Windows ohne Startknopf

Die Vorabversion von Windows 8 hinterlässt einen durchzogenen Eindruck.

Von Matthias Schüssler

Windows 8, das im Herbst erscheinen wird, enthält die grössten Veränderungen seit Windows 95. Zu den auffälligsten zählt, dass der damals eingeführte Start-Button verschwindet. Stattdessen gibt es eine Kachel-Ansicht à la Windows Phone, dem Smartphone-Betriebssystem aus Redmond. Einzug halten auch Vollbild-Apps sowie «Hot Corners» als neues Bedienelement. Und es gibt ein neues, bereits umstrittenes Logo.

Damit sich die Nutzer an die Neuerungen gewöhnen können, hat Microsoft eine Vorabversion zum Download zur Verfügung gestellt. Sie ist kostenlos und zeigt ein in Metamorphose begriffenes Produkt. Die Zukunft, so ist Microsoft überzeugt, wird mobil sein und liegt weniger im stationären PC. Dieser Logik folgend wurde der sogenannte «Customer Preview» nicht an der bald stattfindenden Computermesse Cebit vorgestellt, sondern am Mobile World Congress in Barcelona, der grössten Messe der Mobilfunkindustrie.

Halsbrecherischer Spagat

Um Windows gleichzeitig für mobile Geräte und herkömmliche Desktops und Laptop-Computer tauglich zu machen, wagt Microsoft einen halsbrecherischen Spagat. Die alten, klassischen Anwendungen werden in eine Kachel namens «Desktop» verbannt. Die Steuerung per Multitouch wird zur primären Eingabemethode erhoben, noch vor der Maus.

Windows 8 läuft auch auf Strom sparenden ARM-Prozessoren, wobei dann nur die neuen Vollbild-Apps, nicht aber die klassischen Desktop-Anwendungen benutzt werden können (wahrscheinlich abgesehen von MS Office). Windows-8-Tablets werden einige Hardware-Knöpfe voraussetzen, darunter eine Windows-Taste. Sie übernimmt die Funktion des abgeschafften Startknopfs.

Am PC erscheint das Startmenü, wenn man auf der Tastatur die zweite Windows-Taste (rechts neben der Leertaste) betätigt. Die Menütaste (auf Windows-Tastaturen zwischen rechter Windows- und «Ctrl»-Taste), die bisher das Kontextmenü anzeigte, zeigt neu die Menüzeile der Apps, die am unteren Rand einer App eingeblendet wird.

Bewegt man den Mauszeiger in bestimmte Regionen auf dem Bildschirm, löst man weitere Funktionen aus. Die Ecke im linken unteren Bildschirmrand zeigt die aktuell offenen Apps an. Die Ecke rechts unten bringt eine Leiste mit Funktionen wie «Teilen», «Suchen», «Geräte» (hier dürften dann auch die Drucker zu finden sein) und «Einstellungen» hervor. Um herunterzufahren, aktiviert man den rechten unteren «Hot Corner», klickt auf «Einstellungen» und dann auf «Ein/Aus». Das ist unglaublich kompliziert.

Windows 8 bringt aber auch überzeugende Neuheiten: Die Konfiguration über die Cloud, sprich ein Konto auf Live.com. Die Möglichkeit, das Benutzerpasswort über einen Code per SMS zurückzusetzen, falls es vergessen wurde – oder die Einbindung der Facebook-, Twitter- und Google-Mail-Adressen in die Kontakte-App, wie man es von Windows-Phones bereits kennt.

Dennoch hinterlässt ein erster Test mit dem «Customer Preview» gemischte Gefühle. Microsoft wagt einen grossen Schritt in die Zukunft, versucht dabei aber das Unmögliche: Tablets und herkömmliche PCs sind zwei verschiedene paar Stiefel. Sie mit einem System bedienen zu wollen, erfordert Kompromisse zulasten der Benutzerfreundlichkeit. Am Desktop machen die meisten Neuerungen den Alltag nicht leichter, sondern erfordern einen grossen Lernaufwand. Apple führt bei seinem Betriebssystem ebenfalls Konzepte aus der mobilen Welt ein, wie «OS X Mountain Lion» jüngst zeigte. Apple tut das aber dosiert über mehrere Versionen und nicht in einem einzigen grossen Schritt.

Keine Vorschau für Tablets

Microsoft zeigt der Welt mit dem «Consumer Preview», welche Schwierigkeiten das System auf herkömmlicher Hardware bereiten wird. Wie es sich auf Tablets schlägt, kann der Kunde in Ermangelung passender Hardware allerdings noch gar nicht ausprobieren. So erleben viele Nutzer nun erst einmal die Nachteile von Windows 8, bevor sie von dessen Vorteilen profitieren können. Das ist keine geschickte Strategie. Es ist abzusehen, dass die Besitzer klassischer PCs bei Windows 7 (oder allenfalls sogar bei Vista oder XP) bleiben werden – und Windows 8 daher keinen Fortschritt, sondern Stillstand bringt.

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 5. März 2012

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