Wie Musik auch als MP3 ausgezeichnet klingt

Obwohl Audiophile gern das Gegenteil behaupten: Ungetrübter Audiogenuss ist auch mit verlustbehafteten Audio-Formaten möglich. Was hilft, sind gute Aktivboxen – und das Wissen, wie man die Schwächen von MP3 und Co. umgehen kann.

Von Matthias Schüssler

«MP3 zerstört die Musik», behaupten die Verfechter des reinen Audio-Genusses gern und oft. Es ist ihnen ein Gräuel, dass Musikformate zur Datenreduktion Details eliminieren. Schon die CD stellte für die audiophile Fraktion einen Rückschritt dar, weil digitaler Sound «kalt und analytisch» klingt. Und mit dem iPod setzt sich der Niedergang fort.

Die junge Generation konsumiert heute miesen Sound aus schlechten Lautsprechern und hat keine Ahnung, wie Musik tönen kann und muss. Die Stereoanlage mit dicken Lautsprechern, die in den Achtzigern das ultimative Statussymbol Heranwachsender war, wurde von schwächlichen Kompaktanlagen und iPod-Docks aus dem Elektronikfachhandel und Jugendzimmern verdrängt.

Auch Daniel Weiss beobachtet diese Veränderung. Er ist Elektro-Ingenieur und baut Produkte für Tonstudios und Audio-Liebhaber. Er beschreibt eine zunehmende Trennung zwischen den audiophilen Nutzern, die teures Geld in guten Klang investieren, und dem Rest, der mit «Gebrauchsmusik» zufrieden ist und den Ton nimmt, wie er aus PC-Lautsprechern oder dem Handy scherbelt. MP3 als Symbol des Rückschritts? Daniel Weiss verweist auf die Kompaktkassette: «Sie war qualitativ einiges schlechter als MP3, und trotzdem war man damals zufrieden mit der Qualität.»

Üble Dateien, billige Stöpsel

Der schlechte Ruf von MP3 rührt vor allem von den Begleitumständen her: Musik wird häufig über schlecht aufbereitete Dateien mit billigen Ohrstöpseln konsumiert. Die Hardware vieler mobiler Wiedergabegeräte, namentlich des iPod, ist nicht auf Qualität getrimmt. In der Kritik steht der Digital-Analog-Wandler, der aus der Musik ein analoges Audio-Signal macht. Daniel Weiss macht dafür die kompakte Bauform verantwortlich, die wenig Raum für die Komponenten lässt.

Diese Schwächen lassen sich ausbügeln. Gute Wiedergabe ist deutlich günstiger möglich als noch vor wenigen Jahren; Daniel Weiss konstatiert hier einen Preiszerfall. Und man benötigt heute keine Vielzahl von Geräten wie Vorverstärker und Verstärker, sondern kommt mit einem Dock für den Player und Aktivboxen aus. Letztere haben den Verstärker integriert und waren ehedem bei Audio-Fans verpönt. Heute sind sie rehabilitiert und halten die Zahl der Hi-Fi-Komponenten überschaubar.

Gute Boxen sind die ganze Miete

Wer einen Qualitätsschritt weitergehen will, wählt eine Dockingstation mit einem eigenen Digital-Analog-Wandler, etwa den am 10. Januar im TA vorgestellten iStreamer. Unverändert gilt die Regel, dass der Löwenanteil des Budgets für die Boxen auszugeben ist – wobei die Skala nach oben offen ist. Bei der preislichen Untergrenze für Boxen, die einen nach Hi-Fi-Massstäben akzeptablen Klang liefern, legt sich Daniel Weiss nur ungern fest: «Natürlich sind 500 Franken viel Geld, aber wenn man einen guten Klang will, reicht das nicht – dann muss man ein-, zweitausend Franken oder mehr ausgeben.» Ein gangbarer Weg besteht darin, die Heimkinoanlage mit einem guten Soundsystem auszustatten und den iPod darüber zu betreiben. Wer Musik per Kopfhörer konsumiert, wählt ein grosses Modell, das die Ohren abdeckt.»

Der Krieg um die Lautstärke

Ein Kritikpunkt an der Musik im MP3-Zeitalter lautet, dass die Produzenten sich längst an die Hörgewohnheiten des Publikums angepasst haben und Stücke für die kleinen Ohrstöpsel abmischen. Das Stichwort ist «Loudness War»: Die Stücke werden, unter Opferung von Feinheiten bei der Dynamik, auf maximale Lautstärke getrimmt.

Daniel Weiss weist darauf hin, dass der «Loudness War» schon vor MP3 durch die Radiostationen vorangetrieben wurde, und sieht Anzeichen für eine Umkehr: «Bei Mastering-Studios in den USA, die zu unseren Kunden zählen, geht der Trend zu weniger lauten Produktionen.» Es gibt Kunden, die sich von Bands oder Radiostationen abwenden: «Die letzte CD von Metallica zum Beispiel, ‹Death Magnetic›, war nicht mehr nur laut, sondern sogar verzerrt. So etwas ist kontraproduktiv», sagt Weiss. «Da tauscht man irgendwelche Kabel aus oder den Vorverstärker, weil man denkt, er sei nicht gut. Dabei liegt es an der Mikrofonierung oder den Musikern, die nicht gut spielen. Bei Überlegungen zur Qualität von Musik muss man bei diesen Punkten ansetzen.»

Er hört den Unterschied: Daniel Weiss entwickelt Hi-Fi-Equipment für Plattenproduktionen und Hi-Fi-Freunde.Foto: Nicola Pitaro

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 14. Februar 2011

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