingdienste dabei, die Machtzirkel des Webs zu erschliessen. Peerindex.com misst Aktivität, Publikum und Autorität. Kred.com zeichnet sich durch einen öffentlichen Algorithmus aus. Dadurch soll genauer nachvollziehbar sein, wie eine Wertung entsteht. Empireavenue.com stellt einen virtuellen Börsenhandelsplatz dar, auf dem man seine eigene Marke ist. Der Einfluss bei den sozialen Netzwerken stellt die Währung dar, mit der man sich und andere User handelt.

Die Website Klouchebag.com ihrerseits parodiert die virtuelle Wichtigtuerei, indem sie den «Asshattery»-Wert eruiert. Dieser gibt, moderat ausgedrückt, den Grad der Dummheit an, die auf den sozialen Medien zur Schau gestellt wird.

Mächtiger als Obama ist nicht möglich. Der US-Präsident hat einen Klout-Score von 99. Screen: TA

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 10. September 2012

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