Microsofts Ankunft in der Smartphone-Ära

Windows Phone 7.5 alias Mango schliesst zur Konkurrenz auf. Und weist dem Desktop-Betriebssystem den Weg.

Von Matthias Schüssler

Dieser Tage ist das erste grosse Update für Microsofts Smartphone-Betriebssystem erschienen. Es heisst Windows Phone 7.5 und wird oft auch nach seinem inoffiziellen Codenamen «Mango» benannt. Gleichzeitig hat Nokia Ende Oktober die Lumia-Reihe vorgestellt, das Windows-Phone-Debüt der Finnen.

Mit Mango und Lumia gewinnt Windows Phone nach einem missglückten Start an Fahrt. Notwendigerweise, denn bisher konnte Microsoft nichts bewegen. Als Windows Phone 7 vor einem Jahr das veraltete Windows Mobile ablöste, gab es zwar viel mediales Wohlwollen. In den Telecomshops griffen die Kunden jedoch weiterhin zum iPhone, und das Verkaufspersonal empfahl vor allem Android. Google legte fulminante Wachstumszahlen hin und bedient laut Gartner inzwischen 43 Prozent des Marktes. Gemessen am Gewinn, ist Apple mit Abstand die Nummer eins.

Ein Prozent des Kuchens

Nicht allein die starke Konkurrenz ist schuld, dass Windows Phone sich mit einem Prozent des Smartphone-Kuchens begnügen muss (Gartner, Stand Sommer). Microsoft hat Anfang 2011 Kundschaft vergrault, indem versprochene Updates monatelang nicht geliefert wurden. Im Februar gaben die Chefs von Microsoft und Nokia, Steve Ballmer und Stephen Elop, eine Partnerschaft bekannt, die aber erst jetzt mit Lumia Früchte trägt. Diese intensive Zusammenarbeit hat andere Hersteller wie Samsung dazu bewogen, das Windows-Phone-Engagement zurückzufahren.

Die ersten Lumia-Modelle gibt es in Deutschland ab Mitte November zu kaufen. In der Schweiz kommen sie erst 2012 in die Läden. Bereits erhältlich sind Mango-Modelle anderer Hersteller. Beispielsweise das HTC Titan mit seinem nachgerade riesigen 4,7-Zoll-Display. Die Vorreitermodelle zeigen, dass sich Windows Phone heute technisch nicht mehr hinter der Konkurrenz zu verstecken braucht.

Mängel wurden ausgemerzt: Neben der «Copy & Paste»-Funktion beherrscht Mango auch den schnellen Wechsel zwischen den Anwendungen. Das nennt sich Multitasking, obwohl technisch gesehen Anwendungen im Hintergrund nicht weiterlaufen, sondern im Microsoft-Jargon «dehydriert» werden. In der Praxis bedeutet die Neuerung, dass der Wechsel zwischen Apps ohne merkliche Wartezeit vonstattengeht. Mit dem Zurück-Button gelangt man schnell zur vorherigen App, und bei einem etwas längeren Druck erscheint der Task-Switcher, der alle aktiven Anwendungen aufreiht.

Mango bringt auch hinter den Kulissen Verbesserungen. «Live Tiles» nennen sich die quadratischen oder rechteckigen Kacheln auf dem Startbildschirm. Über sie gelangt man in eine App. Die Tiles können Statusinformationen wie die Zahl der ungelesenen Mails, Anrufe in Abwesenheit, Wetterinformationen oder Animationen anzeigen. Bisher haben fast nur Microsofts Anwendungen direkt Information im Tile eingeblendet. Dank neuer Programmschnittstellen werden nun aber auch die Kacheln von Drittherstellern lebendig.

Microsoft hat die Integration mit sozialen Netzwerken verstärkt. Der «People Hub» integriert nicht mehr nur Daten aus Facebook, sondern auch aus Twitter und Linkedin. Im Kalender-Hub tauchen neu auch Facebook-Veranstaltungen auf. Die Anbindung an soziale Netze ist eine der grössten Stärken von Windows Phone. Sobald man sich mit dem neuen Telefon bei den Diensten angemeldet hat, füllen sich die Tiles und Hubs mit Informationen.

Alle Infos in einem Hub

Besagte Hubs bündeln die Datenströme zentral, sodass man nicht von App zu App zu wechseln braucht, sondern gleichartige Informationen an einem einzigen Ort einsehen kann.

Der Fehler bei diesem an sich gelungenen Konzept liegt bei den Drittherstellern. Beispiel Bilder-Hub: Dank der Integration von Facebook zeigt er nebst den eigenen Fotos unter «Neuigkeiten» Bilder von Freunden und Bekannten. Installiert man die App der populären Flickr-Bilderplattform, erscheint sie als separate App, ohne Anbindung an den Hub. Der Verdacht liegt nahe, dass viele Dritthersteller keinen Wert auf die nahtlose Integration legen, sondern sich lieber mit einer eigenen App in Szene setzen. Microsoft wird nicht darum herumkommen, die Hub-Integration für wichtige Webdienste selbst bereitzustellen.

Auffällig an Mango ist die Liebe zum Detail. Der verspielte Avatar im «Xbox Live»-Hub zeugt ebenso davon wie die «Bing»-App, die nicht nur per Sprache Suchbefehle entgegennimmt, sondern auch Texte erkennt, die über die Kamera eingefangen und angetippt werden. Es ist sogar möglich, fotografierte Schilder in Fremdsprachen zu übersetzen.

Das «Volks-Betriebssystem»

Auch wenn der mobile Internet Explorer nicht so ausgereift ist wie der Browser des iPhone und das Angebot an Apps weit hinter Apples Store zurückfällt, so steht es dennoch ausser Frage, dass Microsoft mit Mango ein rundes Update geglückt ist. Es ist eine gute Alternative für alle Nutzer, die (aus Apple-Antipathie oder einem anderen Grund) sich gegen das iPhone entscheiden.

Es ist auch eine gute Alternative zu Android, das nicht nur von Fans, sondern auch von Kunden ohne spezielle Präferenz gekauft wird. Mit seiner klaren, einheitlichen Bedienung und der aufgeräumten Datenpräsentation ist Windows Phone ein Mainstream-OS par excellence: ein eigentliches Smartphone-Betriebssystem fürs Volk.

Windows-Chef Steven Sinofsky führt Desktop und Handy zusammen. Foto: PD

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 7. November 2011

Rubrik und Tags:

Faksimile
111107 Seite 38.pdf

Die Faksimile-Dateien stehen nur bei Artikeln zur Verfügung, die vor mindestens 15 Jahren erschienen sind.

Metadaten
Thema: Aufmacher
Nr: 9978
Ausgabe:
Anzahl Subthemen: 1

Obsolete Datenfelder
Bilder: 1
Textlänge: 480
Ort:
Tabb: WAHR