3-D als spannende Nische der Digitalfotografie

Der Segelsportfotograf Jürg Kaufmann schwört auf die Dynamik von 3-D-Bildern, die er mit eigenem Equipment einfängt.

Von Matthias Schüssler

Der 3-D-Film «Avatar» hat vor einem Jahr eine 3-D-Euphorie ausgelöst und auch Jürg Kaufmann auf den Geschmack gebracht. Beim Drink nach dem Film entwickelte er mit einem Freund den Plan, seine Fotografie um die räumliche Dimension zu erweitern. Seit zehn Jahren fotografiert Kaufmann. Vor fünf Jahren machte er sein Hobby zum Beruf. Heute gehört er zur Weltelite der Jachtfotografen und setzt Regatten wie den America’s Cup in Szene.

Ein gutes Segelbild lebt von spritzendem Wasser, geblähten Segeln und einer eingespielten Mannschaft, die wie ein Uhrwerk funktioniert. Solche Motive gewinnen mit der räumlichen Dimension an Dynamik und Reiz. Der Bug, der dem Betrachter entgegensticht. Ein Gefühl von Tiefe im Bild, das von der Mastspitze aus aufgenommen wurde und unterhalb der Takelage das Deck, die Mannschaft und das Meer zeigt. Sujets, gemacht für die dritte Dimension.

Fussball in 3-D war ein Flop

3-D gilt im Moment als Megatrend, und der Hype um 3-D-Fernseher, -Kameras und -Bluray-Video droht die ganze Unterhaltungsindustrie zu vereinnahmen. Auf der kreativen Seite kocht 3-D auf kleiner Flamme. Längst nicht alle Motive taugen für die räumliche Abbildung.

Die 3-D-Übertragung der Fussball-WM von 2010 war ein Flop, weil sich das Geschehen für ein gutes räumliches Bild wenige Meter vor der Kamera abspielen muss, man die Kameras aber nicht mitten aufs Fussballfeld stellen konnte. 3-D-Bilder verlangen nach Action, die ästhetisch interessant und technisch einwandfrei ins Bild gerückt wird. Und gerade die technische Seite wird oft unterschätzt.

Fehler führen dazu, dass ein Bild nicht räumlich wirkt und den Betrachter irritiert statt beeindruckt. Ist ein Objekt im Vordergrund zu nah, dann stört das genauso wie ein falscher Bildausschnitt. Ein solcher Fall liegt vor, wenn ein Objekt am Bildrand nur mit einem Auge sichtbar ist.

Die Anforderungen an den Fotografen sind deutlich höher als bei der zweidimensionalen Fotografie. Nebst der Bildgestaltung muss auch das räumliche Arrangement stimmen, und der Fotograf muss ausserdem auf alltägliche Gestaltungsmittel verzichten. Unschärfe im Vorder- oder Hintergrund ist zu vermeiden, eine 3-D-Aufnahme sollte durchgängig scharf sein.

Selbst entwickelte Halterung

Auch bei der Ausrüstung steckt die 3-D-Fotografie nach wie vor in den Kinderschuhen – und das, obwohl die sogenannte Stereoskopie schon im vorletzten Jahrhundert erfunden und betrieben wurde. Segelfotograf Jürg Kaufmann musste seine Ausrüstung selbst 3-D-tauglich machen. Er nutzt zwei handelsübliche Nikon-Spiegelreflexkameras, die auf einen Rahmen – den sogenannten Frame – montiert im richtigen Abstand gehalten werden. Den Frame hat er sich von einem Spengler bauen lassen. Die Kameras werden synchron ausgelöst, müssen aber getrennt eingestellt werden. Der Master-Slave-Betrieb, bei dem beide Kameras automatisch die gleichen Einstellungen für Belichtung, Verschlusszeit und Fokus nutzen, ist zwar angedacht, bis dato aber noch nicht möglich.

Diese Arbeitsweise bedingt, dass Fotograf Kaufmann jedes Objektiv doppelt besitzt und mitführt – was bei den Flügen zu den Regatten dieser Welt häufiges Übergepäck zur Folge hat.

Tücken der Präsentation

Eine Herausforderung ist auch die Präsentation der Bilder. Diese lassen sich nur mit technischen Hilfsmitteln betrachten. Werden Jürg Kaufmanns Fotografien in Magazinen gedruckt, dann muss eine Farbbrille beigelegt werden. Kaufmann hat zu diesem Zweck 120 000 Rot-Cyan-Anaglyphen-Brillen aus China besorgt. Die Farbigkeit des Bildes geht weitestgehend verloren – was bei den Jachtfotos mit blauem Meer, den weissen Segeln und den bunten Sponsorenlogos bedauerlich ist.

Auch bei der Reproduktion lauern Tücken. Es ist vorgekommen, dass der Bundfalz bei doppelseitig gedruckten Bildern die räumliche Wirkung zerstörte. Zu berücksichtigen ist immer auch der optimale Betrachtungsabstand, der von der Reproduktionsgrösse abhängt. Bei einem Bild in einem Magazin beträgt er optimalerweise Armlänge, bei Projektionen muss er auf den Abstand zwischen Leinwand und Stuhlreihen abgestimmt sein. Obwohl es möglich ist, die Bilder bei der Projektion mit zwei Beamern farbecht über polarisierte Brillen zu zeigen, wählt Jürg Kaufmann meist das Anaglyphenbild. Es ist weniger aufwendig und fehleranfällig.

15 bis 20 Prozent aller Bilder macht Kaufmann in 3-D. Er würde den Anteil noch so gern erhöhen, aber es ist absehbar, dass die 3-D-Fotografie eine Nischenanwendung bleibt. Schadet der überzogene Hype der Sache? Kaufmann: «Es wird wie bei jedem Hype ablaufen: Nach dem Abklingen der ersten Euphorie sieht man die Sache nüchtern und fängt an, sie richtig zu gebrauchen.»

Nicht unscharf, sondern in der dritten Dimension fotografiert (mit Rot-Cyan-Farbbrille anzuschauen).Foto: Juergkaufmann.com

Kaufmann mit Stereokameras, wie er obiges Foto schiesst. Foto: Michèle Paret

Quelle: Tages-Anzeiger, Montag, 17. Januar 2011

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