Die freien Karten inspirieren die Forscher

Auf Grundlage der freien Geodaten von Open Street Map entstehen in der Schweiz neue Projekte wie der Tourenplaner Tourpl. Dieser wurde kürzlich mit einem Innovationspreis ausgezeichnet.

Von Matthias Schüssler

«Der einfache Bezug von Geodaten ist ein grosser Segen für die angewandte Forschung», sagt Stefan Keller über den freien Kartendienst Open Street Map. Keller ist Dozent an der Hochschule für Technik in Rapperswil und unterrichtet Datenbankprogrammierung und Geo-Informationssysteme. Er verwendet die frei zugänglichen digitalen Karten in wissenschaftlichen Projekten.

Beispielsweise in Tourpl: Das ist ein Tourenplaner, den Keller zusammen mit dem Masterstudenten Michael Rüegg programmiert und zu einer frei benutzbaren Webanwendung weiterentwickelt hat. Zu finden ist diese Anwendung unter www.tourpl.ch, und sie löst das in der Informatikwelt wohlbekannte «Problem des Handlungsreisenden».

Die optimale Tour ermitteln

Es besteht darin, eine Route zwischen mehreren Zwischenstationen so zu planen, dass die gesamte Strecke möglichst kurz ausfällt. Dieses Problem ist daher interessant, weil die Rechenzeit pro zusätzliche Station exponentiell zunimmt. Bei 50 Zwischenhalten wäre die Rechenzeit für die exakte Bestimmung der besten Route schon um die 18 000 Jahre. Um innert nützlicher Frist zu einem Resultat zu gelangen, werden Näherungsverfahren benötigt.

Tourpl verwendet von der Natur inspirierte Algorithmen und hilft, wenn man innert kürzester Frist mehrere Sehenswürdigkeiten abklappern will oder wenn ein Aussendienstmitarbeiter mehrere Kunden zu bedienen hat. Eine Möglichkeit ist, die anzusteuernden Adressen aus einer Kartei zu exportieren, beispielsweise aus den Kundenkontakten von Outlook, und diese bei Tourpl hochzuladen, um die optimierte Tour – inklusive Totaldistanz und Fahrzeit – ermitteln zu lassen. Neu ist es auch möglich, die Stationen auf der Karte anzuklicken, wobei die Darstellung bei jedem Klick aktualisiert wird. Die fertige Route kann in einem Tabellenkalkulationsformat heruntergeladen und zum Beispiel in Excel bearbeitet werden.

Tourpl hat Ende April den mit 5000 Franken dotierten Innovationspreis der Schweizer Stiftung Futur gewonnen, weil das Tool helfe, «Zeit, Geld und Benzin zu sparen, und innovative Weiterentwicklungen, wie Stauvermeidung, biete». Der Dienst ist praxistauglich, der Nutzen offensichtlich – und daher soll aus dem Forschungsprojekt nun eine Webanwendung werden, die auf eigenen Beinen steht. Stefan Keller und Michael Rüegg testen im Moment ein «Freemium»-Modell: Kostenlos, also «free», können Routen mit maximal zehn Adressen verbunden werden.

Doodle als Vorbild

Bei mehr Adressen muss man Abonnent des kostenpflichtigen «Premium»-Dienstes werden. Vorbild ist für Stefan Keller der Schweizer Terminplanungsdienst Doodle, der zwar nicht der Erste seiner Art war, aber durch seine freie Zugänglichkeit überzeugte.

Die Open-Street-Map-Daten werden nach dem Prinzip von Wikipedia von der Community erhoben und können in Sachen Genauigkeit mit kommerziellen Kartendaten mithalten. Sie dürfen bei Nennung der Quelle für kommerzielle oder wissenschaftlichen Anwendungen verwendet werden (siehe TA vom 23. April). Für Professor Stefan Keller sind sie ideal, um gute Programmiertechniken zu lehren: Wie man mit grossen Datenmengen umgeht, Zugriffszeiten beschleunigt oder widersprüchliche Daten bereinigt.

Ein weiteres Projekt, das im Unterricht zum Einsatz kommt, ist openpoimap.ch: Dieser Dienst erlaubt mittels spezieller Abfragen die Übertragung von Informationen zu «Points of Interest» (POI) auf GPS-Geräte und in Geo-Informationssysteme. Für Planungsaufgaben können genau die benötigten Informationen herausgezogen werden: beispielsweise alle Sitzbänke oder Feuerstellen in einem bestimmten Gebiet.

«Mapping-Partys» in Zürich

In der Schweiz weckt Open Street Map nicht nur die Forschungsideen, sondern auch den Community-Gedanken: Stefan Keller organisierte eine der ersten «Mapping-Partys» in der Schweiz. Das Kartografieren eines Gebiets wird zum gemeinschaftlichen Erlebnis: «Man schwärmt an einem Samstagnachmittag aus und kommt nach drei Stunden zurück. Dann sitzt man fast wie bei einer LAN-Party am Computer, erfasst die Daten, und zum Abschluss gibt es ein gemütliches Beisammensein», erklärt Keller. In der Schweiz gibt es eine solche Party in Zürich; die Termine sind auf der Open-Street-Map-Projektseite (siehe Infobox links) zu finden.

Grosses Potenzial für Open Street Map sieht Keller in der Kombination mit Daten von Gemeinden und Behörden – «Open Data» ist das Stichwort. «Nachdem die Stadt London entsprechende Daten freigegeben hat, ist eine Reihe von witzigen und innovativen Anwendungen entstanden», beispielsweise eine App, die Statistiken über Verspätungen an Bushaltestellen visualisiert. Die Stadt Zürich stellt Informationen über Baustellen zur Verfügung, aber es sei enorm schwierig, Angaben über den Stadtrand hinaus zu erhalten, sagt Keller.«Die technischen Fragen sind nicht das Problem. Nötig ist ein Umdenken, dass man die Daten nicht nur für sich sammelt, sondern auch anderen zur Verfügung stellt.»

Eine innovative Tourenplanung, in Rapperswil mit Open-Street-Map-Daten entwickelt. Screen: TA

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 14. Mai 2012

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