Smartphone Aufgrund des Benutzerprofils wird man als Anwender ungefragt beworben: kein Grund zur Panik.

Apps sammeln Daten – na und?

Matthias Schüssler

«Your Apps Are Watching You» – unter diesem Titel hat das «Wall Street Journal» von einem Bruch der Privatsphäre und des Vertrauens berichtet: Apps auf smarten Mobiltelefonen geben die gespeicherten Informationen weiter. Preisgegeben wird die Identifikationsnummer des Mobiltelefons. Aber auch persönliche Daten wie Alter und Geschlecht oder der Standort gelangen in die Hände von Werbern und Marketing-Agenturen. Ein Skandal!

Wirklich? Nein. Die Apps tun das, was sie tun sollten. Der GPS-Empfänger ist im Smartphone eingebaut, um gebraucht zu werden. Dank der automatischen Positionsbestimmung verrät die Wetter-App das Wetter von Zürich und nicht das von Cupertino. Die SBB-App weiss, wann ein Zug vom nächstgelegenen Bahnhof fährt. Genauso verhält es sich mit anderen Informationen auf dem Telefon. Apps wie Gowalla oder Foursquare teilen dem Anwender mit, welcher seiner Freunde sich im näheren Umkreis bewegt und für ein spontanes Bier zu haben wäre. Und wer sich entscheidet, die nun angeprangerte Dating-App Grindr zu nutzen, muss für die Suche nach dem passenden Partner halt Hobbys, Jahrgang und Augenfarbe deklarieren. Der Treibstoff für Apps ist Information. Und weil sich Apps und Web im Alltag oft als nützlich erweisen, geben wir ihnen Einblick in unser Privatleben. Die Zeit ist vorbei, als Technik unpersönlich war.

Einnahmen aus der Werbung

Nun wird kritisiert, dass diese persönlichen Daten nicht nur bei dem Dienst landen, der dem Nutzer im Gegenzug einen konkreten Mehrwert bietet. Die Daten gelangen auch in die Hände Dritter, und das sei ein Bruch der Privatsphäre. Die an den Daten brennend Interessierten sind Werber, Marketing-Unternehmen und Datensammler. Sie stricken aus den gewonnenen Informationen individualisierte Werbung, machen Marktanalysen und wollen Trends erkennen. Die Werbung ist für die App-Hersteller die wichtigste oder sogar die einzige Einnahmequelle. Die Dienste, die man via Smartphone-App in Anspruch nimmt, kosten oft Millionen in der Entwicklung und sind teuer im Unterhalt. Werbung macht diese Apps erst möglich und erlaubt es den Nutzern, sie kostenlos oder für wenig Geld einzusetzen.

Was soll man als Anwender davon halten, dass man aufgrund seines Benutzerprofils beworben wird? Ein Profil, das ungefragt anhand der digitalen Spuren erstellt wird, welche die Benutzer via Apps hinterlassen. Das ist eine Kröte, die man ungern schluckt. Man kann jedoch mit Fug und Recht behaupten, dass Werbung am wenigsten nervt, wenn sie ein Bedürfnis bedient und von Stil und Machart her zu den eigenen Vorlieben passt. Sind wenige, aber präzis platzierte Anzeigen nicht besser als ein nach dem Giesskannen-Prinzip ausgeschüttetes Übermass? Apple-Boss Steve Jobs jedenfalls hat bei der Präsentation der eigenen iAd-Plattform mobile Werbung versprochen, die den Bedürfnissen der Nutzer Rechnung trägt – anders als die Werbung, die «stinkt», so Jobs, weil sie aufdringlich ist.

Unvermeidliches Übel

Wenn man Werbung als unvermeidliches Übel gelten lässt, hat das «Wall Street Journal» keinen echten Missbrauch zutage gefördert. Von den Vorwürfen bleibt nur die ungenügende Informationspolitik der App-Hersteller übrig. Es ist bedauerlich, dass manche Entwickler keine Richtlinien öffentlich machen und nicht darlegen, wie sie mit Nutzer-Daten zu verfahren gedenken. Faktisch aber ist das unerheblich. Solche Richtlinien werden nur von Rechtsgelehrten verstanden, als Nutzer hat man keine Chance, ihre Einhaltung zu kontrollieren. Und von den vielen Programmen, die bei Windows-PCs zum Schutz der Privatsphäre existieren, lernen wir nur eines: dass sich technisch nichts ausrichten lässt.

Kein Weg führt an der Erkenntnis vorbei, dass der Anwender seine Privatsphäre selbst schützen muss. Er kommt nicht um die bewusste Abwägung herum, was er seinen Apps anvertraut und was nicht. Zurückbehaltene Information kann auch das cleverste Spionage-Smartphone nicht weitergeben. Und nicht installierte Apps überwachen niemanden.

Weil Apps und Web
oft nützlich sind, geben wir ihnen Einblick
ins Privatleben. Wie viel, müssen wir selbst entscheiden.

Quelle: Der Bund, Mittwoch, 22. Dezember 2010

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