Windows 8 ist erschienen, aber nur ein bisschen

Entwickler können bereits mit Microsofts kommendem Betriebssystem arbeiten. Der offizielle Verkaufsstart ist erst am 26. Oktober.

Von Matthias Schüssler

Windows 8 ist seit einigen Tagen fertig. Über Microsofts Entwicklernetzwerk wird das neue Betriebssystem seit dem 15. August an Programmierer und an die PC-Hersteller ausgeliefert. Die breite Öffentlichkeit muss sich noch etwas gedulden, der offizielle Verkaufsstart erfolgt erst am 26. Oktober.

Mit der Karenzfrist will Microsoft den Herstellern Luft verschaffen, um die Hardware ans neue System anzupassen. Die Entwickler ihrerseits sollen fleissig Apps für die neue Kachel-Oberfläche schreiben. Der Windows Store wird, wenn Microsofts Rechnung aufgeht, beim Start in zwei Monaten ein vielfältiges Sortiment an Apps bereithalten. Und vielleicht braucht Microsoft auch noch Zeit, um den Kunden die Neuerungen schmackhaft zu machen und Goodwill aufzubauen.

Das ist auch bitter nötig. Tech-Kolumnist John C. Dvorak nennt es ein «vollkommenes Desaster», das dem Unternehmen die Zukunft verbauen könnte. Ein ZD-Net-Journalist nennt es «furchtbar», und auch Gabe Newell, der Chef des Spieleentwicklers Valve, nahm das Wort «Desaster» in den Mund. Kritisiert wird die radikale Umgestaltung der Oberfläche. Anstelle des Startmenüs tritt die Kachel-Oberfläche, die man von Mobiltelefonen mit Windows-Phone-Betriebssystem kennt. Sie bringt einen neuen Typus von Anwendungen, die immer im Vollbild ausgeführt werden. Es ist nicht möglich, diese Apps in überlappenden Fenstern zu betreiben, aber immerhin können zwei Anwendungen nebeneinanderstehen. Diese neue Oberfläche hiess bis vor kurzem Metro-Interface. Microsoft hat sie kurzfristig in Modern UI umbenannt. US-Medien vermuteten, dass die deutsche Metro AG mit einer Markenklage gedroht hatte.

Auf Tablets zugeschnitten

Modern UI ist aber nur der Anfang. Windows 8 ist zwar weiterhin mit Maus und Tastatur bedienbar, aber ganz auf Bedienung per Gesten zugeschnitten. Die sogenannte Charm-Leiste wird mit einer Fingergeste oder alternativ mit einer Mausbewegung oder einem Tastaturbefehl hervorgezaubert. Sie enthält Einstellungen zu Apps und zum Betriebssystem, Befehle zum Suchen, zum Informationsaustausch und zum Drucken. Einen stets sichtbaren Knopf zum Einblenden der Charm-Leiste gibt es nicht. Die Leiste und andere Elemente der Benutzeroberfläche erscheinen nur, wenn man die Geste oder das Tastaturkürzel zur Aktivierung kennt. Dieser Lernaufwand sei zu hoch, finden viele Kritiker von Windows 8.

Die radikale Umgestaltung rührt daher, dass Microsoft mit Windows 8 ein grosses Ziel realisiert hat: ein Betriebssystem für alle Geräteklassen. Windows 8 läuft nicht nur auf herkömmlichen Computern mit Intel-Prozessor, sondern auch auf Tablets mit den stromsparenden ARM-Prozessoren. Auch Windows Phone 8 enthält den neuen Systemkern. Dessen Oberfläche ist zwar für Mobiltelefone angepasst, aber dank der nahen Verwandtschaft wird es einfach sein, Apps parallel für PCs, Tablets und Smartphones zu programmieren. Für die Entwickler ein Vorteil.

Konfusion ist vorprogrammiert

Den Konsumenten nützt das wenig. Im Gegenteil: Es gibt zwischen den Windows-Varianten gewichtige Unterschiede. Der Windows-Desktop ist die Umgebung, in der die herkömmlichen Fensterprogramme laufen. Er steht vollumfänglich nur bei der Windows-Version für Intel-PCs zur Verfügung. Bei Windows RT gibt es zwar den Desktop, aber darin kann nur Microsoft Office 2013 und kein anderes «normales» Windows-Programm laufen. Windows RT kommt auf Tablets mit ARM-Prozessor zum Einsatz (das RT steht für «Runtume» und bezeichnet den Unterbau, auf dem die Kachel-Oberfläche läuft).

Das dürfte zu Konfusionen führen. Microsoft produziert zwei eigene Tablets, die fast genau gleich heissen, ähnlich aussehen, aber sich beim Desktop unterscheiden: Das Modell Surface läuft mit ARM und kann nur Modern-UI-Apps aus dem Windows-Store ausführen. Die Hunderttausenden klassischen Windows-Anwendungen laufen nur beim Modell Surface Pro, das einen Intel-Prozessor aufweist.

Ob Windows 8 ein Erfolg wird, steht und fällt mit dem Erfolg der Tablets. Falls Windows RT die Käufer überzeugt, wird dem Betriebssystem auch auf dem Desktop Auftrieb verliehen. Falls nicht, wird dort noch für Jahre Windows 7 dominieren.

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 20. August 2012

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