Alles auf einer Karte

Der globale Atlas Openstreetmap.org sammelt frei nutzbare Geodaten. Der Gratisdienst macht den Google-Maps Konkurrenz.

Matthias Schüssler

Kommerzielle Landkarten werden verschwinden – das ist die Überzeugung von Steve Coast. Der Technologieberater hat 2004 die Plattform Openstreetmap gegründet, die seitdem frei nutzbare geografische Daten anbietet.

Coast verspürt im Moment zünftig Aufwind. Mehrere Unternehmen, die bisher Google-Maps auf ihren Websites eingebunden haben, schwenken auf Openstreetmap um. Apple verwendet das freie Kartenmaterial in iPhoto für iOS zur Anzeige von Fotos mit Geo-Tags. Wikipedia bindet Openstreetmaps in die mobilen Apps ein, und Foursquare, ein soziales Netzwerk für Check-ins in öffentliche Orte, verwendet sie seit einem Monat. Ein Grund für den Wechsel sind die Gebühren, die Google seit kurzem grossen Kunden verrechnet.

Die Geodaten von Openstreetmap sind dagegen gratis und als «schöpferisches Gemeingut» (Creative Commons) lizenziert. Bei Nennung der Quelle dürfen sie in Websites, Apps und Anwendungen sowie in gedruckte Werke eingebunden werden. Es sind jedoch nicht allein die Sparmöglichkeiten, die Openstreetmap Auftrieb verleihen. Es ist auch die konstant wachsende Qualität. Alexander Zipf ist Professor für Geoinformatik an der Universität Heidelberg, und er hat die Daten untersucht. Sein Fazit ist, dass in Deutschland die freien Karten die kommerziellen in Ballungsgebieten übertreffen. In weniger dicht besiedelten Gebieten besteht Nachholbedarf. Bei den POIs, den «Point of Interest» bzw. Sehenswürdigkeiten, liegen kommerzielle Anbieter wie Teleatlas vorn. Doch Zipf verzeichnete rasante Wachstumsraten.

Mit GPS und Gratis-Software

Die Daten von Openstreetmap werden von Freiwilligen erhoben, die Strecken abgehen und den Verlauf mittels GPS-Empfängern aufzeichnen; dann werden die Informationen am Computer aufbereitet und übermittelt. Auf Openstreetmap.org gibt es Hinweise zu diversen Bearbeitungsprogrammen. Wer einen Fehler im Datenmaterial entdeckt, kann ihn über den «Potlatch»-Editor direkt auf der Website korrigieren. Dafür braucht es ein kostenloses Benutzerkonto. Mehr als 500 000 Freiwillige haben bisher am globalen Atlas mitgewirkt.

Openstreetmap erhält auch Unterstützung von Konzernen wie Yahoo und Microsoft. Sie stellen Satellitenbilder zur Verfügung, auf denen Strassenverläufe nachgezeichnet werden. Der Grossraum Bagdad wurde so erschlossen. Und selbst Behörden bieten Hilfe an. Die Stadt Augsburg etwa stellte amtliche Daten bereit.Die freien Geodaten sind als Rohmaterial erhältlich, sodass auch Dritte sie aufbereiten und erweitern können. Mapbox.com verwandelt die von Haus aus eher reizlosen Karten in ansprechende Darstellungen, die sich über Farbschemas und Vorlagen anpassen lassen. Freizeitsportler verwenden oft topografische Karten, die in digitaler Form meist vektorbasiert (als Linien und Punkte) gespeichert sind. Aus dem Bestand von Openstreetmap lassen sich auch solche Daten erzeugen. Openmtbmap.org erstellt Karten für Mountainbiker und Wanderer, die in mehreren Layouts zur Verfügung stehen und auch Schwierigkeitsgrad und Befahrbarkeit anzeigen. Diese Karten sind auf die Outdoor-Navigationsgeräte von Garmin übertragbar.Es ist auch möglich, die Karten mit statistischen oder «Live»-Daten zu überlagern und mit interaktiven Funktionen zu versehen. So sind, mit relativ kleinem Aufwand, thematische Karten realisierbar. Beispiele im Netz zeigen die Pub-Dichte in Grossbritannien oder Tatorte von Verbrechen in San Francisco (sanfrancisco.crimespotting.org). Openstreetmap mausert sich zur Universalkarte – deshalb werde 2012 zum Jahr der frei verfügbaren Karten, wie etwa Sebastian Delmont behauptet. Er ist der Technikchef eines New Yorker Online-Immobilienvermittlers, der ebenfalls von Google-Maps wechselte. Ohne Zweifel ist Openstreetmap dieses Jahr vielen ins Bewusstsein gerückt. Und das Projekt beweist wie schon Wikipedia die Macht des Crowdsourcing-Gedankens.

Unschlagbar aktuell

Auch Openstreetmap bringt neben den Inhalten auch die Werkzeuge zur Bearbeitung mit. Beide Projekte werden von einer Stiftung betrieben, finanzieren sich über Spenden, sind einer permanenten Qualitätsdebatte ausgesetzt und tun sich durch unschlagbare Aktualität hervor. Nach der Erdbebenkatastrophe in Haiti hatte die Community die Lage rund um Port-au-Prince innert Tagen kartiert.

Allen Erfolgen zum Trotz – dass Openstreetmap klassische Karten wegfegt, wie Gründer Steve Coast glaubt und wie Wikipedia es mit den gedruckten Enzyklopädien macht: Das wird nicht passieren. Den Leistungsauftrag, wie ihn die Schweizer Landestopografie erfüllen muss, kann die Community nicht übernehmen.

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 23. April 2012

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